Samstag, 17. Juli 2010

ru24 Wissen 16 - bedrohte Wörter

Alles was lebt, erzeugt als Kennzeichen des Lebens auch Abfallprodukte, so auch die deutsche Sprache. Wörter, die dereinst ach so bezeichnend waren, fallen weg, werden nicht mehr benutzt. Schaut man in einen aktuellen Duden "Rechtschreibung" oder "Fremdwörterbuch", finden sich tausende von Wörtern, die den Zusatz "veraltet" tragen. Das ist nicht immer so schlimm. Bei dieser kleinen und ganz willkürlichen Aufstellung (Duden, ich bin nur bis "G" gekommen) ahnt man vielleicht, warum:
bo|mät|schen (veraltet) Lastkähne stromaufwärts ziehen, treideln
Cau|seu|se die; -, -n: (veraltet) 1. unbekümmert-munter plaudernde Frau. 2. kleines Sofa
E|lu|ku|b|ra|ti|on die; -, -en : (veraltet) a) mühevoll erstellte, sorgfältige Abhandlung; b) wissenschaftliche Arbeit, die nachts geschaffen wurde
Ga|lo|pin der; -s, -s : (veraltet) 1. Ordonnanzoffizier. 2. heiterer, unbeschwerter junger Mensch
Daß "bomätschen" gleichbedeutend ist mit "treideln" – wer hätte das gedacht? Da alle Diplom- oder Magisterarbeiten, derer ich je Zeuge wurde, sowieso immer nur Nachts und auf den letzten Drücker geschrieben werden, ist ein spezielles Wort wie "Elukubration" nicht mehr vonnöten. Und wenn die Causeuse mit dem Galopin erst einmal im Séparée verschwunden ist, dann heißt mich ohnehin der Anstand schweigen. Von fallen gelassenen Beinkleidern will ich dann schon gar nichts wissen.
Also, who cares?
Die durchweg lesenswerte Seite www.bedrohte-woerter.de (Link) macht Werbung für Bodo Mrozeks mittlerweile zwei „Lexika der bedrohten Wörter“. Zwei Einträge aus dem Lexikon, sind mir sehr ans Herz gewachsen:
Quarre - Quengelndes Kind, früher auch als Göre bekannt. Das Wort stammt aus einer Zeit, als Französisch noch Konversationssprache war. Heute heißen alle Kinder Kids und gehen zu McDonald’s.
urst - Ostdeutsch [...]. Meist als Steigerungsform verwendet, synonym zum herkömmlichen Wort sehr. Zeitweilig beliebt in der Kombination mit anderen bedrohten Begriffen, etwa: "Die Fete war urst geil." Nach 1990 in den Duden aufgenommen. [...] Wird verdrängt durch die Adjektive fett oder krass.
Und dann der Schock: tatsächlich verschwinden ja auch die wichtigen, kuriosen Wörter, meist scherzhafte Synonyme, die aus meinem Wortschatz beileibe nicht mehr wegzudenken sind! Bescheiden, wie ich nun einmal bin, will ich mal nur derer 30 nennen, die Mrozek in seinen Büchern behandelt:
angelegentlich, Augenstern, Augenweide, baff, bannig, bass, bräsig, Bredouille, Brimborium, dufte, Feudel, Firlefanz, Flausen, Fluppe, garstig, Gemächt, Geschmeide, Gutdünken, Humbug, in petto, Kavalier, knorke, Plörre, Popper, Prilblume, Rollschuh, Stegreif, urst, weiland, wohlfeil.
Wollen wir nicht mit aller Kraft versuchen, so viele wie möglich dieser zu Unrecht ungeliebten Kleinode vor dem Aussterben zu bewahren?
Das wäre doch sowas von urst knorke, oder?

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