Mittwoch, 24. Dezember 2014

Wunder der Weihnachtszeit 4

photo credit: Kotah and Santa in the Evening via photopin (license)
Heiligabend bin ich zur Mittagszeit im Geniesel kurz zum EDEKA gelaufen, die Reste besorgen. Am Fuße der Rathaus-Galerie in Wuppertal-Elberfeld begegneten mir zwei alte Frauen mit nikotingegerbten Pekinesengesichtern. Sie husteten beide was das Zeug hielt und würgten dabei offenbar faustgroße Klumpen Sputum aus den Untiefen ihrer Lungen nach oben. Es klang wie "Der Zauberberg", letztes Kapitel
"Raucht euch mal eine!", murmelte ich für sie unhörbar.
Eine der beiden hatte fertig gewürgt.
"Wir müssen noch Zigaretten kaufen!", sagte sie zu ihrer Mithustenden mit John-Wayne-Synchronstimme.
Yay!
War ich nicht gerade in diesem allerprofansten Moment Zeuge des Wunders der Vorweihnachtszeit geworden?
Wunder schafft die Weihnachtszeit.
Vor dem Dorf, darin verschneit
jeder Hof und jedes Haus,
Vogelbeerbaum, Nacht für Nacht
hundert Lichtlein trägt, entfacht,
die da leuchten weit hinaus.
Achtet seiner Herrlichkeit
niemand auch im Wintergraus,
bläst der Wind doch keins ihm aus,
alle strahlen dicht gereiht -
Wunder schafft die Weihnachtszeit.

(Martin Greif, 1839 - 1911)
Meine Güte!


Mehr "Wunder der Vorweihnachtszeit": hier.


Mittwoch, 17. Dezember 2014

Die Zukunft

photo credit: Man holding object via photopin (license)
In meiner Kindheit war ich umgeben von 60er-Jahre-Büchern wie "Das neue Universum", deren "Themenwahl und inhaltliche Gestaltung (sich) durch einen starken Zukunfts-, Wissenschafts- und Machbarkeitsoptimismus aus(zeichnete)" (Link). Kaum ein Titelbild, das nicht einem Aspekt der Raumfahrt gehuldigt hätte. Das war die Zukunft! Der Held meiner Jugend war James T. Kirk. Als ich als Schüler, um 1980 befragt, mir die Zukunft des Jahres 2000 vorstellen sollte, gab es in dieser fernen Zukunft natürlich eine Station auf dem Mond und eine auf dem Mars, mindestens. Der Kontakt zu Außerirdischen war zu diesem Zeitpunkt fast schon gezwungenermaßen eingetreten. Ich las dutzende und aberdutzende Romane wie "Der Mond ist eine herbe Geliebte" von Robert A. Heinlein (Link), "Wasser für den Mars" von Isaac Asimov (Link) und Ray Bradburys "Mars-Chroniken" (Link).
So würde die Zukunft werden!

Doch da die NASA aber aus Kostengründen seit 1972 keinen Menschen mehr auf den Mond geschweige denn auf andere Himmelskörper gebracht hatte, wandte sich die SF bald anderen, inneren Themen zu – Cyberpunk & Cyberspace. 1982 erschien die noch heute absolut sensationelle Kurzgeschichte "Chrom brennt" (Link) von William Gibson, ein Meilenstein. Das Cyberspace war geboren, Gehirn und Maschine gehen in absehbarer Zeit eine nicht immer ungefährliche Beziehung ein. Das war die Zukunft! Im gleichen Jahr brachte Intel seinen 286er Prozessor auf den Markt (Link), der bis in die frühen 90er gebaut wurde, Disney brachte "Tron" (Link) in die Kinos. Ich las dutzende und aberdutzende Romane wie die "Neuromancer-Trilogie" von William Gibson (Link), "Snow Crash" & "Diamond Age" von Neil Stephenson (Link) und Walter Jon Williams "Hardware" (Link).
So würde die Zukunft werden!

Dann kam alles anders. Das SF-Genre wanderte weiter. Jetzt, in Zeiten, in denen Kühlschränke eine IP-Adresse haben und Handys einen Vierkernprozessor, soll eines Tages am Horizont der beständigen, sich beschleunigender Entwicklungen die Singularität (Link) aufscheinen. Dies ist der Augenblick zu Bewusstsein kommender künstlicher Intelligenzen, die bei dem ganzen Fortschrittsgedöns quasi zusätzlich noch die Turbo-Taste drücken, sodass ein "Danach" im völligen Vorhersage-Dunkel liegen muss. Das war die Zukunft! Außerdem hatte Mitte 2014 erstmalig die Maschine "Eugene Goostman" den Turing-Test bestanden (Link). Ich verschlang die Bücher des britischen Autors Charles Stross, allen voran den Kick-Ass-Technologieroman "Accelerando" (Link).
So würde die Zukunft werden!

OK, ich geb's zu, ich habe mittlerweile den Verdacht, dass auch das nichts werden wird.

Die Briten haben schon ein neues SF-Genre in der Mache, die "mundane Science Fiction" (Link). Dabei handelt es sich um eine realtiätsnähere SF als die der vergangenen Jahrzehnte. Man gibt sich erschreckend realistisch: Es wird (wegen Einstein) keine interstellare Raumfahrt geben, deshalb wird es auch nicht zu einer Kontaktaufnahme mit Außerirdischen kommen (weil die auch nicht da wegkommen, wo sie gerade sind, wenn es sie überhaupt gibt). Und Parallelwelten sind auch gestrichen. Konsens: Machen wir uns nichts vor, wir sitzen hier fest. Diese SF prognostiziert nur das Mögliche. Oder man geht dabei sogar so weit wie William Gibson, der gereift, nunmehr statt der Zukunft in seiner aktuellen Bigend-Trilogie nur noch "die Gegenwart vorhersagt" (Link). Ironischer- oder konsequenterweise sind die Bände dieser Trilogie (Mustererkennung, Quellcode, System Neustart) Stand 12/2014 nicht einmal als Kindle-E-Book erhältlich, sondern nur als gutes, altes Buch.

Um den großen Karl Valentin zu zitieren: "Die Zukunft war früher auch besser".


Ein Labsal: http://vimeo.com/108650530


Sonntag, 14. Dezember 2014

ru 25 history 51: Telefonieren

photo credit: Nostalgia ! via photopin (license)
Von 1974 an gab es für "günstiges Telefonieren" den sog. "Mondscheintarif" (Wikipedia). Der führte ab 18.00 Uhr zu Schlangen an den Telefonzellen und allgemein zu so hohem Gesprächsaufkommen, dass ganze Ortsnetze nicht mehr erreichbar waren. Deshalb schaffte ihn die Post 1980 wieder ab -- wegen des großen Erfolges. Is klar. Später gab es ihn dann unter der Bezeichnung Moonshine-Tarif wieder. Die Spinner.
Das Telefonieren kostete zwischen dem 3. Januar 1980 und Heiligabend 1988 werktags von 8–18 Uhr 0,23 DM je 8 Min und die übrige Zeit 23 Pf je 16 Min.
Liebe Post: Das waren ja je nach Uhrzeit 7,5 oder 3,75 Takte die Stunde zu je 0,23 DM, was 1,73 DM oder 0,86 DM entsprach -- das habt ihr Penner doch mit Absicht gemacht, dass sich das kein Schwein merken oder nachvollziehen konnte, oder?
In den 80ern haben wir auf jeden Fall immer Hektik am Telefon gemacht. Denn keinesfalls durfte nämlich die Telefonrechnung zu Hause die magische Grenze von 50,00 DM pro Monat überschreiten, sonst wäre Tango gewesen. Dann wäre ein Wählscheibenschloss ans Telefon gekommen, wie immer gedroht wurde.
Die Telefonnummern meiner Freunde, die von Tante und Oma und die von zu Hause hatte ich alle im Kopf -- Kunststück, die Telefonnummern meiner Kindheit waren allesamt vierstellig. Wir hatten zu Hause 5411. Am grünen Wählscheibentelefon im Wohnzimmer meiner Eltern wählte ich die 4 ratratratrat, 3 ratratrat, 0 ratratratratratratratrat, 3 ratratrat. Und nach dreimal schellen (und es war eine "Schelle") hatte ich im Idealfall meinen Kumpel Michael am Telefon, oder seine Mutter, die mich dann weitergab. Wir verabredeten uns in der Stadt und wenn einer von uns beiden mal nicht pünktlich am Treffpunkt war, dann wartetet man eben so lange, bis der andere aufschien. Niemand wäre auf die Idee gekommen, jetzt in schneller Folge vier oder fünf Postkarten rauszuhauen, Inhalt: "Wo bleibst du?" und 17 Sekunden später: "Ich warte seit 5 Minuten!"
Die Wartezeit verbrachte man stattdessen damit, Ortsfremden, die mit ihrem 5 kg schweren Autoatlas von 1972 nicht weiterkamen und mit ihrem 1969er Opel Rekord am Rand hielten, den Weg zur Landessportschule zu erklären.
Irgendwann kam der Kumpel dann auch mal angeschlappt auf seinen Adidas Allround.
Und wenn nicht, dann ging man eben wieder nach Hause.


Samstag, 29. November 2014

Zum Advent: Der Tempel der zerlegten Glückseligkeit

photo credit: IKEA Spandau via photopin (license)

1943 gründete Ingvar Feodor Kamprad mit zarten 17 Jahren das Unternehmen IKEA. Die folgenden Jahre tüftelte der Jungunternehmer daran herum, auf wen man die schlimmste Arbeit der Möbelindustrie, nämlich das Zusammenkloppen der Einzelteile zu fertigen Möbeln, auslagern könnte. Niemand wollte diese undankbare und schweißtreibende Aufgabe übernehmen - es war ein Dilemma! Vier Jahre Hirnschmalz später gelang es Kamprad 1947 erstmalig, einen Endkunden, Herrn Erik Brantgaard (52), dazu zu bringen, sein neues Sideboard fluchend und wie ein Schwein schwitzend selbst zusammenzubauen. Man hatte den Dummen fürs Zusammenbauen gefunden! Das Unternehmen IKEA begann nach diesem erfolgreichen Test sofort seinen kometenhaften Aufstieg. Später kamen noch Designer wie Tord Björklund mit ins Boot, die sehr dicke Bretter an die Wand dübelten, um Tand, Schnickes und - dem Trend folgend - das Zweitbuch darauf abzustellen. Kamprad, nicht doof, verkaufte den Kunden zum sehr dicken Brett ab sofort auch gleich noch den Schnickes und den Tand dazu. Heute gehört er zu den reichsten Menschen der Welt.

Doch weder Ingvar Kamprad, Tord Björklund und schon gar nicht Erik Brantgaard hätten sich das Gewimmel vorstellen können, welches sich an den vier Adventssamstagen in Deutschland in und um IKEAs abspielt.

Wenn man erst auf dem Parkplatz des Möbelhauses ankommt, wenn die kleinen Parkplatzwächter-Wichtel bereits getrocknete Tränenspuren auf ihren roten Wangen haben, dann kann man mit Gewissheit sagen: Ihr seid zu spät! Vielleicht bekommt man noch nach einigem hektischen Gegurke und zehn Minuten Stop & Go einen Parkplatz ganz hinten. Dann lässt man sich vom Strom hochwinterlich gekleideter Menschen in den Tempel der zerlegten Glückseligkeit treiben. Alles ist schwarz vor Menschen, Kinder wimmeln, wenn sie nicht winseln. Die labyrinthischen Wege kanalisieren die Shoppenden wie Vieh, das langsam voranstrebt. Arme greifen im trägen Getümmel rechts und links mechanisch nach Tand und Schnickes, der in riesigen, gelben Umhängesäcken verschwindet. Die Anspannung steigt.

Am Restaurant angekommen, fällt die Wahl nicht schwer. Köttbullar mit Rahmsoße und Pommes sind jetzt das ideale Pflaster für die waidwunde Seele. Nach dem Schlangestehen an Essensausgabe und Kasse kann man nun seine nicht mehr ganz warmen Schweinebällchen in einer der hinteren Ecken des Restaurants hinunterschlingen. Und weiter geht’s: Wir sind ja nicht zum scheiß Spaß hier!

In der sogenannten "Markthalle" bewaffnen sich alle mit Einkaufswagen, weil niemand mehr Lust hat, weiterhin wie ein Flüchtling den gelben Sack mit sich herumzuschleppen und sich die Körperhaltung ein für alle Mal zu versauen. Schon drei Meter weiter kommt es zum ersten Einkaufswagenstau, an den man sich schnell gewöhnen sollte, denn die nächsten 1,2 Gebäudekilometer legt man ausschließlich mittels Stop & Go zurück. Dabei hat man genug Zeit, sich mehr Tand und Schnickes zu greifen, als einem lieb ist.
Kaum eine Stunde später ist man sogar durch die Kasse, zahlt einen überraschenderweise dreistelligen Betrag für überbrachial parfümierte Kerzen in Gläsern und allerlei Gegenstände, an die man keine Erinnerung mehr hat, dass man sie je in den Einkaufswagen gelegt hat. Bevor man zu viel darüber nachdenkt kann man sich jetzt noch direkt hinter den Kassen nach bester IKEA/Kamprad-Tradition ein Hotdog aus hochsynthetischen Zutaten selbst zusammenbauen und es selbstverständlich lauwarm herunterschlingen.

Achtung: Wenn man die Kofferraumklappe noch geschlossen bekommt, dann hat man es nicht richtig gemacht. Zur Strafe muss man dann am nächsten Adventssamstag wieder hin.

Wer nun denkt, er hätte das Schlimmste hinter sich, darf zu Hause noch Möbel schleppen, zusammensetzen und dabei wie ein Schwein schwitzen, wie es seinerzeit Herr Erik Brantgaard vorgemacht hat.


Mehr IKEA: Blogbeitrag


Freitag, 31. Oktober 2014

TW 7 - Der Brot-Zwischenfall


Letztens Mittwochs hatte T.W. (Tante Waltraud) nur en paar Kleinigkeiten einzukaufen. Danach "wollten" wir Tante Walburga im Krankenhaus besuchen. Gesagt, getan. Am Krankenhaus angekommen nahm de Tante ihren Beutel mit den Einkäufen mit und alsbald fanden wir uns im Krankenzimmer ein.
"Hallo!", sagte ich zu der elend darniederliegenden Tante Walburga.
"Ich muss mal eben!", verkündete T.W. un verschwand.
Die nächsten 20 Minuten vergingen wat zäh, während ich versuchte, mit der arg maladen Tante Konversation zu machen. T.W. blieb währenddessen verschollen wie seinerzeit der Polarforscher Scott Anno 1912.
"Wo isse?", fragte ich nach einer Weile ratlos innen Raum.
"Och, se verläuft sich ja neuerdings schon mal!", hellte sich die Leidensmiene der Besuchten auf, se kannte dat wohl schon. Kurz bevor ich einen Suchtrupp mit Hunden losschicken wollte, tauchte T.W. gottlob wieder auf.
"Ich hatte mich verlaufen", sagte se.
Das wäre jetzt eigentlich gemäß meiner Uhr der Augenblick gewesen, an dem ich gerne "Arrivederci, Claire" gesagt vulgo "die Biege gemacht" hätte, aber de Tante war ja quasi justament erst eingetroffen. Jubilate! Se wühlte in ihrer Einkaufstasche und förderte ihre traditionellen Gaben, de Gold-Weihrauch-und-Myrrhe-Pendants Vollmilch-Schogetten, Tempo-Taschentücher un de Apotheken-Rundschau zutage.
Nach einer Weile brachen wir auf, ich fuhr de Tante nach Hause, froh, dass ich an dem Tag auch noch irgendwann Heim kommen würde. Beim Aussteigen fuhr de T.W. de Schreck durch de Glieder!
"Gottogott! Ich hab de Einkäufe stehen lassen!"
"Tantchen, wat war denn noch drin inner Tasche?"
De Tante konsultierte ihren Einkaufszettel. Abzüglich der Gaben, die sie verschenkt hatte, handelte et sich bei "ihren Einkäufen" um ein (1) Brot zu 1,27 EUR.
"Würdest du mir de Einkäufe noch holen?", fragte se als Angehörige einer Generation, die urst spendabel mit der Lebenszeit ihrer jüngeren Anverwandten umging.
"Tante. Du hast noch Brot zu Hause. Am Sonntag fahrt ihr doch wieder hin zu de Walburga, dann holste dir dat Brot einfach ab, dat ist dann auch noch gut!"
Wat wiederwillig stimmte se zu.

Auf der Fahrt nach Hause kamen mir erste Zweifel: Würde de Tante weitere vier Tage ohne ihr Brot zu 1,27 EUR leben können, zumal sie laut Google Maps 220 m vom Penny-Markt entfernt wohnt? Konnte dat wohl gutgehn?
Kaum zu Hause angekommen, rief ich en Bruder an und erklärte ihm die Sache.
"Ich weiß", sagte er. De Tante hatte wahrhaftig schon bei ihm angerufen, ob er ihr nich "de Einkäufe" ausm Krankenhaus holen könnte, Neffe Henning hättet ja nich gemacht.
Herr im Hemd! Man glaubt et nich!
Tags drauf hat der Bruder auf dem Rückweg vonner Arbeit nen Umweg am Krankenhaus vorbei gemacht, dat verdext kriegswichtige Brot zu 1,27 EUR abgeholt un ihr vorbei gebracht, damit de arme Seele endlich Ruh hatte!
Wat en Theater!


Montag, 13. Oktober 2014

Bürogeplänkel 54 - Schneckenbutter

photo credit: Ricardo Alguacil via photopin cc

Sich mit ungefähr 40 Personen einen Kühlschrank zu teilen, ist ein Abenteuer. Kurz zusammengefasst kann man sagen "entweder, es verrottet spektakulär oder es verschwindet spurlos (peu à peu oder von jetzt auf gleich)".
Als vor etwa 10 Jahren in dem Unternehmen, in dem ich arbeite, die Parole ausgegeben wurde, dass jedes sich im Kühlschrank befindliche nicht-personalisierte Lebensmittel quasi Freiwild für alle ist, brachen interessante Zeiten an. Für mich und viele meiner Kolleg(inn)en eröffnete sich hiermit quasi über Nacht ganz legal ein Blick über den Tellerrand! Zeitgleich begannen die Mitarbeiter notgedrungen, ihre Lebensmittel mit einem Edding zu beschriften -- doch nur ein Name ist ein verhältnismäßig schwacher Schutz gegen die Mächte der Finsternis!
Muahaha!

1) Die Leserlichen. Man kann seine Nahrungsmittel noch so augenfällig und überaus lesbar beschriften, röng-döng! ist meine überaus streichfähige, dänische Butter wieder leer. Einmal fluchte ich gotteslästerlich über diesen Umstand, da rief Martina zu mir rüber: "Och, deine Butter benutze ich immer!" Eine andere Kollegin erscheint täglich an meinem Arbeitsplatz und signalisiert mir mit wild improvisierter Pantomime (während ich telefoniere), dass sie auch gerne etwas von meinem hoch-streichfähigen Streichfett abhaben möchte. Seufz. Türlich, türlich, sicher Digger.
2) Die Virtuellen. Selbst nach all den Jahren gibt es Lebensmittel, die unsichtbar, quasi virtuell beschriftet sind, zum Beispiel Joghurts mit Verdauungs-Schnickschnack und linksdrehendem Gedöns: Wer es wagt, diese unpersonalisierten Magen-Darm-Booster illegal zu sich zu nehmen, der! wird! ausfindig! gemacht! und hat dann eine Woche lang Schuldwoche, weil Andrea oder wer auch immer nicht so feudal wie sonst Pupsi machen kann.
3) Die Unleserlichen. Was steht da auf den lecker aussehenden Frikadellenbällchen? Heißt im Büro jemand wirklich التشكيلHaha! Mitnichten! Wahrscheinlich soll das aberwitzige Gekrakel "für alle" heißen. Somit kann diese Leckerei vollkommen reuelos verzehrt werden! Hurra! Jetzt noch etwas Ketchup von "Olm", oder was das auch immer heißen soll! Was soll ich sagen: Am Ende heult wieder einer.
4) Die Über-Leserlichen. Eine Kollegin hat seit Jahren immer ihre denkbar überdeutlich nach DIN ISO 3098 beschriftete Pepsi Light im Firmenkühlschrank stehen. Jeden Tag fehlen etwa 100 ml und ziemlich viel von der Kohlensäure. Macht da jemand seit Jahren täglich den Pepsi-Test? DAS war selbst für Kenner der Materie etwas unheimlich. Sollte man eine Video-Überwachung unstallieren oder die Ghostbusters rsp. einen Exorzisten rufen? Dieser Umstand ließ sich erst beheben, als sie ihre Flasche rüber an ihren Arbeitsplatz genommen hat. Da hat die Limo zwar Zimmertemperatur, ist aber vorhanden und schäumt sogar.
5) Der Fluch. Und dann sind da noch die Verfallsdatum-Nazis von der wöchentlichen Kühlschrankrevision. WFT ist gegen eine Butter einzuwenden, die einen bis 30 Tage über das verdammte sogenannte "Mindesthaltbarkeitsdatum" ist, aber noch einwandfrei schmeckt? Auch wenn mein Name drauf stand, ist sie nun auf dem Weg zur Deponie. Verflucht sollt ihr sein! Aber التشكيل's seit zwei Wochen rot schimmelnden Spargel im Glas oder den in fauliger Pestilenz vor sich hinrottenden Buko, den lasst ihr im Kühli stehen, weil der ungeöffnet mindestens haltbar ist bis 12/2017, ihr Vögel?

Was also hilft? Der ru24-Tipp für den Firmenkühlschrank:
Ein geschickt mit einem Radierstift getilgtes Mindesthaltbarkeitsdatum ist die Grundvoraussetzung im Kampf gegen die MHD-Schergen. Gegen Mitesser hilft nur mehr Exotik: Wie wärs mit indonesischer Nacktschneckenbutter? Oder mit dem springlebendig wirkenden, sardischen Schafskäse "Casu Marzu" (Link)? Notfalls helfen auch Koala-Frikadellen! Lieber als Unmensch gelten als hungrig bleiben!
Muahaha!
Der Kollegin mit der schwindsüchtigen Pepsi möchte ich zurufen: Versuch doch mal peruanische "Inca Cola" (Link), oder nicht ganz so exotisch "Uludağ Cola" (Link, gibt es hier an jedem türkisch geführten Kiosk) dann ist vermutlich Ruh. Und wenn nicht, dann ist es etwas Persönliches.


Samstag, 4. Oktober 2014

www 21 - web.de

photo credit: mario_ruckh via photopin cc

Seit etwa 15 Jahren habe ich ein E-Mail-Konto bei web.de
Technisch ist gegen den Laden nichts einzuwenden, alles ist kostenlos und läuft. Das einzige Problem ist der sogenannte "redaktionelle Teil", den man als User aufgezwungen bekommt, sobald man sich an web.de an- oder abmeldet.

Das sieht in etwa so aus:
  • Das denkt Özil wirklich über Mertesackers Vorhautverengung
  • Männer: Warum Fremdgehen sich lohnt
  • Bilderstrecke: Diese Boxenluder packen aus
  • Bilderstrecke: Nackt im RTL-Container
  • Wiesn-Liebe und die Sterne: Flirten im Festzelt? Unser Horoskop verrät, wann sich das lohnt

Hey! Das sind ja genau die Themen, die mich brennend interessieren würden, wenn ich Grundschulabbrecher wäre! Als Hochschulabbrecher indes finde ich den RTL-Container, das Dschungelcamp oder Micaela Schäfer in etwa so interessant wie einen Nagel im Kopf. Schon deshalb möchte ich gerne zu einem anderen Mail-Webdienst wechseln, zu einem, der mich nicht für geistig zurückgeblieben hält -- habt ihr irgendwelche Vorschläge, ihr dauergeilen, blutjungen Stücke?


Sonntag, 21. September 2014

Zurück in die Zukunft

photo credit: if i only had a cassette player via photopin (license)
Früher war ja angeblich alles besser. Mittels dieses Irrglaubens sammelt sich die AfD (»Alternative für Deutschland«) an den Rändern von Parteien und Gesellschaft ihre Wähler zusammen.

Natürlich ist die Gegenwart reich an Irrungen und Wirrungen, aber – hey! Das war sie schon immer!

Die 80er waren ja nicht nur lecker Bananarama & Miami Vice: Die Achtzigerjahre, das waren Vanilia-Hosen, die kaum einem standen, Schulterpolster und Betonfrisürkes! Ich schaffte am Zauberwürfel nicht mal eine Seite, egal, wie lange ich an dem Kackteil herumkurbelte! Waldsterben war ein Riesenthema, sodass der Begriff »the waldsterben« sogar als Lehnwort in die amerikanische Sprache aufgenommen worden ist. Wenn gewisse Chemiewerke nachts ihre Abwässer in den Rhein kippten, haben Leute schon in den verseuchten Fluten stehend ihre Fotos entwickelt – weil sie es konnten. Auch gab es eine permanente unterschwellige Bedrohung durch Atomwaffen des Warschauer Paktes. Sogar unser »Freund«, der frische Franzos, hatte seine atomaren Mittelstreckenraketen freundlicherweise allesamt auf den chemisch verseuchten Rhein gerichtet, größer war die Reichweite nämlich nicht. Et war nämlich so überaus herrlich in den 80ern! Dass wir alle mal durch so einen Mist wie in »War Games« (1983) draufgehen würden, unseren »The Day After« (1983) vielleicht noch erleben mussten, das schien Gewissheit. Wir lebten in permanenter, unterschwelliger Prä-Apokalypse. Besonders schrecklich: Zwischen 1985 und 1989 hatte Modern Talking fünf Nummer-Eins-Hits in Deutschland (Link)! Reichlich Sex mit häufig wechselnden Partnerinnen hätte mich easy über das Schlimmste hinwegtrösten können, aber dummerweise kam AIDS auf (Wort des Jahres 1987) und es wurde ein bissi hysterisch. Keiner wusste 100% genau, wie & wo man sich anstecken konnte, man konnte es ja nicht googeln. Ich kann mich erinnern, mal in die Stadtbücherei gegangen zu sein, um mich in einem aktuellen Lexikon über die Immunschwächekrankheit zu informieren. Später allerdings konnte man angeblich »auch mal ’ne Tasse verwechseln« (O-Ton), aber es blieb eine Grund-Unsicherheit. 1986 nach Tschernobyl kam Gemüse mit Bequerel-Angaben drauf in den Handel, zum praktischen Selber-Entscheiden, ob die Strahlenbelastung von z.B. 2250 Bq pro Kilo durch Jod-131 für einen noch OK ist oder nicht. 1989 hat Helmut »Birne« Kohl die Wiedervereinigung durchgepeitscht, damit er als »Kanzler der Einheit« in die Geschichte eingeht. Dafür hat er allen »blühende Landschaften« versprochen. Die Option eines »Dritten Weges« (die DDR erst einmal als eigenständigen Staat zu erhalten) wurde zugunsten von sehr schnell schal werdendem Pathos und zu großer Eile verworfen. DAS wäre nämlich eine ECHTE Alternative für Deutschland gewesen, damals vor 25 Jahren.
Dafür wählen die Bewohner der betroffenen Landschaften nun vermehrt AfD – und so schließt sich elegant der Kreis.

»Life's what you make it« (Talk Talk, 1986): Also ran ans pralle Leben! Unkomplizierter wird's nämlich nicht mehr. Außer später im geschönten Rückblick 25 Jahre später von 2039 aus gesehen.
»Früher« ist gut für Anekdoten, aber zumindest ich möchte es nicht zurück.
Außerdem gabs ja nicht mal WLAN.


Montag, 8. September 2014

Der etwas andere Blogbeitrag

photo credit: Kiosk Neustadtring Ecke Glücksstaße via photopin (license)

Wenn man drauf achtet, findet man es IRL oder im Internet auf Schritt & Tritt: "der/die/das etwas andere" Wasauchimmer. Natürlich, normal sind wir ja alle nicht!
Sicher, sicher.
Sind wir nicht alle ein bisschen bluna?
Ja, ja.
Also werten wir ein kleines, nach Pipi riechendes Bahnhofs-Kiosk mal mit der Nullaussage "Das etwas andere Kiosk" urst superdolle auf. Dito "die etwas andere Tankstelle" (stinkt nach Gummi, Sprit und Pächter) und "der etwas andere Blumenladen" (müffelt nach Geranien).
Meine Herren!
Hier handelt es sich eindeutig um das Arschgeweih aller Aussagen über Wasauchimmer!
Und andererseits: Wer möchte denn ernstlich "die etwas andere Abreibung" oder "den etwas anderen Insektenstich" bekommen, geschweige denn "der etwas anderen Motorradgang" begegnen? Oder wie wärs mit der "etwas anderen unheilbaren Krankheit"?
Aha!
Sucht man bei Google (Stand 08.09.2014), so finden sich:
  • "der etwas andere": ungefähr 14.600.000 Ergebnisse
  • "die etwas andere": ungefähr 15.800.000 Ergebnisse
  • "das etwas andere": ungefähr 13.800.000 Ergebnisse
Was unterm Strich 44.200.000 mal "etwas andere" Wasauchimmers ergibt.
Und 44,2 Millionen mal "etwas anders" ist exakt der gleiche Bullshit wie alles andere auch.
Ihr macht mich echt fertig.


Donnerstag, 4. September 2014

Bürogeplänkel 53 - Es ist noch Kuchen da

photo credit: multipel_bleiben via photopin cc

Kollegin Steffi kommt ins Großraumbüro geeilt, ein Kuchenblech auf der Hand.
"Es ist noch Kuchen da, wer will?", fragt sie.
Etwa ein Dutzend Hände recken sich sofort in die Luft.
"Habe ich selbst gebacken!", sage Steffi stolz.
Noch sieben Hände.
"Ganz ohne Backmischung!"
Noch drei Hände.
"Ich stells mal hier hin!"
Als sie sich umdreht, schauen alle total angestrengt auf ihre Bildschirme.

Iris hat jetzt ein Stück gegessen.
Es hat ihr angeblich geschmeckt.
Nun beobachten alle Iris.
Ich drücke ihr mal die Daumen..

[Aufgabe: Markiere alle Stellen im Text, an denen man merken kann, dass Steffi nicht oft backt und jeder im Büro das weiß. (6 Punkte)]


Freitag, 22. August 2014

Phalanx der Dienstleistung (2011)

photo credit: icatus via photopin cc
Als wir Spätsommer 2011 in unsere Wuppertaler Wohnung einzogen, gab es noch einige Mängel, die der Hauseigentümer ausbügeln sollte, unter anderem ein gesprungenes Waschbecken im Bad zu ersetzen.
Ich grofelte gerade durch diverse Kartonagen des kurzum stattgefundenen Umzugs, als es an der Tür schellte, ich blinzelte in den Treppenhausflur. Hier begehrte offenbar eine ganze Reisegruppe Einlass! Aber nein - es war der Hauseigentümer mit drei (3) Klempnern im Gefolge! Meine Herren! Die Handwerker staffelten sich in die Altersgruppen "kurz vor der Rente", "im besten Alter" und "Larvenstadium". Die Eintreffenden stürzten sich quasi zeitgleich ins Bad ohne sich in der Tür zu verkeilen - Profis eben - und begannen zu werkeln - welch beeindruckende Phalanx der Dienstleistung! Mir war, als wirke Orkus, der römische Gott des Klempnerhandwerkes höchstselbst für mich persönlich ein Wunder!
Da fühlte ich mich als Kunde & Mieter richtig ernst genommen!
Ich kam hinzu. Nun befanden sich im Bad zeitgleich drei Klempner, ein Hauseigentümer und ein Mieter (moi). Von dem Gewimmel zuckte mir das Augenlid! Der Klempner-Stammesälteste nahm mich zur Seite, führte mich aus dem Bad, bewunderte die Wohnung, wies auf dieses und jenes Detail hin und sparte nicht mit Lob, sang Hymnen auf den Balkon.
"Darf ich fragen, mit wie viel Personen Sie in diese wunderbare helle und große Wohnung ziehen?", fragte er ehrfürchtig mit einem leichten Timbre in der Stimme.
"Wir sind zu zweit", antwortete ich etwas baff.
"DAS IST LUXUS!!!", begeisterte sich der Handwerker-Senior speichelsprühend, wiederholte den Satz mehrfach.
Da fühlte ich mich als Kunde & Mieter richtig geschmeichelt!
Kurzum quollen Vermieter und allerlei Handwerker aus dem Bad, verabschiedeten sich und verschwanden etwas zu hurtig im Treppenhaus.
Ich ging ins Bad.
  1. Das neue Waschbecken war stark nach vorne geneigt.
  2. Es war dermaßen niedrig angebracht worden, sodass ich bei dem Unterschrank die Beine absägen musste, um ihn überhaupt darunter zu bekommen
  3. Die Silikonmasse zwischen Wand und Becken schien von betrunkenen Irren aufgetragen worden zu sein.
  4. Die Stöpsel-Mechanik funktionierte nicht, war der Stöpsel einmal unten, musste man unters Becken greifen und ihn am Gestänge manuell und mit dem richtigen Schwung wieder herausdrücken, der Hebel im Waschbecken selbst war völlig nutzlos.
Mir dämmerte, dass der Stammesälteste der Blaumänner mit seinen Lobeshymnen auf die Wohnung nur eine Klempnerhandwerks-Nebelkerze gezündet hatte, damit seine Kollegen im Auftrag und unter der Aufsicht des übersparsamen Eigentümers ganz in Ruhe preiswerte, schlampige Arbeit machen konnten.
Da fühlte ich mich als Kunde & Mieter mal so richtig verarscht!


Mehr Klempnerhandwerk: Blogbeiträge


Sonntag, 17. August 2014

Mein schönstes Urlaubserlebnis (1996)

photo credit: IMGP6462.jpg via photopin (license)

1996 sind wir mit einer Handvoll Freunden in ein Ferienhaus nach Mandø gefahren. Mandø ist eine dänische Gezeiteninsel an der Westküste Jütlands, Dänemark. Die Insel war nur bei Ebbe mit dem Auto über einen "Ebbeweg" aus Kies zu erreichen.
Thorsten, unser Fahrer, hatte seinen sehr jungen Golden Retriever dabei. Wir fuhren mit dem Wagen über den Ebbeweg nach Ribe, der ältesten Stadt Dänemarks, eher ein Kaff. Wir rannten eine Weile herum und staunten auch darüber, wie unglaublich sauber es die Dänen doch überall hatten. Nichtmal Kippen auf dem Gehweg! Dieses Manko muss auch dem Hund aufgefallen sein, denn er kackte spontan mitten in die antiseptische Einkaufszone. Thorsten, für den "Cholerik" kein Fremdwort war, schwollen diverse Adern, er hatte keine Hundebeutel dabei und die Einheimischen kuckten schon. Weil er jetzt nen Hals hatte und er der Fahrer war, mussten wir alle wieder fahren. Zarte Hinweise darauf, dass es mit dem Ebbeweg nun während der Flut gerade Essig sei, gingen im Zornesrauschen unter. Also standen wir kurz drauf alle geschlossen am tristen Meeresrand und schauten auf die in der Ferne liegende Insel. Thorsten lehnte am Auto, rauchte Kette und starrte verschlossen wie eine Auster aufs Meer. Wir restlichen vier langweilten uns an diesem denkbar uninteressanten Abschnitt der dänischen Küste. Nur der von der Leine gelassene Hund schien sich prächtig zu amüsieren: Er schlang ein interessantes Aas herunter, spülte mit etwas Meerwasser hinterher. Dann fraß er ein Kilo Blasentang. Im Anschluss fand er einen wirklich nicht mehr frischen halben Krebs und knabberte ihn als Snack. Später gab es von dem grünen Seetang und wieder Meerwasser zum Hinterherspülen.
Irgendwann während dieser Stunden, zeigte sich der Ebbeweg wieder, noch bevor er richtig zu sehen war, führen wir Heim. Die Stimmung war nicht so besonders, Spaghettis würden helfen! Kurzum aßen alle mit gutem Appetit ihre Bolognese. Die übrig gebliebenen Nudeln bekam der Hund, der ein gefühltes Pfund davon einfach weg-inhalierte. Danach lag er, alle Viere von sich getreckt, mit Schluckauf und hervortretenden Augen auf dem Boden. Alle zwei Minuten rülpste er verhalten. Nach einer Weile stemmte er sich hoch, trottete zum einzigen Teppich in der Wohnung und bekotzte ihn chefmäßig wie ein T-Rex. Es zeigte sich dem staunenden Publikum die komplette, beeindruckende Historie der Nahrungsaufnahme -- nur in umgekehrter Reihung.
Thorsten schwoll der Kamm. Kurz schien er "hulken" zu wollen, ließ das dann aber bleiben und machte sich stattdessen an die Beseitigung der Bescherung. Wir gaben ihm aus der Ferne Tipps, was die Situation nicht signifikant verbesserte, aber extrem viel Spaß machte.
Wenn ich heute daran zurückdenke war das mein schönstes Mandø-Urlaubserlebnis.


Freitag, 15. August 2014

TW 6 - mit TW ins All

photo credit: x-ray delta one 1958 ... Atlas space station! via photopin (license)
De Mutter, bekannt als Queen Mom (QM), hatte zeitlebens nie auch nur ein Sterbenswörtchen darüber verlauten lassen, wie sie sich ihre eigene Beerdigung vorstellt, schon gar nicht nach Rückfrage. Das ist vielleicht etwas mit der Generation der über 80-jährigen, sie scheinen da etwas sperriger zu sein als jüngere Menschen, vielleicht, weil sie näher dran sind am sprichwörtlichen Himmelstor. (Was es bei QM auch nicht gab: keine Patientenverfügung, kein Testament, keine Bankvollmacht - einfach alles ganz oldschool, Baby.)
So oblag es meinem Bruder und mir, uns nach bestem Wissen & Gewissen selbst um die Modalitäten der Beerdigung zu kümmern. Zurück vom B-Institut saßen wir bei Tante Waltraud (TW) und erzählten ihr, was wir zum Thema QMs Beisetzung ausbaldowert hatten: Urnenbestattung auf Vatters Grabstelle.
De Tante kuckte über-sparsam. Um genau zu sein machte sie ein Gesicht wie ein beleidigter Kermit, sagte aber nichts.
"Tante!", sagte ich, "De Mutter hat nie, nie, nie auch nur ein Wort darüber verloren, wie sie es gerne hätte mit der eigenen Bestattung, deshalb müssen wir jetzt alles bestimmen. Aber wenn du zu deiner eigenen Beerdigung Wünsche & Vorschläge hättest, die es zu beherzigen gilt, dann sei doch bitte so gut, und sprich bitte zu Lebzeiten darüber. Und 'zu Lebzeiten' wäre zum Beispiel genau jetzt, aber auch nächste oder übernächste Woche oder gerne auch später!"
De Tante schrumpfte während meiner Worte mehr und mehr zusammen, so unangenehm war ihr das Thema. Die milchkaffeebraune Strickjacke war ihr bereits acht Nummern zu groß, als ich aufhörte zu reden.

Später saß ich mit'm, Bruder im Auto.
"Weisste was?", sagte ich, "Wenn se nix sagt, lassen wir de Tante ins All schießen!"
(War Spaß.)


Mehr Info zu Weltraumbestattung: hier


Samstag, 9. August 2014

Massentierhaltung in Wuppertal im dritten Stock

photo credit: John Tann via photopin cc

Momentan generiert unser Küchenabfall täglich ca. 40 Drosophilas vulgo "Fruchtfliegen", von mir aus naheliegenden Gründen "Sophies" genannt. Momentan schwärmen sie besonders eifrig in kleinen Wolken herum, denn nicht nur die Obstschale lädt anscheinend zum Herumtollen ein. Auch der Grüne-Punkt-Müll ist zurzeit ein Disneyland en miniature. Gerade treten die Kleinen wirklich als Massentier auf.
Sind wir zu Hause jetzt also Massentier-Halter?
Wahrscheinlich greift spontan irgendeine verschwurbelte EU-Richtlinie. Ich werde auf jeden Fall 218 Millionen Euro an Fördergeldern für meinen Mastbetrieb hier im Dritten Stock in Wuppertal beantragen - way cool!

Damit es den Kleinen bei uns in der Zwischenzeit nicht langweilig wird (während die bürokratischen Mühlen mahlen) und sie sich die Augen rot weinen müssen, habe ich in einem Müslischälchen für ein schickes Badeparadies mit Chill-out-Bereich und Schnorchel-Area gesorgt:
50 ml weißer Balsamico-Essig (oder Obstessig)
50 ml Wasser
1 TL Flüssighonig
1 Tropfen Spüli
alles vorsichtig miteinander verrühren
Schon stürzen sich die Sophies vom Rand in die sauren Fluten, planschen, tollen, schnorcheln, die meisten tauchen überraschend lange unter - wow! Die Winzlinge können ja ewig die Luft anhalten - und es werden immer mehr!
Ich bin beeindruckt.
Wenn jetzt noch die EU-Gelder kommen, dann will ich mich nicht beklagen.


Mehr "Fruchtfliege": Blogbeiträge


Samstag, 2. August 2014

Queen Mom

QM & ich bei der "Seenotrettungsübung" auf der AIDA

Diese Woche Dienstag am 29.07.2014 gegen 23.00 Uhr ist meine Mutter, "Queen Mom" genannt, gestorben. Auch wenn man wegen ihrer Krankheit damit rechnen konnte, kam das Ende dann doch überraschend schnell.
Sie war eine außergewöhnliche, reiselustige und sehr zielstrebige Frau.
Sie wird meinem Bruder, ihrer Schwester TW und natürlich auch mir fehlen.

Hier gibt es einiges zum Thema QM: Blogbeiträge.


Dienstag, 29. Juli 2014

Jungsesell(inn)enabschiede

photo credit: Johann Ebend via photopin cc

Es ist Sommer. In Mittel- und Großstädten sind sie jetzt wieder unterwegs: Große homogen gekleidete Gruppen von twenty- oder thirty-somethings mit einem einzelnen, schrill gewandeten Paria in ihrer Mitte.
Es ist wieder Jungsesell(inn)enabschieds-Zeit.


Jungsesellenabschied/Herrengruppe: Während alle Herren gekleidet sind wie die Blues Brothers (alternativ bedrucktes T-Shirt aus dem T-Shirt-Druck-Shop), trägt der Paria bei 30°C im Schatten ein Löwenkostüm. Alternativ schmückt sein verschwitztes Haupt eine Eutermütze und als Oberbekleidung trägt er einen beklebten Karton, untenrum eine grobe Fishnet-Strumpfhose an Strapsen. Gerne genommen wird auch eine schweißtreibende Afro-Perücke (optional unter der Eutermütze). Das Allerwichtigste dabei ist, dass der Paria in aller Öffentlichkeit zum Vollhorst gemacht wird.

Jungsesellinnenabschied/Damengruppe: Alle Damen tragen taillierte, mädchenrosafarbene bedruckte T-Shirts aus dem T-Shirt-Druck-Shop. Alternativ sehen sie aus wie eine Raubtiergruppe (siehe oben). Die Eine in ihrer Mitte ist komplett in Magenta gekleidet und trägt ein Diadem/ein Krönchen/einen Kopfputz mit zwei pinkfarbenen Sternen an Metallfedern. Die weibliche Paria wird von ihrer Entourage im Gegensatz zu ihrem männlichen Pendant nur zum Horst gemacht.

Das "Spiel" geht so: Der Vollhorst mit seinem Gefolge und die Horstin mit ihrer Entourage rennen in der Anonymität einer Mittel- oder Großstadt getrennt voneinander durch Einkaufsstraßen & Biergärten. Dort müssen sie (ggf. mit einem Bauchladen) an genervte Passanten Kondome verhökern (Hoho!), was vor 40 Jahren mal eine große Sache gewesen sein muß. Das Allerwichtigste scheint dabei aber zu sein, dass alle stundenlang in der Gegend herumstehen, zwischendurch erratisch herumirren aber niemand dabei jemals den Eindruck macht, dass dieses schmerzhaft unoriginelle Prozedere auch nur im Entferntesten irgendjemandem Spaß macht. Auch nicht den Passanten.
Autsch!

Man fragt sich so einiges:
F: Was the fuck haben Vollhorst und Horstin verbrochen? A: Sie werden einander heiraten.
F: Wer the fuck ist denn auf die schmerzhaft unoriginelle Idee gekommen, dem zukünftigen Ehepaar solches anzutun? A: Ihre sogenannten "Freunde".
F: Ist "rituelle Erniedrigung des Brautpaares" das Einzige, was den sogenannten "Freunden" zum Thema "Heiraten" eingefallen ist? A: Leider nein! Auf der Hochzeit selbst gibts noch ein paar weitere unterirdische Knaller aus der Mottenkiste, siehe www.hochzeitsspiele.org.
F: Warum bleiben die Spacken nicht in ihren eigenen elenden Käffern und Weilern, um sich dort lächerlich zu machen? A: Gegebenenfalls sind sie dort schon Lachnummern.
F: Ist das nicht alles ein bisschen traurig? A: Im Prinzip ja.


Sonntag, 27. Juli 2014

DAF: "Der Räuber und der Prinz" (1981)

"Deutsch Amerikanische Freundschaft“ von Tilman Brembs - http://goo.gl/yCkaGg. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons
1981 hat die Band DAF "Deutsch Amerikanische Freundschaft" das LP-Album "Alles ist gut" herausgebracht, es enthielt die Ausnahme-Hits "Der Mussolini" (Seite A, Track 2) und "Der Räuber und der Prinz" (Seite A, Track 5). Das Cover zeigte verschwitzt und mit nacktem Oberkörper die Herren Gabi Delgado-López (Vorderseite) und Robert Görl (Rückseite). "DAF gelten als Pioniere und Inspiration für die Genres Electropunk, Electronic Body Music und Techno." (Wikipedia)
Für das Album erhielten sie den Deutschen Schallplattenpreis.

1981 wusste von uns 13- bis 14-jährigen Blagen niemand so genau, was er mit den Textzeilen "Tanz den Mussolini, tanz den Adolf Hitler" anfangen sollte (war das nicht 'verboten'?). Und war "Der Räuber und der Prinz" nicht irgendwie 'schwul' (will meinen ein Lied über das 'Tabu Homosexualität')?
Gottogott! Aber die Mucke war natürlich grandios!

1981 auf der Realschule Radevormwald fand der Werken-, aber auch der Handarbeits-Unterricht im Untergeschoss statt. Die Jungen hatten Werken, die Mädchen Handarbeit und es handelte sich hierbei um homogene Gruppen - wie es sich gehörte. Die Räumlichkeiten für Werken und Handarbeit lagen im Kellergeschoss am Ende eines langen, schlauchförmigen Flures mit fast quadratischem Querschnitt und waren immer abgeschlossen, die Schüler mussten vor Unterrichtsbeginn im Flur warten. Wenn jemand das Licht ausschaltete, dann fiel nur noch ein indirekter Schein aus einem Treppenhaus ein und der Flur lag in einem stimulierenden Halbdunkel. Manchmal spielten die Jungs so etwas wie Squash mit Tennisbällen - weil es sich anbot und weil es so toll knallte. Die Akustik in dem Schlauch war auf jeden Fall 1A, alles hallte und machte dumpfe Echos.

1981 hatte mein Mitschüler Stefan "Kanne" Kanitz einen Mono-Kassettenrecorder, bei dem man mit einem Drehregler die Bandgeschwindigkeit stufenlos verändern konnte. Wow!

1981 kam all das zusammen: Während wir in diesem Akustik-Schlauch auf unsere Werken-Lehrerin warteten, packte Kanne seinen Kassettenrecorder aus und spielte gehörig laut DAFs "Der Räuber und der Prinz" (youtube). Das ohnehin schon leiernde Lied mit den blechernen Doings!" und "Dongs!" wurde mal schneller, mal langsamer, Echos kollerten durch den Gang und kamen wie Brandung zurückgerollt.
Eigenartigerweise ist das mit Abstand die intensivste Erinnerung, die ich an meine gesamte Schulzeit habe.


Mehr Realschule Radevormwald: Blogbeiträge.


Donnerstag, 24. Juli 2014

All tomorrow's parties (1992)

photo credit: lietz.photography via photopin cc

Zwischen Januar 1992 und März 1996 habe ich als studentische Hilfskraft bei der Barmag AG gearbeitet. Einer meiner ersten Jobs dort fand in der Normabteilung statt. Es war eine kleine Abteilung mit einer Bürokraft (Frau V.), drei identischen, seitengescheitelten Norm-Klonen und einem in Ehren ergrauten Chef, Herrn Faust. Hier war noch nie etwas weggekommen! Die Norm-Klone saßen mit ausdruckslosen Gesichtern an ihren (damals computerlosen) Schreibtischen, hie und da standen sie auf, um sich auf der Toilette die Scheitel mit dem Lineal nachzuziehen. Morgens sagten sie "Guten morgen!", Mittags "Mahlzeit" und Abends "Schönen Feierabend!" (Freitags: "Schönes Wochenende").
Was ich in dieser Abteilung gemacht habe, habe ich tatsächlich vollständig vergessen, es war irgendwas unsagbar Langweiliges und ich war doch noch so jung!
Im Gedächtnis geblieben ist mir der Chef, Herr Faust. Er war der einzige in der Abteilung, der immer richtig gut drauf war. Seine Rente stand kurz bevor (ein bis drei Jahre in der Zukunft), der dienstälteste Dipl.-Ing.-Norm-Klon würde ihn wohl eines Tages als Chef der Normabteilung beerben. Aber bis dahin machte Herr F. hart Party! Er hatte einen Tischkalender, in dem alle Geburtstage, Jubiläen, Verabschiedungen eingetragen waren, die ein so großes Unternehmen von 6.000 Mitarbeitern beging. Die Abteilung, in der solches stattfand war ihn dabei piepegal, auch, ob er der feiernden Person jemals begegnet war, Hauptsache es gab Mettbütterchen und Sekt!
Morgens um 9.00 Uhr schlug er also seinen Kalender auf, der Finger wanderte zu Party des Tages No. 1, dann sprang er sehr dynamisch auf und verabschiedete sich mit den Worten: "Ich bin mal kurz weg!" Die Norm-Klone warfen ihm gallige Blicke hinterher und rollten wild mit den Augen. Nach ein bis zwei Stunden tauchte der Chef wieder auf - gut geplauzt und heftig angeschickert. Oft schlief er bis zur Mittagspause einfach am Schreibtisch seinen Rausch aus, dann ging er mit einem markigen - "Mahlzeit!" - in die Kantine Essen fassen. Nachmittags gab es dann den zweiten Mett-und-Sekt-Termin. Gegen 15.00 Uhr war er zurück: Schwankender Gang, unsteter Blick, krasses Kichern! Noch ein kleines Nickerchen, und schon war der Arbeitstag herum ...

Ich war sehr beeindruckt!
Ich beugte mein Knie!
So einen chefmäßigen Job wollte ich später auch mal machen!


Mehr "Barmag AG": Blogbeiträge


Freitag, 18. Juli 2014

Üdvözöljük a Balaton (1993)

photo credit: cannedmoods.com via photopin cc

1993 sind wir zu viert (zwei Pärchen) in einem Fiat Uno von Wuppertal aus nach Ungarn an den Plattensee gefahren. Wie wir das Gepäck ins Auto bekommen haben, ist mir bis heute ein Rätsel.

(1) Sprache. Die Ungarische Sprache "gehört zum finno-ugrischen Zweig der uralischen Sprachfamilie". Damit ist im Grunde schon alles gesagt. Entweder man spricht ungarisch (alle Ungarn), oder man spricht es nicht (alle Anderen). Hier der völlig unmerkbare Grundwortschatz: Link. Alternativ kann man in Ungarn das absolut universelle Wort "höz" verwenden. Es ist kurz, leicht zu merken, bedeutet eigentlich nichts, geht aber quasi immer: "Höz?" - "Höz!"

(2) Geographie. Der Plattensee wird von den dort Ansässigen "Balaton" genannt und ist 79 km lang. Er ist der größte Binnensee Mitteleuropas und einmal komplett von Straße umgeben. Das ist sehr wichtig, denn auf welchem anderen großen Rundkurs hätten die ständigen Hochgeschwindigkeits-Verfolgungsjagden zwischen Fiat-500 Polizeifahrzeugen und den vorneweg rasenden rostigen Škodas sonst auch stattfinden sollen? Meistens schaffen sie 3 Runden in knapp über sechs Stunden, bis einem von beiden unterwegs der Sprit ausgeht.
Lohnenswert ist ein Besuch der im Nordosten des Sees gelegenen Stadt Székesfehérvár wegen ihres barocken Stadtkerns. Und, weil es so ein tolles Wort ist.

(3) Natur. Der Plattensee ist an vielen Stellen noch ein Stück unberührter Natur. Er ist schilfumstanden und die Heimat zahlreicher Tier- und Pflanzenarten. Wir standen schon bis zu den Waden im Wasser, als wir die Wasserschlange auf uns zu schlängeln sahen. Um das Biotop dieses possierlichen Reptils (und aller seiner vielleicht auch größeren Freunde) nachhaltig zu schützen, zogen wir uns blitzartig, fast schon hektisch aus selbigem zurück und machten keinen zweiten Versuch, baden zu gehen.

(4) Wetter. Das Wetter innerhalb der Saison ist fantastisch! Sobald allerdings die Saison beendet ist, regnet es Bindfäden und die Temperatur sinkt auf 11°C (Tag) und 9°C (Nacht). Da bei uns der dritte Tag des Urlaubs bereits in die Nachsaison fiel, war es schlagartig vorbei mit dem 30°C-und-blauer-Himmel-Bombenwetter. Allerorten wurden die den Touristen willkommen heißenden "ÜDVÖZÖLJÜK"-Schilder abmontiert, etliche Läden und viele "Paprika Csárdas" geschlossen und verrammelt.
Wir verbrachten viel Zeit in der Wohnung mit lesen und Scrabble spielen. Einer meiner Höhepunkte des Urlaubs war es, auf einen 3-fachen Wortwert das Wort B3E1Q10U1E1M3 gelegt zu haben.

(5) Unterkunft. Anfangs waren wir begeistert von der Ferienwohnung. Bald aber begriffen wir, dass unsere Vermieter, um uns diesen Luxus möglich zu machen, mit einer vierköpfigen Familie plus Riesenschnauzer "Rocco" nun in der schmalen Garage hausten. Später entdeckten wir, dass jeder Bilderrahmen in der Wohnung ein Dummy-Bild enthielt. Darunter kamen die Wohnungsinhaber als Brautpaar und Familienbilder zum Vorschein. Immer wenn sich einer der ihren umständlich unter dem Garagentor hervorschlängelte, dann packte uns das schlechte Gewissen. Wir waren deutsche Besatzer!

(6) Essen und Trinken. Jedes Lokal am Plattensee ist eine "Paprika Csárda". Heißt das Lokal abweichend davon, dann ist es lediglich eine getarnte "Paprika Csárda". Freundlich heißt man Hungrige dort mit "Üdvözöljük!" willkommen. Zu essen gibt es Gulasch, Spießchen, Schnitzel, dazu als ausschließliche Beilage Pommes Frites. Auch wenn sie es auf der deutschen Karte "Bratkartoffeln" nennen, sind es trotzdem immer Pommes Frites. Es gibt im Umkreis von 50 km um den Plattensee keine andere Beilage als Pommes Frites, so will es die ungarische Verfassung. Als Getränk trinkt man hier ein hervorragendes Bier namens "Soproni", welches in der ungarischen Stadt Sopron gebraut wird. Der Soproni-Slogan lautet "Hozzánk tartozik!", darauf schreien alle gleichzeitig laut "Höz!" und erheben ihr Glas.

(6b) Gastronomie abseits des Tourismus. Bei unserem Abstecher nach Székesfehérvár kehrten wir in ein Lokal ein. Wir bestellten mit Händen und Füßen eine Grill-Platte für vier Personen und bekamen ein absurdes Gebirge aus Grillfleisch und natürlich Pommes, über das man sitzend nicht hinwegsehen konnte. Acht Eisenbieger hätten das nicht verdrücken können. Dazu floss das Soproni in Strömen. Die Rechnung war nicht der Rede wert.

(7) Teufelsgeiger. Jede "Paprika Csárda", die etwas auf sich hält, hat einen eigenen Teufelsgeiger. Es handelt sich hier um einen traditionell gewandeten Herrn, ein Meister der Violine. Anfangs, vor allem von den Damen geschätzt, spielt er traditionelle ungarische Weisen, weist aber schon hier während des Spiels mit phantastisch gelenkigen Augenbrauen darauf hin, dass er für seine Virtuosität gerne den einen oder anderen Geldschein (Währung: Forint) zugesteckt bekommen möchte. Ignorieren die Gäste das leichtsinnigerweise, beginnt der Maestro, den Spendenunwilligen exklusiv ins Ohr zu spielen. Dabei simuliert er in rasender Abfolge "quietschende Zugbremsen", "Rückkopplung eines Mikrofons", "Fingernägel auf Schiefertafel" und "Styopor an Styropor", wieder und wieder, das alles bei über 65 Dezibel. Der Virtuose unseres Stammlokals kam zu einigem Wohlstand in jenen Tagen.
Schon nach kurzer Zeit suchten wir gezielt nach Etablissements ohne erpresserisches Element.

Fazit. Wer einen an Anekdoten reichen Urlaub erleben möchte, der sollte in der Nachsaison an den Balaton fahren, es lohnt sich!


Mittwoch, 16. Juli 2014

Mein Freund Rolf (1991 bis 1999)

photo credit: Tobias Lindman via photopin cc

Freunde sind ein rares Gut! Wer einen Freund sein Eigen nennen darf, der halte an ihm fest!


[wahre Geschichte, alle Namen sind geändert]
1991 studierte ich für zwei Semester Wirtschaftswissenschaften an der Uni Wuppertal. Fast bei meiner ersten Raucherpause dort lernte ich Rolf kennen. Er war sechs oder sieben Jahre älter als ich (knapp über 30) und war ein ziemlicher Vogel. Vermutlich deswegen waren wir uns auf der Stelle sympathisch und freundeten uns an. Ich lernte im Laufe der Zeit auch seine Wuppertaler Freundin Karla kennen, eine Lehramtsstudentin.

Nach einiger Zeit hatte Rolf keine Lust mehr zum Studieren. Ihn zog es in seine alte Wahlheimat Berlin zurück, zumal seine Beziehung zu Karla kränkelte. Er wollte in Berlin mit seinem alten Freund Hans zusammenziehen, einem der ganz großen Womanizer des auslaufenden Jahrtausends. Ich half bei dem Umzug und mit einem picke-packe-vollen 2,8-Tonner, der 75 km/h Spitze fuhr, erreichten wir Berlin bei Sonnenaufgang.

Ostberlins Fassaden waren braun, grau oder braungrau, die unebenen Bürgersteige voller Hundescheiße, die Treppenhäuser seit dem Krieg (dem von 1914-18) nicht mehr renoviert worden. Wir schleppten Rolfs Polinten in den fünften Stock (was bei normaler Stockwerkhöhe mindestens der siebte Stock gewesen wäre). Dann tauchte ausgeschlafen, adrett gekleidet und gut gelaunt der Womanizer mit seinem Hab und Gut auf. Er hatte sich reichlich Hilfe kommen lassen: Birte, Selena, Maria, Xandra und die Alex. Die schweren Sachen mussten also wieder »die Jungs« schleppen. Nachdem alles oben war, muss ich kurz tot gewesen sein. Als ich nach einer Adrenalinspritze mitten ins Herz wieder zu Bewusstsein kam, gingen wir einen Döner essen. Der 2,8-Tonner machte auf dem Rückweg leer nun ganze 85 km/h Spitzengeschwindigkeit! Yay! Es war wie ein Rausch!

Von nun an telefonierten wir in loser Folge und ich besuchte Rolf jährlich in Berlin.
Die Freundschaft zwischen Rolf und Hans war mittlerweile zerbrochen, weil Rolf Hans’ brasilianischer Freundin »Nachhilfe« gegeben hatte. Ich konnte mir das schon vorstellen, wie das gelaufen war mit der »Nachhilfe«. Bei unseren Telefonaten erfuhr ich, dass auch andere Freundschaften Rolfs »aus Gründen« in die Brüche gegangen waren. Ich dachte mir meinen Teil.
Irgendwann sagte er während eines dieser Gespräche zu mir: »Henning, du bist mein bester Freund!« Ich fand das ziemlich unheimlich, wir sahen uns doch nur einmal im Jahr! Aber vermutlich war ich der »last man standing« – der Einzige, der übrig geblieben war.

Rolf, der in Berlin zwischen kurzen Phasen regulärer Beschäftigung sein Dasein als Lebenskünstler und Sozialbetrüger fristete, lernte seine Freundin Michaela kennen. Sie war Krankenschwester im nahen Urban-Klinikum, sie zogen zusammen. Michaela war eine freundliche, fröhliche und im Gegensatz zu ihrem Freund wunderbar bodenständige Person. Sie machte es immer zu einer Freude, in Berlin zu Besuch zu sein.
Die beiden wohnten in Bezirk Kreuzberg, Hobrechtstraße, die vom Hermannplatz abging. Am Hermannplatz trieb sich arg viel »Volk« (aka »trunkener Pöbel« & »multipel Abhängige«) herum. Am Kottbusser Damm »Kotti« gab es etliche türkische Gemüseläden, hie und da ein orientalisches Brautmodengeschäft und altdeutsche Butzenglas-Kneipen. In den Nebenstraßen und der Umgebung reihte sich Bar an Szenelokal, wie die heute noch hoch famose »Ankerklause«.

Einmal rief er mich an, nun sei es aber an der Zeit, dass ich ihn besuchte! Ich fragte: »Wie lange denn?«, er: »Total egal, Hauptsache du kommst!« Mit ihm musste ich ja nichts abklären, er war ja eh in keinem Arbeitsverhältnis. Also suchte ich mir ein Reisebüro und buchte für 300,00 DM eine Zugfahrt zweiter Klasse Hin/Rück nach Berlin. Dann, wieder zu Hause, rief ich ihn an: »Mission completed!« - »Wann genau kommst du?«, fragte er aufgeregt. Ich teilte ihm die Eckdaten der Woche mit, die ich gedachte nach Berlin zu reisen. Stille breitete sich aus. »Waaas? Eine ganze Woche? Bist du irre? Das geht doch nicht! In der kleinen Wohnung?«, schlug es mir entgegen. Ich war perplex. Das Gespräch wurde noch ungemütlich. Die Tickets ließ ich verfallen, umbuchen ging nicht, deshalb waren sie »so günstig« gewesen.
Soviel zu dem Thema.

Ein Jahr drauf rief er mich an, nun sei es aber wirklich ganz arg dringend an der Zeit, dass ich ihn mal wieder besuchen käme! Ich war zurückhaltend und vorsichtig geworden und fragte: »Wie lange denn GENAU?« - »Hey! Pfeif drauf! Hauptsache du kommst!« Ich suchte ein Reisebüro auf und buchte eine Zugfahrt, natürlich keine ganze Woche. Telefonisch teilte ich ihm mit, an welchen fünf (5) Tagen ich gedachte, nach Berlin zu reisen. Das, was jetzt kam, kannte ich schon. »Waaas? Fünf Tage? Das geht nicht!« Das Gespräch wurde noch reichlich ungemütlich. Ich gab ihm Tiernamen und legte auf. Die Tickets verfielen wie die vorherigen. Ich verbrachte einen deprimierenden Urlaub zu Hause, während draußen der September-Monsun das Bergische Land in eine Schlammwüste verwandelte.

Eine Weile hört ich nichts von Freund Sonne. Dann, eines Tages, schellte das Telefon und Rolfs Freundin Michaela war an der Strippe, was per se ungewöhnlich war. Das nachfolgende Gespräch dauerte etwa zwei Stunden.
Das war passiert:
Rolf hatte vom Amt eine Umschulung zum Serveradmin (oder Vergleichbares) bezahlt bekommen und musste nun brav einige Zeit in diesem Job arbeiten. Nach fast 20 Monaten (!) hatte er aber keinen Bock mehr, jeden Tag früh aufzustehen. Zudem hatte sein Chef ihn fast zehn Monate lang nicht bezahlt. Vor Gericht bekam er Recht, nun hatte er auf einmal einen Batzen Geld, den das Amt aber anrechnen würde, wenn er sich jetzt arbeitslos meldete. So verfiel er auf einen genialen Plan: Er würde die Kohle chefmäßig verjubeln!
Rolf begann, im Internet zu recherchieren. Irgendwie landete er dabei auf Foren, in denen sich junge Frauen aus Zweite- und Dritte-Welt-Ländern für »Herren« interessierten. Hey! Junge Frauen fand er auch toll! Dort traf er erstmals virtuell auf Jacqi. Sie war ein junges, lebenslustiges Ding aus einem Dorf irgendwo in Mittelamerika. Rolf, dessen Hormone seinen Realitätssinn zuweilen umnebelten, verabredete sich mit ihr in eben diesem mittelamerikanischen Land und buchte sich Flugtickets.
Seiner Partnerin, mit der er seit Jahren zusammenlebte, sagte er nur: »Ich mache Urlaub!«
Michaela wunderte sich nur, ahnte aber nichts.

Rolf nahm alles Geld, was er hatte und ließ es in Landeswährung wechseln. Er flog über den Atlantik, kam an einem palmenumstandenen Flughafen an. Er fuhr mit einer rumpelnden Eisenbahn so weit es ging. Dort nahm er ein fragwürdiges Taxi. Jacqui erwartete ihn in ihrem Dorf.
Sie muss ihm gut gefallen haben, denn schon am nächsten Tag ging Rolf zum örtlichen Schneider und ließ Maß nehmen. Zwei Tage später hielt er bei Jacquis Vater in einem Maßanzug aus feinstem Zwirn  – auf Knien um die Hand seiner Tochter an. Der Alte war hocherfreut, seinen Augenstern an einen europäischen Multimillionär zu geben und willigte ein. In Villariba wurden große Hochzeitsvorbereitungen anberaumt, von denen man in Villabajo nur träumen konnte (Youtube). Das Paar wurde mit großem Ritus vermählt, es wurde drei Tage lang gefeiert. Rolf haute die Kohle raus wie ein betrunkener Seemann. Bald stellte er fest, dass er mehr Geld benötigen würde, wenn er noch ein Flugticket für seine Braut würde zahlen müssen. Vom Postamt aus rief er seine Tante in Bochholt an und schilderte ihr die Situation. Die fragte, ob er noch alle Latten am Zaun habe und legte auf. Dann rief Tantchen umgehend Rolfs Partnerin in Berlin an. Die arme, treue Michaela, die sich bis zu diesem Augenblick in einer intakten Beziehung wähnte, fiel aus allen Wolken!
Noch an diesem Abend begann sie, ihr Hab und Gut von seinem zu trennen. Schon zum Ende der nächsten Woche zog sie in eine andere Wohnung, verschwand auf Nimmerwiedersehen.

Rolf hat die Kohle für Jacquis Ticket noch zusammenbekommen. An einem sehr kalten, sehr grauen Novembertag sind die Frischvermählten durch Schneematsch und angefrorene Hundescheiße gestapft, um in einer geplündert aussehenden, ungeheizten Wohnung in Berlin-Kreuzberg anzukommen. Die 45 Pflanzen waren zum größten Teil verdorrt. Im Briefkasten stauten sich Werbeflyer und Rechnungen, die Monatsmiete stand aus.
Vermutlich hat Freund Sonne schon am kommenden Tag Stütze beantragt.

So wird sich die lebenslustige Jacqui ihr Leben mit dem deutlich älteren europäischen Multimillionär nicht vorgestellt haben.


Einige Wochen später rief Rolf mich an, ich müsse ihn mal dringend wieder besuchen.
Ich erklärte ihm, dass Michaela mich bereits ins Bild gesetzt habe und dass es zu einem Besuch meinerseits wirklich keine Veranlassung mehr gebe. Ich wünschte ihm ein schönes Leben und legte auf.


Freunde sind ein rares Gut! Wer einen Freund sein Eigen nennen darf, der halte an ihm fest!*
*) Ausnahme: Der Freund hat heftig einen an der Klatsche.


Montag, 14. Juli 2014

Erreicht

photo credit: jDevaun via photopin cc

Überraschend traf ich in meiner alten Heimatstadt nach einer wirklich langen Zeit einen (fast schon ehemaligen) Bekannten wieder. Er schien sich bester Gesundheit zu erfreuen und strahlte mit perfekt gebleachten Zähnen über das ganze Gesicht. Sein Händedruck zermalmte meinen Mittelhandknochen. Schnell stellten wir fest, dass wir uns tatsächlich Mitte 1999 das letzte Mal begegnet waren - vor unglaublichen 15 Jahren!
"Und, was hast du in der Zwischenzeit erreicht?", fragte mich der Strahlemann ernstlich.
Ich erstarrte sicher eine geschlagene Minute lang.
WTF war das denn für eine Frage?
Nun, obwohl (oder vermutlich gerade weil) ich Sparkassenkunde bin, fiel bei mir die Konsumgütervergleichsparade "mein Haus, mein Auto, mein Boot" (Werbung 1999) eher bescheiden aus [zur Miete, Smart, kein]. Dass ich immer Müll getrennt hatte und meinen CO2-Ausstoß mit der Anschaffung des Smart gegenüber des Vorgängermodells hatte halbieren können, galt sicher nicht. Auch schien die Antwort "innere Ruhe" oder "größere Gelassenheit" hier nicht anzukommen. Dies hier war ein reiner Schwanzvergleich des Materiellen!
Da stand ich nun, ich armer Tor: Keine Exfrauen, keine Kinder, keine Pleite gegangenen Firmen, keine Gläubiger, keine Steuerfahnder an meinen Fersen, keine gebauten und dann wieder zwangsversteigerten Häuser, keine Tierart ausgerottet -- Grundgütiger, mit der Frage hatte er mich richtig erwischt!
"Ich werde nächstes Jahr heiraten!", sagte ich stolz.
Er machte ein sauertöpfisches Gesicht, knurrte Unverständliches. Unbewusst hatte er seinen Ringfinger ergriffen und spielte mit der blassen Stelle, an der noch Wochen oder Monate zuvor sein Ehering gesessen hatte. Ich verstand.
"Ich habe einen Roman geschrieben und ihn veröffentlicht", wechselte ich das Thema.
"Und, rocken die Abverkäufe?"
"Äh, ich bevorzuge den Terminus 'moderat', was die Verkaufszahlen angeht."
Er schaute mitleidig, interessierte sich auch nicht für das Genre, hier ging es um Reibach.
"Meine Neue ist noch in den Zwanzigern, die hält mich richtig auf Trab! Hab sie beim Krafttraining kennengelernt", prahlte er. "Der geile Schlitten da hinten", er deutete mit dem Daumen über seine Schulter, "wird bei 250 Sachen elektronisch heruntergeregelt - haha!, und meine neue Firma rockt so dermaßen, dass ich unter 80 Stunden die Woche da nicht rauskomme! Aber mach bloß 'nen Ehevertrag, meine Exfrauen saugen mich aus wie scheiß Vampire!"
Armer Kerl.
So viel Stress.
Und das mit Ende 40.
Genug geprahlt.
"Alles Gute!", sagte ich, "Bis 2029!"
"Jo!", lachte er, setzte dynamisch über die Straße und zwängte sich mit seinen 1,90 m in einen unbequem aussehenden silbernen Mercedes SL 350, schoss davon, Gummi lassend. Mein Blick folgte dem Wagen. Auf der Heckscheibe stand in Riesenlettern: "Scheidung 2014".
Ich glaube, wir taten uns beide sehr leid.

Bis 2029 wünsche ich Freund Sonne mehr "innere Ruhe" und "größere Gelassenheit".
Und mir wünsche ich ein ausgeglichenes Girokonto.


Dienstag, 1. Juli 2014

Vulcano (2009)

photo credit: eduo via photopin cc

Seinerzeit verkündete die WeightWatcher's-Meduse der gespannt dasitzenden Fatty-Gemeinde, dass man ja nicht eine ganze Tafel Schokolade auf einmal essen müsse. Hört, hört! Vielmehr reiche es, wenn man ein einziges Stück Schokolade in Spitzmaulfrosch-Optik, zumindest aber mit einem blöden Duckface lutsche, es minutenlang im Mund zergehen lasse, wie einen Klumpen Talg.
Brrr!
Dann das: Vor fünf (5) Jahren (2009) meldete die Weltpresse geschlossen, dass der weltgrößte Schokoladenhersteller Barry Callebaut AG sich anschicke, die Welt zu verändern, nämlich die Schokolade neu zu erfinden. Das neue Produkt sollte "Vulcano" heißen, wärmeresistent sein und - es klang wie im scheiß Märchen - diese Schokolade sollte (bis zu) 90% weniger Kalorien haben als "herkömmliche Schokolade" (hier einer der Artikel: Link).
Grundgütiger!
HURRA!!!

Shut up and take my money!!!
Ich nehm gleich 'ne Palette!!!
Und der WW-Meduse schleudere ich entgegen:
Ein einzelnes Stück? MUAHAHAHA!!! Nie wieder!!!

(dann passierte länger nichts)

Heute, im Jahr fünf nach dieser Meldung, ist eine Tafel Schokolade bei dem aktuellen Sommerwetter noch immer eine Fangopackung mit 546 kcal (Link), für die man, wenn man sie verschlungen hat, sackhüpfend 5x die Entfernung Erde-Mond zurücklegen müsste, um die Kalorien wieder loszuwerden.
Also: Wat is nu?

Wenn ich auf die Webseite der Barry Callebaut AG gehe (hier) und im Suchen-Feld "Vulcano" eingebe, aber nur einen (1) dead link zurück bekomme, dann fange ich an, mir ein ganz klein bissi Sorgen um Vulcano und mich zu machen.
Seufz! Es hätte so schön werden können mit uns.
Dem Schweizer Unternehmen Barry Callebaut AG möchte ich offiziell mitteilen:
ICH PRANGERE DAS AN!


Mehr zu Schokolade: externer Link


Sonntag, 29. Juni 2014

"Nothing to fear but fear itself" (Franklin D. Roosevelt)

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Der Bürger an sich ist ja eigentlich schon schwindelig genug, fährt zur Arbeit von Pontius nach Pilatus, Abends von der Arbeit zum Pilates. Kochen, Kinder, Kneipe, Freunde, Facebook, zwischendurch im Job mehr leisten, mehr Sport treiben. Bio einkaufen, den Bälgern Nachhilfe geben, mit dem verflohten Flokati zum Tierarzt, dann Gassi und nach Hause. Bis die Blagen im Bett sind, ist es fast elf und die Hütte sieht aus wie Sau. Die meisten Menschen haben in diesem Augenblick nicht mehr die Muße, sich jetzt noch sechs Stunden lang durch die Bleiwüste einer Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu wälzen. Die überaus differenzierten Berichte zur Lage der Nation zu lesen und vor allem zu verinnerlichen. Stattdessen sitzen sie, mattgepaukt von des Tages Knechtungen, vor der Glotze und ziehen sich zu Bier & Chips Schrott rein, den ihnen eine zu stark geschminkte, sog. "Journalistin" (Muhaha!) vorsülzt. Hier wird nach erprobtem amerikanischen Vorbild die Angst des Bürgers gezeugt und geboren, ihm eingetrichtert, wenn er am wehrlosesten ist.
Klappt!


Es ist die Angst davor, von asylsuchenden Fremden überrannt zu werden, vor dem Islam allgemein, vor E10-Sprit, vor Killerbienen, vor neuen Allergenen, Jobverlust, Russland, multiresistenten Keimen in öffentlichen Verkehrsmitteln und Islamisten. Es ist die Sorge vor der zu erwartenden Winz-Rente (die uns alle zu Obdachlosen machen wird), NSA, Ärztepfusch, wieder Jobverlust (aber aus anderen Gründen), Gift im Trinkwasser, Inflation und Deflation und den Pollen neu eingeschleppter Pflanzen. Es wird Furcht in die Köpfe gesät vor Meteoriten, Chlorhühnchen, Aluminium im Deo, Genmais, Veränderungen allgemein, neuen Stromtrassen – die Liste ist endlos – gut für die, für die Angst ein Riesengeschäft ist.
Aber was wäre der Bürger denn ohne diffuse Ängste? Ohne diese Ängste würde er ja viel weniger konsumieren. Das geht ja gar nicht!

Siehe z.B. den GAU in dem japanischen AKW Fukushima: Ein paar Stunden nach der Meldung waren in den deutschen Apotheken die Jod-Tabletten ausverkauft (Blogbeitrag). Und E10 hat sich drei Jahre nach Einführung 2011 auch noch nicht so recht durchgesetzt (Blogbeitrag). Die ängstlichen Herrschaften tanken nach entsprechender Berichterstattung lieber weiterhin spei-teures Shell Super Plus Racing Mango Chutney (Blogbeitrag), infizieren sich aber im banken-finanzierten Auto immerhin nicht mit Bus-Killerkeimen. Gegen das Gift im Trinkwasser hilft es, Sprudelkisten zu schleppen, gegen den Rentenschock kann man schon jetzt so allerlei ansparen und gegen sich verteuernden Strom kann man sich Solarzellen aufs Dach pappen. Um das alles bezahlen zu können, kann man man ja (ebenso nach amerikanischem Vorbild) einen Vielzahl "günstiger" Kredite aufnehmen, das machen ja alle so. Die Sparkasse bietet mittlerweile an, alle Darlehen, die man hat, zu einem Einzigen zusammenzufassen - damit man noch klar kommt. Das nennt sich "Kreditoptimierung" und kostet natürlich extra.
"Alles was du hast, hat irgendwann dich", heißt es in Fight Club.
Es wurde selten wahrer gesprochen.

Der Angstbürger kann jetzt zu den horrenden monatlichen Zahlungen nicht auch noch Veränderungen im Wohnumfeld ertragen (Blogbeitrag). Er kann ja nicht mehr weg, das Haus muss er schließlich bis 2045 abbezahlen. Atomkraftwerke & Atommüll-Endlager in nächster Nachbarschaft gehen aus nahe liegenden Gründen nicht, aber Windkraftanlagen oder neue Stromtrassen zum Transport der Energien aus Windkraftanlagen gehen widersinnigerweise aber auch "irgendwie" nicht! Da bricht der Angstbürger nämlich aus seiner Angststarre aus und wird zum Wutbürger aka Mitmachbürger. Hey! Wenn man sich ja sonst nix mehr leisten kann: Protestieren geht immer! Und ständig ist ja was: Die Mächte der Finsternis wollen bauen, bauen, bauen: einen Golfplatz, Windkraftanlagen, einen Jugendknast, einen IKEA, eine Forensik, um nur die großen Nöte der Wuppertaler Bürger zu benennen. In Grimma konnten die Wutbürger immerhin schon erste Erfolge erzielen: Rechtzeitig vor dem Jahrhunderthochwasser konnte der Bau einer Hochwasserschutzmauer verhindert werden! Glückwunsch an Grimmas Wutbürger, sie sind komplett abgesoffen. Die Schuld tragen natürlich die Anderen (Focus-Artikel).

Drittes Jahrtausend - hey! - die Energiewende rollt an, die Offshore-Windparks könnten bald Energie in alle Teile der Republik liefern, doch ach! Erstmal muss eine neue Nord-Süd-Trasse für Strom her, die sog. „Suedlink“-Stromtrasse. Und plötzlich sind wieder tausende Bürger auf der Straße, wollen mit allen Mitteln verhindern, dass diese Stromleitung bei ihnen auch nur am Horizont entlang gebaut wird! Man hört ja so viel, man muss an die Zukunft der Kinder denken! (Na, wer hat da wohl zu viel ferngesehen und sich von übertrieben geschminkten Nachrichten-Medusen mit diffusen Ängsten aufladen lassen?)
„Mögliche gesundheitliche Auswirkungen bewegen die Menschen besonders“, greift Landrat Spieker Sorgen von Bürgerinnen und Bürgern auf. Daher plant der Landrat gemeinsam mit dem heimischen Bundestagsabgeordneten Christian Haase eine zentrale Informationsveranstaltung im Kreisgebiet, die gesundheitliche Fragestellungen zu der geplanten Gleichstromverbindung zum Thema hat. (Quelle)
"Mögliche (...) Auswirkungen (...) bewegen die Menschen": Genau. Keinen Plan von nix aber auf diffusen Verdacht hin mal Randale machen und ne Bürgerinitiative raushauen, so sind se, unsere Wutbürger!

Jetzt mal in echt: Direkt unter einer Hochstromtrasse wollte ich auch nicht leben. Aber, lieber Gott, man kann sich doch informieren. Das ist doch keine Alien-Technologie oder ein Geheimprojekt der US-Regierung! Dann recherchiert man mal in diesem Internet und findet ganz schnell heraus (Hände weg von Eso-Seiten, Indiz: Werbung für Orgon-Strahler), dass 200 m Abstand zu einer Hochspannungsleitung reichen (Quelle). Jetzt könnte man das mal einfach nicht glauben und nimmt forsch das Fünffache an, also 1.000 m. Auch gut! Aber das war's doch jetzt, oder? Herrgott, da muss man doch nicht extra an einem Mittwochabend zu einer "zentralen Informationsveranstaltung im Kreisgebiet" gehen. Es sei denn, sie bieten lecker Schnittchen und O-Saft an.

Fazit:
Leute, Leute, Leute! Wenn euch jemand Angst macht, dann doch nur, weil mit dieser Angst Milliarden umgesetzt werden. Ihr seid das Melkvieh der Nation, vergesst das nicht. Und sie tun alles, damit ihr die Milchquote übererfüllt. Aber ihr könnt euch schützen. Lasst einfach die Glotze aus. Ich sehe seit dem 12. September 2001 nicht mehr fern (schaue aber gerne noch Serien von DVD und von Festplatte). Fast dreizehn Jahre später habe ich meine Momente, an denen ich weder Angst vor "möglichen Auswirkungen" noch irgendeinen Konsumwunsch hege.
Yay!!!
Diesen paradiesischen Zustand werde ich nicht mehr hergeben.
(You have) "Nothing to fear but fear itself" (Franklin D. Roosevelt)

Und lasst endlich diesem lärmenden Bürgermitmachquatsch, das ist sowas von peinlich!

Hier ein paar Tipps und ein weiterführender Link zum fernsehfreien Leben (Blogbeitrag).


Dienstag, 24. Juni 2014

ru24 History 50 - EDEKA (1976 ff.)

photo credit: penjelly via photopin cc

Ich hatte das Thema im Blogbeitrag "Nachbarn" schon einmal angerissen, aber es gibt Geschichten, die einer gewissen Länge und Breite bedürfen ...

EDEKA, das sind für mich auch heute noch vor allem die kleinen Tante-Emma-Läden, die es während meiner Kindheit in den 70ern bis in die 80er-Jahre einen auf 5.000 Einwohner gab. Von "Supergeil" waren diese Läden damals noch geradezu grotesk weit entfernt. Die inhabergeführten "Supermärkte" waren kaum größer als 50 m², dafür so mit Regalen und Lebensmitteln vollgestopft, dass es einem chinesischen Antiquitätenhändler den Atem verschlagen hätte. Natürlich gab es keine Einkaufswagen, sondern nur Körbchen aus Stahlgeflecht mit einem roten Griffbügel. Und Linoleumboden.

Schräg gegenüber von meinem Elternhaus gab es auch einen, geführt von unseren Nachbarn Horst und Ulrike Jevers. Horst stand an der Kasse und Ulrike lauerte hinter der kaum ein Meter breiten Fleisch-Käse-Theke, manchmal war es umgekehrt. Der Fleischtresen hatte einen elektrischen Edelstahl-Wurstschneider und eine Kaufmannswaage mit einem riesigen Skalenfeld in Form eines auf der Spitze stehenden Tortenstücks. An der Rückwand zur Theke ging eine Tür ins Treppenhaus zur Privatwohnung der Jevers. Dort lebte auch ihre gemeinsame Tochter Susanne, deren Mimik allzeit absolute Ausdruckslosigkeit zur Schau stellte.
Im "EDEKA-Supermarkt" gab es für uns Kinder damals eine sinnverwirrende Vielfalt an Leckereien wie Bonitos, Lecker-Schmecker und Brauner Bär-Eis. Aber vor allem die "losen Süßigkeiten" hatten es uns Blagen angetan: sogenannte "Negertaler" (Lakritzmünzen zu je 1 Pfenning), Salinos (zu 5 Pf.) und Lakritzschnecken (zu je 10 Pf.).
Das einzige Problem waren die Inhaber.
1976: Das Kind (9, moi) bezahlte bereits mit einem mulmigen Gefühl. Horst Jevers tippte die Preise in die elektromechanische Kasse, zuletzt: Kaschinggg! Dann aber behielt der Ladenbesitzer das Wechselgeld in der gehobenen rechten Hand als Geisel, auf dass der juvenile Kunde nicht fortlief. Nun begann das gezielte Verhör. Immer ging es darum, entscheidende Wissenslücken im Tratsch und Klatsch rund um die Nachbarschaft zu füllen. Hatte man genügend "gute Antworten" geliefert, gab's auch das Faustpfand-Geld. Das war ein Gefühl kindlicher Ohnmacht. Aber auch die Erwachsenen kriegten ihr Fett weg: Die wussten nämlich genau, dass, wenn sie ihre Einkäufe woanders tätigten, verbotenerweise sogar beim Discounter, dann würde das von den Jevers keinesfalls unbemerkt bleiben. Auf gar keinen Fall. Gegebenenfalls ließen die Ladenbesitzer ihnen solches ein- oder zweimal durchgehen. Aber wenn so etwas öfter vorkäme, dann geriete jedes Familienmitglied der Missetäter unweigerlich in den Fokus der Einzelhändler. Unter Umständen verbreiteten sie ja anfangs nur harmlose, unbestätigte Gerüchte, als Warnung quasi. Zum Beispiel dass die 14-jährige Tochter der Familie R. raucht. Solches ließ sich dann steigern, z.B. dass sie sich mit drogensüchtigem Gesindel herumtreibt, so traurig! Und machen wir uns mal nichts vor: Jede Familie hat einige "echte Leichen" im Keller, man müsste nur schamlos genug sein, selbst bei Kindern danach zu graben. Und Scham war Mangelware in jenen Tagen.
Nur wenige waren bereit, den gesellschaftlichen Tod ihrer gesamten Familie hinzunehmen. Also kauften sie weiterhin überteuerte Lebensmittel, machten gute Miene zum bösen Spiel und tratschten mit. Die einzige Alternative war: Sie fielen ab von der Gnade der Einzelhändler. Dann aber gab es kein Zurück mehr: Die Jevers begannen, diese Kunden wie Scheiße zu behandeln, wagten sie es, einen Fuß in den EDEKA zu setzen. Schlimmer noch, die Nachbarn dieser Kundschaft bekamen gezielt Informationen gesteckt oder Fragen gestellt, die gewisse Vermutungen nahelegten. Natürlich nichts, was man vor Gericht hätte verwenden können. Bald aber schon grüßte diese armen Seelen nur noch der Briefträger - und manchmal nicht mal mehr der. Sie hätten eben nicht bei ALDI kaufen sollen.

Eine ältere Dame in den mittleren 50ern, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite wohnte, hatte es böse erwischt: Allzeit war sie eine Person von großer Tugend gewesen, rackerte sich redlich ab, hatte ihre Mutter lange gepflegt, war sogar noch immer ein "Fräulein". Doch dann das: In einem Anflug von spätem Frühling liierte sie sich mit einem Trinker, der sich eines Tages in einer ans Gebäude angeschlossenen Lagerhalle erhängte. Überall Polizei! Was für ein unerhörter Skandal! Wen hatte die alte Schachtel da nur angeschleppt? Hatte sie vielleicht sogar selbst Hand angelegt? Und, weitaus schwerwiegender noch: Die Dame beging ja schon seit einiger Zeit den Fehler, sich von Schwager und Schwester preiswerte Lebensmittel von Discounter mitbringen zu lassen.
Mehr brauchte es nicht: Die Jevers grüßten diese ihre langjährige Kundin nicht einmal mehr, wenn sie den Laden betrat, ließen sie auch gerne mal über Gebühr warten und raunten ihr Schnippisches hinterher.

Aber alles hat einmal ein Ende. Eines Tages in den 90ern schloss der EDEKA für immer seine Pforte: Horst und Ulrike gingen in Rente. Dann passierte länger nichts. Und plötzlich verstarben beide holterdipolter einer nach dem anderen, vor ihrer Zeit.
Tochter Susanne verzog keine Miene.

Das ist EDEKA für mich, bis heute.
Wen es noch immer wundert, dass immer mehr Menschen ihre Ware im Internet beziehen: Horst und Ulrike Jevers haben auf jeden Fall ihren nicht zu geringen Beitrag dazu geleistet.