Freitag, 25. Juni 2010

www 14 - Facebook Typologien


Facebook
Originally uploaded by Laughing Squid
81% - die schweigende Mehrheit
Irgendwann mal bei Facebook angemeldet, dümpelt dieser Account so vor sich hin. Geburtstagswünsche von vor 7 Monaten gammeln hier ebenso ungelesen herum wie hoffnungsfrohe Einträge von "Freunden", "doch mal wieder was zusammen zu unternehmen". Die meisten dieser Vögel haben es nicht einmal zum Profilbild geschafft.
Eine Sonderform stellt der "passive Kontaktesammler" dar: Alle zwei Monate erwacht er aus seiner Lethargie, um alle sechs anstehenden Kontaktanfragen zu bestätigen, dann taucht er sofort wieder unter, wenigstens für die nächsten Monate.

5% - El Normalo
Der normale Wald- und Wiesennutzer. Täglich über längere Zeiträume präsent, gibt er gerne fast überall seinen Senf dazu. Er ist das Rückgrat von Facebook.

3% - Glücksnussöffner
Der Glücksnussöffner steht stellvertretend für all jene, die FB keinen eigenen Content hinzufügen, sondern z.B. jeden Tag fast ausschließlich sturheil ihre Glücksnuss öffnen: "Du wist einen schönen Tod haben". Alternativ geben sie damit an, dass ihnen bei Farmville mal wieder eine totaaal niedliche Zwerglanguste zugelaufen ist.

2% - Captain Krypto
Captain Kryptos Statusmeldungen sind selbst für Eingeweihte oft unverständlich. Wie aus sehr altem Assyrisch übersetzt, bleiben diese Sentenzen rätselhaft bis prä-apokalyptisch oder schlicht mundartlich. Im Zweifelsfall kann man sich einfach einreden, dass es "irgendwie" - optional auf Schwitzerdütsch - um "World of Warcraft" geht.

2% - vager Jammerlappen
Ihre Statusmeldungen sind immer negativ, dazu so vage wie möglich gehalten:
"J. Ammer-Lappen: Macht den Schmerzen jetzt ein Ende" (meint: Seine Vagheit entschließt sich endlich, doch mal eine Aspirin einzuwerfen),
"J. Ammer-Lappen: Sieht keinen Sinn mehr darin, überhaupt weiterzumachen..." (meint: Belegt bei dem iPhone-Spiel "Doodle Jump" den letzten Platz und erwägt, aufzugeben),
"J. Ammer-Lappen: Kann nicht aufhören, zu weinen" (meint: Schneidet soeben die dritte Zwiebel).
Wichtig ist, dass alle durch diese suizidal wirkenden Sätze aufgescheucht werden und reflexartig in Massen Aufmunterndes von sich geben.

2% - Superdarling
Jeder liebt Superdarling. Superdarling ist so unglaublich positiv und nett, dass man es kaum für möglich hält. Am Herdfeuer von Superdarlings Herzen wärmen sich die von der Kälte des Netzes unterkühlten Massen.

1% - Ich-Girl
Das Ich-Girl tauscht sein Profilbild täglich aus, es beginnt fast alle Statusmeldungen mit "Ich ...". Es ist fast 20 Stunden am Tag bei Facebook eingeloggt, postet dann: "Ich bin so unglaublich müde" (surprise, suprise), "Ich schaffe meine Arbeit nicht mehr" (wen wunderts?), "Ich bin total dolle krank" (Überraschung: Vitamin D bildet sich in der Haut nur im Zusammenhang mit Sonnenlicht) (Link).
Das Ich-Girl schart eine größere Gruppe von mitfühlenden Mädchen um sich, die zu jeder Tages- und Nachtzeit eine Aufmunterung parat haben, zumindest in den ersten Jahren.

1% - Hyperactive!!!
Hyperactive!!! ist immer und überall zugegen, ist wunderbar witzig, kommentiert, was das Zeug hält - bis in die frühen Morgenstunden. Auf Hyperactive!!! mag niemand mehr verzichten wollen. Wenn Hyperactive!!! sich mal 23 Stunden nicht blicken läßt, gründet garantiert jemand eine "Wir wollen Hyperactive!!! zurück!"-Gruppe.

1% - Der Freak
Findet in den Weiten des Netzes immer etwas Außergewöhnliches, um es zu posten, oft bekommt man von den angeklickten Links leider Augenkrebs, but no risk no fun.

1% - Jäger(in) des verlorenen Links
"Weiß noch jemand den Link zu den hübschen Puschen, so Hausschuhe, grauer Filz, schmal geschnitten und wunderschön, den hatte jemand vor einem dreiviertel Jahr gepostet. Die wollte ich doch meiner Mami schenken!" - Im Grunde erklärt das schon alles.
F: Wie hieß nochmal diese Suchmaschine? A: Facebook

1% - Der Teleprompter
Aktualisiert etwa alle 6 Stunden seinen Status, am liebsten mit einem Handy-App, das Ganze im wichtig aussehenden Twitter-Style: "Bin #gerade mit #Heike im #IKEA". Dem Teleprompter ist das völlig Latte, ob das jemanden interessiert, es fiele ihm aber auch niemals ein, den Post eines Anderen zu kommentieren. Warum das "Soziales" Netzwerk heißt, wird dem Teleprompter für immer ein Rätsel bleiben.

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Dienstag, 22. Juni 2010

ru24: www 13 - Ich bin drin 3.0

Abends (nach einem Arbeitstag am PC im Büro) skype (Link) ich mit meiner Berliner Freundin. Das ist "videofonieren am PC", ich hätte es vor einer Woche auch noch nicht so genau gewusst.
Und wenn man schon am PC sitzt, so Auge in Auge miteinander quatscht, dann kann man sich gleichzeitig auch diverse Dateien zukommen lassen. Über Skype geht das jetzt irgendwie nicht, vermutlich weil sie "Mac ist" und ich "PC". Also senden wir uns während des Gesprächs z.B. ein Dutzend zusammengezippter Fotos via yousendit (Link) zu. Derweil tauschen wir uns über "unseren Tag" und den aktuellen Facebook-Tratsch (Link) aus, danach berichtet sie mir beiläufig in einem Nebensatz, dass sie mir auf meinen Flickr-Account (Link) ein paar Flickr-Mails geschrieben hat, um mich auf bestimmte Flickr-Gruppen aufmerksam zu machen, die mich interessieren könnten, auf die ich aber nimmer gekommen wäre (Beispiel).
Hey! Klasse!
Da geht plötzlich das "richtige" Telefon: Lüdel-lüdel-lüdel! Eine gute Freundin aus Köln ist dran, um mir mitzuteilen, dass sie mir eine SMS aufs Handy geschrieben hat, mit dem Inhalt, dass ich ein E-Mail bei web.de (Link) bekommen habe...
[*hüstel* Ja, tatsächlich bekomme ich nicht immer alles mit - und wer mich kennt...]
Während des Telefon-Telefonats mit ihr lächle ich in die neue Logitech-Webkamera auf meinem Monitor, werfe meiner fernen Videofoniererin eine Braue zu und öffne parallel bei web.de das E-Mail. Inhaltlich dreht es sich um die Kooperation zwischen der guten Freundin und mir auf "Google Text & Tabellen" (Link) die wir mit gemeinsamen Münchner Facebook-Freunden haben, wenn wir zur Kommunikation nicht gerade das Facebook-Mail mit dem Vierfachverteiler nutzen...
Mein Augenlid zuckt.
Ob alles in Ordnung ist, fragt meine Berliner Freundin, nachdem ich das Kölner Telefonat beendet habe.
Ich...
Nein, nein, alles in Ordnung, mein Mauszeiger irrlichtet herum, ich klicke irgendwo irgendwas, drehe Kreise.
Mein Blick ist leer.
"Ich muss auf die Couch", sage ich.

Ich gehe ein Buch lesen, aus Papier.

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Mittwoch, 16. Juni 2010

Lifestyle 36 - Duschen in Berlin

"Menschen, die man generell als genussfähig einstufen kann, verrichten ihre tägliche Körperreinigung nicht gerne wie in einem Gefangenenlager."
Diesen aufpeitschenden ersten Satz möchte ich einfach so mal so stehen lassen.

Es begab sich, dass in den 90ern ein Freund von Wuppertal nach Berlin zog.
Ich half ihm beim Umzug.
Als alles Mobiliar im 4. (gefühlten 6.) Stock endlich parat stand, und ich aus meinem Matratzenkoma erwacht war, "gönnte" ich mir eine Dusche.
Naja, "gönnte" war in dem Fall etwas arg opulent angelegt.
Es gab keine Duschkabine, keinen Duschvorhang.
In einer Wohnung, die gerade bezogen wird, ist das sicherlich verständlich...
Würdelos kauerte ich mich in die Wanne. Was irgendwie ausgesehen haben muss, als verneigte ich mich gen Mekka und würde gleichzeitig versuchen, mich vor Granatsplittern zu schützen. Ich fuhr mit dem Brausekopf mal hier hin, mal dort hin. Da, wo das warme Wasser gerade nicht war, bemächtigte sich meiner eine allumfassende Gänsehaut. In diversen entwürdigenden Posen schäumte ich mich ein, spülte mich ab, fluchte, fror.
"Weichei" werden jetzt viele zischen, die bereits mindestens 25 Jahre in einem russischen Gulag gedarbt haben.
Währenddessen verwandelte sich das Bad in ein Feuchtbiotop, in dem Schilf und Amphibien gediehen wären, wenn man sie nur gelassen hätte. Mein rechter Fuß patschte beim Aussteigen aus der Wanne bereits in Froschlaich. Der Badezimmer-Mülleimer dümpelte auf den Fluten, trieb leise in Richtung Tür, wo die Wassermassen sich unter dem Türspalt brausend in den Flur ergossen.
Wohl dem, der eine Haftpflichtversicherung sein Eigen nennt...
Ich war froh, dem zu fliehen!
Wieder zu Hause duschte ich ausgiebig in meiner neuzeitlichen Duschkabine und genoss das futuristische Leben der Schönen und Reichen des auslaufenden 20. Jahrhunderts!
Ein Jahr später besuchte ich meinen Freund.
Die Wohnung war... wohnlich!
Doch ach!
Von einer Duschkabine, von einem Duschvorhang war nirgends eine Spur! Ich ärgerte mich, gleich vier Tage Berlin gebucht zu haben. Und seitdem mehren sich die Hinweise, dass Berliner so etwas wie Duschkabinen und Duschvorhänge überhaupt gar nicht kennen! Weil sie lieber unwürdig kauern und frieren!
Etliche Hauptstadtbesucher zogen mich seither weinend ins Vertrauen, klagten über ähnliche Zustände in Berlin. Vorsintflutliche Zustände, die ganz automatisch zu nachsintflutlichen Badezimmern führen!!
"Et is doch en Elend inne Welt!", sacht de Mutter immer.
In den Slums von Bombay vielleicht, aber in der Hauptstadt Deutschlands?
Vielleicht sollten wir alle wieder wie nach dem Krieg "Notopfer Berlin"-Briefmarken auf unsere E-Mails kleben, bis alle dort in der Nachkriegsmoderne des dritten Jahrtausends angekommen sind.

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P.S.: Meine Lieblingsberlinerin hat als ehemalige Ost-Kanadierin natürlich Duschvorhang. Was bin ich doch für ein Glückspilz! :)