Donnerstag, 21. Oktober 2010

ru24 History 20: Tautau Obskur (2001)


tattoo'd lady
Originally uploaded by hedonaut
Das neue Jahrtausend war angebrochen, die Moderne quasi.
Auch ich fühlte mich sehr modern.
Beim Besuch eines Freundes in Berlin war es so weit. Gneisenaustraße, zwei U-Bahn-Stationen vom Kreuzberger Hermannplatz entfernt, in dessen Nähe ich wohnte, stieg ich aus. Ich stärkte mich noch etwas bei Barcomis. Dann machte ich mich in der Bergmannstraße auf die Suche nach einem Tattoo- und Piercing-Shop. Ich fragte etwas herum und wurde bald in einer Seitenstraße fündig: TAUTAU OBSKUR.
Naja, der Name hätte mich schon stutzig machen sollen...
Palim!
Ich betrat den mit Flaschen voller Bandwürmern und mit Totenschädeln dekorierten Laden. Hinter dem Tresen standen zwei Grazien, tätowiert und gepierct bis zum Arsch. »Meine«, eine Art Morticia Addams im vampirischer Gewandung begrüßte mich. Ihre langes Haar war mittig gescheitelt, auf der einen Seite weiß wie bei einer Greisin, auf der anderen Seite rabenschwarz. Tattoos flammten aus ihrem üppigen Dekolleté. Ihr Lippenstift war schwarz, ihr Augen-Makeup hätte Daryl Hannah aus »Blade Runner« beeindruckt.
Ich räusperte mich.
»Äh. Ich hätte gerne ein Piercing, so hier am Ohr«, sagte ich. Es ging mir um ein Piercing, das Helix genannt wird - einen Ring durch das Knorpelgewebe der Ohrkante.
Moriticia griff unter den Tresen und beförderte eine Reihe von Ringen aus Chirurgenstahl hervor. Mit dem Ring gings ins Hinterzimmer.
Der Flur war in Augenhöhe behangen mit kleinen Bilderrahmen mit Fotos von Piercings, die bereits in Leuten steckten. Manches davon weigerte sich mein Gehirn zu dechiffrieren.
Moriticia sah es an meinem Blick, sie drehte sich zu mir um.
»Das können wir dir auch machen, das heilt irre gut da
Ich lehnte dankend ab.
Wir erreichten eine Tür, ich musste unwillkürlich an »Zimmer 101« im »Ministry of Love« von »1984« denken. Den Raum beherrschte ein mit grünem Kunstleder bezogener, reichlich runtergerockter Friseurstuhl aus den 50ern und Schränke voller Geräte. Eine Kammer wie geschaffen für politische Folter und Schmerzexpertimente. Ich suchte den Boden nach verräterischen Flecken ab.
»Achso, wir STECHEN die Piercings, ganz klassisch.«
»Ja, klar«, sagte ich, als hätte ich den Hauch einer Ahnung gehabt und setzte mich.
»Willste ’ne Betäubung?«
»Nee, quatsch!«, sagte der ahnungslose Trottel im Behandlungsstuhl.
Moriticia legte allerlei zurecht, unter anderem eine Braunüle, mit der man einem Pferd hätte größere Mengen Blut abnehmen können. Sie zog Latexhandschuhe an und einen Mundschutz. Sie desinfizierte mein Ohr. Ich stellte mir derweil das Schicksal anderer Delinquenten vor. Plötzlich stach sie mir die dicke Nadel durchs Ohr. Der Trottel bedauerte schlagartig und auf die harte Tour, keinerlei lokale Anästhesie genommen zu haben.
Eine Träne stahl sich aus seinem rechten Auge und lief ihm über die Wange, derweil der Schmerz loderte.
Nach ein paar Handgriffen ihrerseits war alles vorbei.
Sie hielt mir einen abgegriffenen Handspiegel hin.
»Sieht gut aus!«, sagte sie, dann: »Wenn das irgendwie komisch ist, dann ist das ’ne Akupunktur-Stelle. Dann kommste wieder, dann stechen wir noch eins daneben. Und du kannst eine Weile nicht auf dem Ohr schlafen. Ich schreib dir mal was zu Desinfizieren auf, dass musste jetzt ein paar Wochen lang jeden Tag machen, wegen der Kruste und so.«
Ich wankte aus dem Laden, mein Ohr pochte, es begann, anzuschwellen.
In der Apotheke kaufte ich mir was zum Desinfizieren.
Als ich bei meiner Bleibe ankam, pochte das Ohr wie verrückt, es war auf die doppelte Dicke angeschwollen.
Das Desinfizieren - autsch!
Nachts drehte ich mich aus versehen auf das Ohr - *winsel*

Das Loch siffte noch drei monatelang herum. Täglich musste ich mit dem Fingernagel Kruste vom Ring abkratzen und ihn drehen. Das Desinfizieren brannte.
Die Schwellung ließ eines Tages ganz nach. Dann entstand an der Rückseite meines Ohres um das Loch herum ein Knorpelwulst wie ein Mondkrater. Der veränderte sich wieder. Ich las in der Zeit solche und ähnliche Texte:
"Der Ohrknorpel gehört zu den härtesten des Körpers, ist aber gleichzeitig eine heikle Stelle was Wundheilung betrifft. Kommt es zu Entzündungen oder anderen Komplikationen, können diese, wegen der speziellen Beschaffenheit des Ohrgewebes, nur schwer bekämpft werden. Schmutz bleibt länger in der Wunde und Heilmittel werden, egal ob innen oder außen aufgetragen, sehr schlecht zur Wunde transportiert. Ist der Ohrknorpel erstmal zerstört, regeneriert er sich nicht mehr, sondern es kommt zum gefürchteten Blumenkohlohr." (Quelle)
Gottogott!
Doch nach einem dreiviertel Jahr normalisierte es sich so weit, dass ich auf meiner einstigen Lieblings-Schlafseite wieder schlafen konnte.
Und irgendwann war es wirklich vorbei.

Ach so: Morticia, Herzchen, ja, ich hätte gerne ganz dringend eine Betäubung!
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Donnerstag, 9. September 2010

Camping - eine Erinnerung an den Urlaub


camping
Originally uploaded by twicepix
Es ist 6.58 Uhr, ich erwache mit einer Blase groß wie ein Ytong-Stein.
Mein stummer Schrei ist Hoffnungslosigkeit.

Ich prüfe meinen Rücken, er ist vorhanden, scheint sogar intakt. Ich kann meine Beine bewegen, ein gutes Zeichen. Die vergangene Nacht war eine Melange aus Schlafphasen, Schlafsacküberhitzung und unzugedecktem Frieren. Ich bleibe liegen und gehe im Geiste die 27 Schritte durch, die notwendig sind, um notdürftig bekleidet zum Sanitärhaus zu gelangen. Der Aufwand ist zu beträchtlich, als dass ich danach noch ein Auge zu machen würde, da kann ich auch gleich duschen gehen.

In der Hocke und gebeugt geht die Suche nach quasi Allem los: Brille, grasfleckige Hose, irgendwelche selbstklebenden Socken, Schläppkes, müffelndes Handtuch, Kulturbeutel. Fast alles verbirgt sich geschickt vor dem verschleierten Blick des Suchenden. Die volle Blase ist ein Fanal. Ich öffne ächzend den Zeltreißverschluss, krieche in unwürdiger Pose aus dem Zeltinneren ins sandige Vorzelt. Dreck scheuert, Steine aus dem Untergrund bohren sich brachial durch den Zeltbodens in meine Knie. Winselnd schließe ich den nun hinter mir liegenden Reißverschluss.
Ich richte mich auf, provisorisch, frühen Primaten in nichts nachstehend.

Draußen auf der Bank sitzt Bernd vor einer Blechtasse mit schwarzem Kaffee, er raucht eine Selbstgedrehte. Er sieht so aus wie ich mich fühle. Ich gurgle ihm einen Gruß zu. Sein Grunzen ist nicht zu interpretieren.

Ich wanke gen Sanitärhaus, den kiloschweren Kulturbeutel in der Rechten, das Handtuch über die Schulter geworfen.
Auf dem Campingplatz ist bereits ein reges Treiben aus Radfahrern, Hundehaltern, Brötchentütenheimkehrern – dem ganzen Frühaufsteherpack.
Ich erreiche die Toilette.
Es ist als hätt‘ der Himmel, die Erde still, geküsst.
Dann ist da sogar eine freie Duschkabine.
In den Fußpilzgründen des Vorgängers herumtappend, entkleide ich mich, platziere das Duschgel in der Duschkabine. Ziehe mich aus. Beim Aufdrehen des Hahns stelle ich fest, dass der Duschkopf fehlt. Ich ziehe mich an. Der Vorraum der einzigen anderen Dusche, die frei ist, steht daumendick unter Wasser. Was bleibt mir übrig? Ich nehme den Abzieher und beseitige die Überschwemmung gen Gully. Dabei tauchen dann diverse Voodoo-Haarstrünke auf, die die grauen Fluten gnädig verhüllt hatten.

Ich dusche.
Viel zu spät merke ich, dass ich mal wieder keine frische Wechselwäsche dabei habe. Herrgott, ich kann doch nicht an alles denken!
Die Luftfeuchtigkeit liegt bei 100%, das Abtrocknen ist ein vergebliches Unterfangen. Zumindest habe ich mit dem gammligen Handtuch mal alle Mückenstiche angeregt, sich zurückzumelden.
Quasi nass zwänge ich mich in die bereits hochfragwürdige Kledage zurück. Klamm schmiegt sie sich an mich. Mindestens eine Socke, die Unterhose und ein Hosenbein saugen sich zusätzlich voll mit der Pfützen-Sutsche von Dutzenden meiner Vorgängern, da kann ich machen was ich will.

Als letztes presse ich die Duschgelflasche in den mit Kosmetikartikeln bis zum Rand vollgestopften Kultur-Beutel zurück. Natürlich rattert jetzt die elektrische Zahnbürste los, so dass ich alles neu sortieren muss, damit es überhaupt passt. Auch noch nass rasieren geht heute mal gar nicht - wie die letzten Tage auch…

Ich fliehe diesen Ort.
Der Himmel hat sich zugezogen, der böige Wind bläst bereits die ersten Ausläufer des Regens auf meine Brille.
Ich fluche gotteslästerlich.

Der fünfte Tag beim Camping – und die Kultur ist komplett den Bach runter.






Freitag, 27. August 2010

Ein schrecklicher, schrecklicher Fehler!


Schranke
Originally uploaded by Tabbo107
Es war ca. im Jahr 1995 auf dem Sparkassen-Parkplatz Hohenfuhrstr., 42477 Radevormwald. Zufahrt und Wegfahrt an den Schranken wurden über die EC-Karte gesteuert. Wenn man hier unter einer Stunde parkte, war es kostenlos. Über eine Stunde parken kostete 2,00 DM, zahlbar als Münze in bar direkt an der Schranke. Alles eigentlich ganz easy...
Es war ein flirrender Hochsommertag.
Ich hatte Geld abgeholt (50,00 DM), stieg in mein Auto, um loszufahren. Eine Frau parkte reichlich umständlich aus, ich ließ sie vor, weil, das war höflich und ich war ja nicht in Eile - ein schrecklicher, schrecklicher Fehler!
Der PKW vor mir hoppelte zum Schlagbaum, rangierte etwa 6x vor und zurück. Sie drehte ihre Scheibe herunter, um ihre EC-Karte in den Schlitz zu stecken. Das Display zeigte »Zu zahlen: 2,00 DM«. Sie hatte wohl länger als eine Stunde geparkt. Die Frau stellte den Motor ab. Kurbelte die Scheibe hoch. Schnallte sich ab. Öffnete die Tür. Stellte fest, dass es zum Aussteigen zu eng war. Rutschte auf den Beifahrersitz. Stieg aus. Schloss ihren Wagen ab. Hinter mir warteten zwei weitere PKW. Fassungslos starrte ich die Frau an, fühlte mich gezwungen, etwas zu sagen.
»Würde es ihr Charakter erlauben, die zwei Mack einzuwerfen, damit wir alle vom Parkplatz herunterkommen?«, meine Stimme bebte leicht.
»Das sehe ich ja gar nicht ein!«, schrillte und eierte auf ihren Pumps mit ihrem Kostüm in die Sparkasse zurück. Ich ließ mich in meinen Sitz plumpsen und machte erst einmal meinen Motor aus. Ich studierte eingehend meine Kontoauszüge, fächelte mir gleichzeitig Luft damit zu. Inzwischen waren es vier Wartende hinter mir.
Schweiß lief mir den Rücken hinunter.
Die Frau kam zurück. Mit den farblich passend zu dem Kostüm lackierten Fingernägeln trug sie spitz ein farblich mal überhaupt nicht passendes, grünes Weichplastikfutteral. Sehr, sehr offensichtlich beinhaltete es – von der Form, die sich durchdrückte – eine Parkmünze. Ich atmete auf. Die Fahrer der unterdessen fünf hinter mir stehenden Autos sicherlich auch.
Sie schloss ihren Wagen auf. Stieg ein. Rutschte rüber. Schnallte sich an. Ließ den Motor an. Kurbelte die Scheibe herunter. Dann beobachtete ich die Frau dabei, wie sie versuchte, die Parkmünze samt Futteral in den Geldschlitz zu stecken.
Spontan traten mir Tränen in die Augen.
Schweiß tränkte meine Kleidung im großen Stil.
Bevor ich mit tränenverschleiertem Blick interagieren konnte, passierte Folgendes: Die Frau stellte den Motor ab. Kurbelte die Scheibe hoch. Schnallte sich ab. Rutschte rüber. Stieg aus. Schloss ihren Wagen ab. Auf ihren Pumps eierte sie in die Sparkasse zurück.
Hinter mir warteten bereits alle PKWs des Parkplatzes.
Sämtliche Motorlüfter liefen auf Volllast.
Ich ließ meinen Tränen freien Lauf, ich war schweißnass von Kopf bis Fuß.
Nach endlosen fünf Minuten erschien ein Bankangestellter mit einem Werkzeugkoffer und die Pumps-Frau. Der Bänker legte sein Jackett ab, kramte in dem Kasten herum, fand endlich den Schraubenschlüssel und montierte umständlich die »defekte« Schranke ab.

Der Parkplatz leerte sich schlagartig.
Alle fuhren sofort irgendwohin, nur um Fahrtwind zu bekommen.
An diesem Tag sind in flirrender Sommerhitze Schweiß und Tränen der Dankbarkeit Vieler geflossen.

Bis dahin hatte ich immer gedacht, solche Leute gäbe es in echt gar nicht.

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Dienstag, 24. August 2010

ru24 History 19: Attila (1996)


Vacuum Cleaner
Originally uploaded by twicepix
Anno 1996 wohnte ich in einer 2er-WG zusammen mit Lutz. Lutz gehörte die Wohnung, er hatte sie von seinen Eltern geerbt. Ich war damals ein »so genannter Student« (Soziologie), hatte wahnsinnige Skills in Doom, Quake und Commander Keen, schrieb Kurzgeschichten. Den Lebensunterhalt bestritt ich mit einem 20-Stunden-die-Woche-Studentenjob.
Natürlich war ich zu Hause, als Attila schellte.
»Guten Tag, Vorwerk!«, sagte der Vertreter durch den Türspalt. Er war wie ich etwa Ende 20.
»Ja, hi!«, sagte ich wenig begeistert, »Der, dem der Sauger gehört, ist gerade nicht zu Hause!«, ergänzte ich. Damit war eigentlich alles gesagt.
»Ach, egal!«, freute sich Mr. Vorwerk und stand in der Wohnung - seine Skills waren forciertes Aussagen-ignoring und extreme Wohnungsbetreting.
»Hörma, wir sind doch ein Alter, ich bin der Attila!«, kumpelte er.
»Henning«, stellte ich mich etwas zurückhaltend vor. Mit gekonnten Handgriffen baute er seinen mitgebrachten Staubsauger um, flanschte eine gefährlich aussehende Rotationsbürste an. Nun nötigte er mich, mit dem wohnungseigenen Sauger ein Stück Teppich abzusaugen. Dann machte er sich rasant mit seiner dollen Aufsatz-Bürste über das gleiche Stück Bodenbelag her. Im Anschluss demontierte er sein Gerät, entnahm ein Tuch, dessen weißpudrigen Inhalt er mir auf den Küchentisch klopfte.
»Da! Dat is alles Milbenkacke, Mann!«
Puh!
Zickezacke Milbenkacke!!!
Ich wurde ihn wieder los, indem ich ihm steckte, dass meine Freundin zehn neue Staubsaugerbeutel benötige. Ich gab ihm ihren Namen und die Adresse. Er komme »die Tage« mal vorbei, sagte er.
Puh!
Abends saß ich mit meiner damaligen Freundin Bärbel in ihrer Wohnung mit Schinkenstullen vor der Glotze, als es plötzlich schellte.
Die Tür flog auf - Attila!
»Henning!«, rief er erregt, stürmte auf mich zu, herzte mich, wie man vielleicht seinen aus jahrelanger Kriegsgefangenschaft wohlbehalten heimkehrenden Bruder in die Arme schließt. Wenn man Italiener ist.
Er vertickte die Beutel, drückte sicherheitshalber auch die verdatterte Bärbel, hinterließ seine Karte und verschwand.
»Wie lange kennste DEN denn schon?«, fragte sie fassungslos.
»Äh, seit heute Nachmittag 14.00 Uhr«.


Donnerstag, 5. August 2010

ru24 History 18/Medien 7: Aktenzeichen XY... ungelöst (1974)

An einem Freitagabend um 20.15 Uhr im November 1974 kam mal wieder "Aktenzeichen XY... ungelöst - Eduard Zimmermann berichtet über ungeklärte Kriminalfälle".
Es ist ein Familien-Fernsehabend vor dem Schwarzweissfernseher.
Sobald die "spannende Musik" von Aktenzeichen XY... ungelöst" beginnt, bin ich sowas von ungelöst. Kaum erträgliche Spannung für einen Siebeneinhalbjährigen! Mit einem Abreißblockzettel und einem Bleistift in der schweißnassen Faust sitze ich wie gelähmt auf meinem Sessel, Auge in Auge mit dem echten Verbrechen! Aber in meiner Eigenschaft als Junior-Privatermittler würde ich meinen Teil dazu beitragen!
Zuerst werden Fotos von üblen Verbrechervisagen voller Backenbärte, Jaruzelski-Brillen und wirklich fieser Scheitel gezeigt: "Im Zusammenhang eines Raubüberfalls ging es in der letzten Sendung um zwei Männer, von denen der Polizei diese Aufnahmen vorliegen, sie aber die Namen nicht kennt. Sachdienliche Hinweise ... ."

Dann kommt es zum ersten Fall:
Am Morgen des 12. Juni 1973 machten Spaziergänger einen grausigen Fund. Es handelte sich um die grausam zugerichtete Leiche der 53-jährigen Emilie Brambecke aus Burgkunstadt. Die erfolgreiche, alleinlebende Speditionskauffrau wohnte im nahen Redwitz an der Rodach, wo sie in ihrer Freizeit ihrer Leidenschaft nachging: Dem Sammeln von Orienteppichen - eine Leidenschaft, die ihr zum Verhängnis werden sollte, wie wir heute wissen."
Ich blicke zum Wohnzimmerteppich.
"Papa, so wie der?", frage ich mit bebender Stimme.
"Ja, so ähnlich", bestätigt mein Vater abwesend.
Gottogott!!!
Meine Faust klammert sich noch fester um den Bleistift.
Dann kommt eine "Riffelglas-Wischblende", die einen Standortwechsel symbolisiert. Jetzt war der Zuschauer sechs Stunden vor der Tat mit Frau Brambecke im Büro ihrer Spedition. Sie verabschiedet sich von den Angestellten, um in den Urlaub zu fahren.
"Was die bei ihren Angestellten beliebte Frau Brambecke jetzt noch nicht ahnen konnte, war, dass sie diese heute zum letzten Mal sehen sollte. Diese Verabschiedung war für immer."
Mutter: "Nä! Et is ne Schlechtigkeit inner Welt!"
Ich bibbere.
Frau B. fährt nach Hause. Sie wundert sich doch sehr über den nahe ihrer Einfahrt geparkten Transporter mit Münchner Kennzeichen. Ich notiere mir auf dem Zettel das Autokennzeichen mit dem Bleistift: "M-CH 99", dabei drückt sich das Muster des grünen Cordsessels durch.
Dann werden wir Augenzeugen, wie Frau. B. von schwarz gekleideten Grobianen chloroformiert wird. Im Anschluss schleppen sie Orientteppiche, Frau B. und dann weitere Orientteppiche in den Transporter.
Ein betroffener Eduard Zimmermann schaut in die Kamera.
"Wir vermuten, dass Frau Brambecke nach dem Aufwachen starke Gegenwehr geleistet hat. Was nun folgt, ist mit normalem Menschenverstand nicht zu erklären."
Gottogott!!!
Einer der ermittelnden Kommissare ist im Studio, wird vorgestellt: Walther Kaschewski von der Kripo Schweinfurt. Kaschewski klammert sich an sein Konzeptpapier, als hinge sein Leben davon ab. Er ist dick, schwitzt. Er trägt einen schrecklichen Anzug und hat sein verbliebenes Haupthaar von rechts nach links über die Glatze gekämmt. Silbe für Silbe liest er vom Blatt ab, wodurch er sich anhört wie ein Roboter: "Wer hat diese Hartkäsereibe der Marke 'Hügli Grati Express' schon einmal gesehen?"
Ich hatte genug!
Ich drücke Papa den Zettel mit der Autonummer in die Hand.
"Du rufst da gleich an, ja?", sage ich mit bebender Stimme.
Papa nickt feierlich.
Der Junior-Privatermittler geht nach getaner Arbeit freiwillig zu Bett.

Schon in früher Kindheit habe ich so etliche Kriminalfälle lösen können, einfach, indem ich die Nummernschilder der im Film gezeigten Täterfahrzeuge notiert habe.


Mittwoch, 4. August 2010

Queen Mom 4 - Enkelkind


Drive By Shooting 6
Originally uploaded by christian.greller
Ich bin mit Queen Mom (82) im Auto unterwegs.
"De Ruth hat schon wieder en Enkelkind bekommen", sacht de Mutter.
Ich umklammere angelegentlich das Lenkrad.
"Diesmal von de Dorothée. Et is schon dat Sechste!", schiebt de Mutter hinterher.
Ich kuck zur Ampel, studier dat intensive Rot, leg nen Gang ein.
"Ich weiß ja nich an eins zu kommen!", murmelt se.
Et wird grün, ich fahr los.
"Schrecklich!", flüstert Mom.
Ich sauge de Wangen ein.
Manchmal is et besser, mal gar nix zu sagen.
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Montag, 2. August 2010

ru24 History 17: Kriminell! (1975)

Etwa 1975 entdeckten wir durch die Nachbarschaft stromernden Kinder (durchschnittlich acht Jahre alt) im Altmetallcontainer eines kleinen Unternehmens einen Schatz: Der Container war gefüllt mit tausenden, aus Blechen herausgestanzten, kreisrunden Scheiben von ca. 2 cm Durchmesser. Wir kletterten in den Container und spielten Dagobert Duck.
Soviel sei gesagt: Eine Gelddusche ist - anders, als in den Lustigen Taschenbüchern dargestellt - kein Vergnügen!
Kaum waren wir Jungs in diesen hohen Gefilden der Großfinanz angekommen, entwickelten wir sofort ein beträchtliches, kriminelles Potential - also wie im richtigen Leben! Es dauerte nämlich nur ein paar Minuten, bis es raus war, dass diese Scheiben die gleiche Größe und Dicke hatten wie 10-Pfennig-Stücke (Groschen). Es dauerte weitere zehn Minuten, bis klar war, dass diese Scheiben problemlos in Kaugummiautomaten passten.
Wir schaufelten uns die Taschen mit Metallscheiben voll und schwärmten aus, zum Alptraum aller Kaugummiautomatenbetreiber zu werden!
Muahahaha!!!
Nach zwei Stunden taten uns allen die Kaumuskeln weh. Unsere Wangen waren ausgebeult von den titanischen, kittartigen Klumpen in unseren Mündern, unsere Lippen hatten rote, grüne, gelbe und blaue Ränder. Unsere Spucke war anthrazitfarben.
Wir Kinder hatten einige perfekte Tage.
Freitagabends saß ich mit den Eltern im Wohnzimmer, es kam "Aktenzeichen XY ... ungelöst" und während eines spektakulären Falles von in Umlauf gebrachten Falschgeldes schoss es mir plötzlich wie Eiswasser durch meine Adern!
Ich! Hatte! Falschgeld! In! Umlauf! Gebracht!
Und meine verdammten Fingerabdrücke waren überall - ich hatte ja nicht einmal Handschuhe getragen!
Mein Herz schlug mir bis zum Hals! Im Geiste hörte ich schon Eduard Zimmermann sagen: "Bei unserem nächsten Fall bittet die Kripo Gummersbach um Ihre Mithilfe. Hier geht es um einen besonders dreisten Fall von Falschmünzerei in Tateinheit mit einer noch nie dagewesenen Kaugummiautomaten-Plünderung!"
Die nächsten drei Nächte wälzte ich mich hin und her, statt zu schlafen.
Meine Tage verbrachte ich damit, mir auszumalen, wie der Kaugummiautomatenleerer von einem grauen Münzfernsprecher mit Wählscheibe aus die Polizei anruft und dann die Spurensicherung vor Ort das Gelände absperrt.
Wie oft erscheint so ein Kaugummiautomatenleerer? Einmal wöchentlich? Einmal monatlich?
Wie viel Zeit blieb mir noch?
Wie lange würden die anderen Jungs beim Verhör standhalten, diese Luschen?
Und sicher gab es Augenzeugen.
Es gab immer Augenzeugen!
Natürlich würde ich dafür in den Knast kommen, das war eine Gewißheit!!!
...

Nun, ich bin noch einmal davongekommen.
Aber es war sehr knapp.
Um ein Haar hätte bis zur Verjährung der Straftat 10 Jahre mit einer anderen Identität in einem südamerikanischen Land ohne Auslieferungsvertrag (z.B. El Salvador) untertauchen müssen.



Donnerstag, 29. Juli 2010

Bürogeplänkel 22 - Hektik machen


Kaffeepause
Originally uploaded by SoNo_Polarbear
Ja, in der Firma ist zurzeit viel los. Ein europaweiter Massenausfall läßt quasi buchstäblich alle Kunden anrufen. Trotzdem kann man ja wohl mal in der Küche vor dem edlen Jura-Kaffee-Vollautomaten stehen und sich die Tasse mit frischem koffeeinhaltigen Aufgussgetränk füllen lassen! Ich nutzte die Zeit für einen kleine Meditation.
Der Kaffee lief, 100 ml.
Eine Kollegin hastete heran, sah mich in meiner meditativen Untätigkeit und befand, sich darüber ärgern zu müssen.
"Na, du hast ja die Ruhe weg!", giftete sie.
Der Kaffee lief, 150 ml.
"Hmmm!", sagte ich unbestimmt.
Der Kaffee lief, 200 ml.
Die Kollegin zog zischend von dannen.
Der Kaffee lief, 250 ml - fertig.
Ich nahm meine Tasse und ging gemessenen Schrittes zu meinem Platz zurück.

Ich denke, auch hektisches Kaugummikauen oder das Lösen eines Sudokus während der Füllzeit hätte sie nicht zufriedengestellt, ebenso wenig wie Seilchenspringen oder Liegestütze. Ich sollte vielmehr den Knopf an der Maschine drücken, während der Kaffee läuft zur Toilette hasten, im Stehen scheißen, zurückeilen, die Tasse unter der Maschine wegzerren und wieder zu meinem Platz eilen, den nächsten Anruf entgegennehmen - das alles binnen 45 Sekunden.

Irgendwie bin ich froh, nicht bei der chinesischen Firma Foxconn iPhones zusammentackern zu müssen. Unter Arbeitsbedingungen, die meiner Kollegin sicherlich gefallen hätten, mich aber vielleicht in den Selbstmord treiben würden (Link).

Ich nippe stattdessen an meinem Kaffee - ich "hab ja die Ruhe weg" - nehme dann den nächsten Anrufer entgegen.
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Dienstag, 27. Juli 2010

Undezente Geschäfte


cannabis stencil
Originally uploaded by duncan
Mir direkt gegenüber in einer Dachwohnung wohnt der vielleicht faulste Dealer westlich vom Pecos.
Er hat es in fünf Jahren nicht über sich gebracht, seine Haustürklingel reparieren zu lassen, sodass seine Botenjungen - die ich Lolek und Bolek nenne - immer ohrenbetäubende Pfiffe ausstoßen müssen, um sich bemerkbar zu machen. Dies tun sie mitten auf der Straße stehend. Spätestens jetzt weiß die halbe Gegend bescheid. Wenn Lolek und Bolek sich nicht Gehör verschaffen konnten, beginnen sie mit starkem Akzent, den Dealer ihres Vertrauens zu rufen: "Dhomasch! --- Dhomasch!!!"
Hey! Es gibt auch im Baumarkt selbstklebende Funk-Haustürklingeln zu kaufen. Ich habe schon mal überlegt, als mir das mit der Pfeiferei etwas zu viel wurde, ihm eine zu schenken, aus guter Nachbarschaftlichkeit. Aber er hätte es vermutlich nicht geschafft, sie anzubringen. Er hat ja auch kaum Zeit, so ohne Job, als von Hartz IV lebender Nachtmensch quasi.
Wenn Lolek und Bolek Glück haben, streckt Thomas K. nach dem ersten Pfiff seinen Kopf zum Fenster heraus um zu schauen, was so geht. Schnell wird man sich mit einigen Fingerzeichen handelseinig. Jetzt könnte Thomas K. Lolek oder Bolek die Tür öffnen, oder er könnte herunterkommen. Doch das wäre ja mit minimalen Mühen verbunden. Stattdessen ist es doch viel bequemer, die Ware in ein Papierchen zu wickeln und aus dem Fenster in den Vorgarten zu werfen! Lolek oder Bolek krauchen dann durch die Botanik und sacken die Droge im Papierchen ein.
Nur doof, dass in dem Haus außer "Dhomasch" noch ein halbes Dutzend andere Menschen leben, die das an den Fenstern alles live mitbekommen. Ganz zu schweigen von den ganzen Leuten, die gegenüber wohnen. Zuletzt ziehen die Kuriere auf jeden Fall zu Fuß oder mit BMX-Rad los in Richtung Stadt, das Zeugs zu verticken.
Letzten Dienstag haben Lolek oder Bolek zwar das Papierchen finden können, aber der wertvolle erdbraune Inhalt war in den erdbraunen Vorgarten geplumpst.
Total doof!
"Dhomasch" hatte in seiner Dach-Kemenate ausgeharrt, um dann Punkt Mitternacht mit einer starken Taschenlampe das Gartenstück total unauffällig Zentimeter für Zentimeter zu ergrellen. Ich habe ihm kichernd ein wenig bei seinen Bemühungen zugesehen, musste aber dann doch schlafen gehen. Da hatte der Vogel endlich mal was getan für sein Geld!
Ein Drogenhund hätte ihm sicher ganz toll weiterhelfen können!

Wirklich doof, dass Dealerei von Dezenz lebt.
"Dhomasch" ist in seinem "Job" so unauffällig wie ein Marktschreier.
Ich will ja glauben, der Vogel vertickt nur Shit.
Verpfeifen würde ich ihn, weil er so unglaublich blöd ist.
Weil er so faul ist.

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Montag, 26. Juli 2010

Lifestyle 38 - Es kann jeden treffen


ghostwoman
Originally uploaded by Picturesimon
Queen Mom (82) hatte wieder etwas ausgeschnitten, was sie mir bei meinem Besuch wohlmeinend in die Hand drückte.
"Hier, da kannste abnehmen, so in diesem Internet", sagte sie.
"Oh toll!", sagte ich und nahm den Wisch an mich. Irgendwie war es eine ausgerissene Seite aus dem Apothekenblättchen. Eine leicht moppige junge Frau strahlte darauf von Ohr zu Ohr bei der bloßen Vorstellung, so "über das Internet kostenlos die Pfunde purzeln zu lassen" - auf www.zu-fett-fürs-balett.de oder so.
Naja. Immerhin war es kostenlos.
Doch noch war ich nicht so weit.
Mein Geburtstag beraumte sich an. Ich räumte auf wie ein Irrer, die Wohnung in einen unrealistischen, zumindest optisch pseudosterilen Zustand zu versetzen.
Der Wisch lag noch immer auf dem Schreibtisch.
"Naja, muss ja nicht jeder sehen", dachte ich und faltete das Blatt andersherum.
Der Geburtstag kam, Menschen wuselten herum, betatschten alles und verschwanden wieder.
Tage später saß ich an meinem Schreibtisch, da fiel mein Blick auf eine Anzeige in Riesenlettern: "Stuhlinkontinenz kann jeden treffen!" und darunter "Als es mich traf, habe ich mich geschämt wie ein kleines Kind".
Hä???
Es war die Rückseite des Diät-Blättchens.
Niemand traut sich nun, mich darauf anzusprechen.
Tolle Wurst.
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Donnerstag, 22. Juli 2010

Queen Mom 3 - Johanniter-Hotel


hospital meal
Originally uploaded by Rooney.
Queen Mom (82) war wegen Atemnot ins Krankenhaus eingeliefert worden.
Mein Bruder und ich wechseln uns mit den Besuchen ab.
Jedesmal bevor ich sie besuche, bekomme ich noch einen Anruf meines Bruders, was ich Muttern wohl noch von zu Hause mitbringen soll (neben "Körperseife" und "Leibwäsche"): eine Hartkäsereibe (die mit dem roten Griff), ein Vogelhäuschen (das Geschindelte, nicht das Gelbe), eine spätassyrische Bodenvase (die mit den geflügelten Löwen), die Altölwanne (türkis, die mit dem "abben" Griff).
Mittlerweile sollte sie fast alles da haben. Den kompletten Haushalt. Ein wenig fürchte ich den Tag ihres "Auszuges" aus dem Krankenhaus, da brauche ich mindestens einen Miettransporter. Und vielleicht sechs Helfer mit Sicherheitsschuhen und Latzhosen. In ihrem Spind auf dem Krankenzimmer geht es mittlerweile zu wie in Mary Poppins' Tasche. Nicht nur der ausgestopfte Tukan stört ein wenig.

Wenn ich sie besuche, klopfe ich an der Krankenhauszimmertür, meine Mitbringsel auf dem Arm.
Knock, knock.
Grabesstille dringt mir aus dem Inneren entgeben.
Knock! Knock!
Nichts.
BOOM!! BOOM!!!
Nix.
Ich öffne die Tür. Die Bettnachbarin meiner Mutter, eine ebenso alte Dame, sitzt direkt an der Tür auf der Bettkante und schaut mich an.
"Hallo!", sage ich.
"Ach so!", sagt sie.
Keine Ahnung, warum sie nie "Herein" sagt, sie hört eigentlich ganz gut.
Muttern ist auf der Toilette, ich warte.
Sie erscheint, wir begrüßen uns, ich überreiche ihr die Mitbringsel.
Muttern legt sich mit ihrem gebügelten Nachthemd auf ihrem Krankenhausbett in Position. Die Rückenlehne ist hochgestellt wie bei einer Récamière. Mineralwasser, Glas, Zeitschriften liegen parat.
"Haben die Ärzte was gesagt?", frage ich.
"Oh ja!", freut sie sich.
"Äh, und was?"
"Da waren fünf Ärzte, und einer von denen hat geredet wie ein Wasserfall!", begeistert sie sich.
"Ja, und was hat er so gesagt?", frage ich.
"Ja, so Fachwörter!"
Ach so...
"Aber heute morgen war ein Mädchen da, das hat mir die Füße gewaschen!"
"Toll!"
Mutter legt sich zurück, entspannt und irgendwie urlaubs-erholt, sie trinkt einen Schluck Mineralwasser und schaut aus dem Fenster. Sie genießt das Leben der Schönen und Reichen im Johanniter-Hotel.
Es sei ihr gegönnt.
"Ach, der Frank soll mir beim nächsten Mal, wenn er vorbeikommt, die Entenlockpfeife mitbringen!"
Geht klar.


Samstag, 17. Juli 2010

ru24 Wissen 16 - bedrohte Wörter

Alles was lebt, erzeugt als Kennzeichen des Lebens auch Abfallprodukte, so auch die deutsche Sprache. Wörter, die dereinst ach so bezeichnend waren, fallen weg, werden nicht mehr benutzt. Schaut man in einen aktuellen Duden "Rechtschreibung" oder "Fremdwörterbuch", finden sich tausende von Wörtern, die den Zusatz "veraltet" tragen. Das ist nicht immer so schlimm. Bei dieser kleinen und ganz willkürlichen Aufstellung (Duden, ich bin nur bis "G" gekommen) ahnt man vielleicht, warum:
bo|mät|schen (veraltet) Lastkähne stromaufwärts ziehen, treideln
Cau|seu|se die; -, -n: (veraltet) 1. unbekümmert-munter plaudernde Frau. 2. kleines Sofa
E|lu|ku|b|ra|ti|on die; -, -en : (veraltet) a) mühevoll erstellte, sorgfältige Abhandlung; b) wissenschaftliche Arbeit, die nachts geschaffen wurde
Ga|lo|pin der; -s, -s : (veraltet) 1. Ordonnanzoffizier. 2. heiterer, unbeschwerter junger Mensch
Daß "bomätschen" gleichbedeutend ist mit "treideln" – wer hätte das gedacht? Da alle Diplom- oder Magisterarbeiten, derer ich je Zeuge wurde, sowieso immer nur Nachts und auf den letzten Drücker geschrieben werden, ist ein spezielles Wort wie "Elukubration" nicht mehr vonnöten. Und wenn die Causeuse mit dem Galopin erst einmal im Séparée verschwunden ist, dann heißt mich ohnehin der Anstand schweigen. Von fallen gelassenen Beinkleidern will ich dann schon gar nichts wissen.
Also, who cares?
Die durchweg lesenswerte Seite www.bedrohte-woerter.de (Link) macht Werbung für Bodo Mrozeks mittlerweile zwei „Lexika der bedrohten Wörter“. Zwei Einträge aus dem Lexikon, sind mir sehr ans Herz gewachsen:
Quarre - Quengelndes Kind, früher auch als Göre bekannt. Das Wort stammt aus einer Zeit, als Französisch noch Konversationssprache war. Heute heißen alle Kinder Kids und gehen zu McDonald’s.
urst - Ostdeutsch [...]. Meist als Steigerungsform verwendet, synonym zum herkömmlichen Wort sehr. Zeitweilig beliebt in der Kombination mit anderen bedrohten Begriffen, etwa: "Die Fete war urst geil." Nach 1990 in den Duden aufgenommen. [...] Wird verdrängt durch die Adjektive fett oder krass.
Und dann der Schock: tatsächlich verschwinden ja auch die wichtigen, kuriosen Wörter, meist scherzhafte Synonyme, die aus meinem Wortschatz beileibe nicht mehr wegzudenken sind! Bescheiden, wie ich nun einmal bin, will ich mal nur derer 30 nennen, die Mrozek in seinen Büchern behandelt:
angelegentlich, Augenstern, Augenweide, baff, bannig, bass, bräsig, Bredouille, Brimborium, dufte, Feudel, Firlefanz, Flausen, Fluppe, garstig, Gemächt, Geschmeide, Gutdünken, Humbug, in petto, Kavalier, knorke, Plörre, Popper, Prilblume, Rollschuh, Stegreif, urst, weiland, wohlfeil.
Wollen wir nicht mit aller Kraft versuchen, so viele wie möglich dieser zu Unrecht ungeliebten Kleinode vor dem Aussterben zu bewahren?
Das wäre doch sowas von urst knorke, oder?

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Dienstag, 13. Juli 2010

Sommer! - Teil 2


Dovee
Originally uploaded by Caucas'
Das Fenster Tag und Nacht mindestens aufgekippt - da weiß man, wo man wohnt!
Samstag morgens um 6.30 Uhr knallen juvenile Motorsportfans mit viel Enthusiasmus, Sportauspuff und 45 PS VROOOOOOM!!! unter meinem Fenster vorbei in Richtung Schwarzarbeit, an der Pioneer-Anlage alle Knöpfe auf '10' - UFZ-UFZ-UFZ!!! Um 8.40 Uhr startet mein mit geistigen Gaben nicht gerade allzu gesegneter Herr Nachbar seine Schlagerparade - Hossa! - jetzt auch von Fenster zu Fenster. Gerade bin ich mit rotgeäderten Augen wieder weggenickt, den allgegenwärtigen "Chor der Verdammten" (Rasenmäher, Rasenkantenschneider und Heckenscheren) ignorierend, da krallt sich roten Fußes eine Taube in die Dachrinne, rülpst ihr geistloses Gru-hu -- gru-hu -- gru-hu! exklusiv in mein Fenster. Nach einer Viertelstunde fliegt das Kackteil von dannen, natürlich mein Auto dabei vollscheißend.
Hauptsache ich werde wahnsinnig.

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Freitag, 25. Juni 2010

www 14 - Facebook Typologien


Facebook
Originally uploaded by Laughing Squid
81% - die schweigende Mehrheit
Irgendwann mal bei Facebook angemeldet, dümpelt dieser Account so vor sich hin. Geburtstagswünsche von vor 7 Monaten gammeln hier ebenso ungelesen herum wie hoffnungsfrohe Einträge von "Freunden", "doch mal wieder was zusammen zu unternehmen". Die meisten dieser Vögel haben es nicht einmal zum Profilbild geschafft.
Eine Sonderform stellt der "passive Kontaktesammler" dar: Alle zwei Monate erwacht er aus seiner Lethargie, um alle sechs anstehenden Kontaktanfragen zu bestätigen, dann taucht er sofort wieder unter, wenigstens für die nächsten Monate.

5% - El Normalo
Der normale Wald- und Wiesennutzer. Täglich über längere Zeiträume präsent, gibt er gerne fast überall seinen Senf dazu. Er ist das Rückgrat von Facebook.

3% - Glücksnussöffner
Der Glücksnussöffner steht stellvertretend für all jene, die FB keinen eigenen Content hinzufügen, sondern z.B. jeden Tag fast ausschließlich sturheil ihre Glücksnuss öffnen: "Du wist einen schönen Tod haben". Alternativ geben sie damit an, dass ihnen bei Farmville mal wieder eine totaaal niedliche Zwerglanguste zugelaufen ist.

2% - Captain Krypto
Captain Kryptos Statusmeldungen sind selbst für Eingeweihte oft unverständlich. Wie aus sehr altem Assyrisch übersetzt, bleiben diese Sentenzen rätselhaft bis prä-apokalyptisch oder schlicht mundartlich. Im Zweifelsfall kann man sich einfach einreden, dass es "irgendwie" - optional auf Schwitzerdütsch - um "World of Warcraft" geht.

2% - vager Jammerlappen
Ihre Statusmeldungen sind immer negativ, dazu so vage wie möglich gehalten:
"J. Ammer-Lappen: Macht den Schmerzen jetzt ein Ende" (meint: Seine Vagheit entschließt sich endlich, doch mal eine Aspirin einzuwerfen),
"J. Ammer-Lappen: Sieht keinen Sinn mehr darin, überhaupt weiterzumachen..." (meint: Belegt bei dem iPhone-Spiel "Doodle Jump" den letzten Platz und erwägt, aufzugeben),
"J. Ammer-Lappen: Kann nicht aufhören, zu weinen" (meint: Schneidet soeben die dritte Zwiebel).
Wichtig ist, dass alle durch diese suizidal wirkenden Sätze aufgescheucht werden und reflexartig in Massen Aufmunterndes von sich geben.

2% - Superdarling
Jeder liebt Superdarling. Superdarling ist so unglaublich positiv und nett, dass man es kaum für möglich hält. Am Herdfeuer von Superdarlings Herzen wärmen sich die von der Kälte des Netzes unterkühlten Massen.

1% - Ich-Girl
Das Ich-Girl tauscht sein Profilbild täglich aus, es beginnt fast alle Statusmeldungen mit "Ich ...". Es ist fast 20 Stunden am Tag bei Facebook eingeloggt, postet dann: "Ich bin so unglaublich müde" (surprise, suprise), "Ich schaffe meine Arbeit nicht mehr" (wen wunderts?), "Ich bin total dolle krank" (Überraschung: Vitamin D bildet sich in der Haut nur im Zusammenhang mit Sonnenlicht) (Link).
Das Ich-Girl schart eine größere Gruppe von mitfühlenden Mädchen um sich, die zu jeder Tages- und Nachtzeit eine Aufmunterung parat haben, zumindest in den ersten Jahren.

1% - Hyperactive!!!
Hyperactive!!! ist immer und überall zugegen, ist wunderbar witzig, kommentiert, was das Zeug hält - bis in die frühen Morgenstunden. Auf Hyperactive!!! mag niemand mehr verzichten wollen. Wenn Hyperactive!!! sich mal 23 Stunden nicht blicken läßt, gründet garantiert jemand eine "Wir wollen Hyperactive!!! zurück!"-Gruppe.

1% - Der Freak
Findet in den Weiten des Netzes immer etwas Außergewöhnliches, um es zu posten, oft bekommt man von den angeklickten Links leider Augenkrebs, but no risk no fun.

1% - Jäger(in) des verlorenen Links
"Weiß noch jemand den Link zu den hübschen Puschen, so Hausschuhe, grauer Filz, schmal geschnitten und wunderschön, den hatte jemand vor einem dreiviertel Jahr gepostet. Die wollte ich doch meiner Mami schenken!" - Im Grunde erklärt das schon alles.
F: Wie hieß nochmal diese Suchmaschine? A: Facebook

1% - Der Teleprompter
Aktualisiert etwa alle 6 Stunden seinen Status, am liebsten mit einem Handy-App, das Ganze im wichtig aussehenden Twitter-Style: "Bin #gerade mit #Heike im #IKEA". Dem Teleprompter ist das völlig Latte, ob das jemanden interessiert, es fiele ihm aber auch niemals ein, den Post eines Anderen zu kommentieren. Warum das "Soziales" Netzwerk heißt, wird dem Teleprompter für immer ein Rätsel bleiben.

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Dienstag, 22. Juni 2010

ru24: www 13 - Ich bin drin 3.0

Abends (nach einem Arbeitstag am PC im Büro) skype (Link) ich mit meiner Berliner Freundin. Das ist "videofonieren am PC", ich hätte es vor einer Woche auch noch nicht so genau gewusst.
Und wenn man schon am PC sitzt, so Auge in Auge miteinander quatscht, dann kann man sich gleichzeitig auch diverse Dateien zukommen lassen. Über Skype geht das jetzt irgendwie nicht, vermutlich weil sie "Mac ist" und ich "PC". Also senden wir uns während des Gesprächs z.B. ein Dutzend zusammengezippter Fotos via yousendit (Link) zu. Derweil tauschen wir uns über "unseren Tag" und den aktuellen Facebook-Tratsch (Link) aus, danach berichtet sie mir beiläufig in einem Nebensatz, dass sie mir auf meinen Flickr-Account (Link) ein paar Flickr-Mails geschrieben hat, um mich auf bestimmte Flickr-Gruppen aufmerksam zu machen, die mich interessieren könnten, auf die ich aber nimmer gekommen wäre (Beispiel).
Hey! Klasse!
Da geht plötzlich das "richtige" Telefon: Lüdel-lüdel-lüdel! Eine gute Freundin aus Köln ist dran, um mir mitzuteilen, dass sie mir eine SMS aufs Handy geschrieben hat, mit dem Inhalt, dass ich ein E-Mail bei web.de (Link) bekommen habe...
[*hüstel* Ja, tatsächlich bekomme ich nicht immer alles mit - und wer mich kennt...]
Während des Telefon-Telefonats mit ihr lächle ich in die neue Logitech-Webkamera auf meinem Monitor, werfe meiner fernen Videofoniererin eine Braue zu und öffne parallel bei web.de das E-Mail. Inhaltlich dreht es sich um die Kooperation zwischen der guten Freundin und mir auf "Google Text & Tabellen" (Link) die wir mit gemeinsamen Münchner Facebook-Freunden haben, wenn wir zur Kommunikation nicht gerade das Facebook-Mail mit dem Vierfachverteiler nutzen...
Mein Augenlid zuckt.
Ob alles in Ordnung ist, fragt meine Berliner Freundin, nachdem ich das Kölner Telefonat beendet habe.
Ich...
Nein, nein, alles in Ordnung, mein Mauszeiger irrlichtet herum, ich klicke irgendwo irgendwas, drehe Kreise.
Mein Blick ist leer.
"Ich muss auf die Couch", sage ich.

Ich gehe ein Buch lesen, aus Papier.

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Mittwoch, 16. Juni 2010

Lifestyle 36 - Duschen in Berlin

"Menschen, die man generell als genussfähig einstufen kann, verrichten ihre tägliche Körperreinigung nicht gerne wie in einem Gefangenenlager."
Diesen aufpeitschenden ersten Satz möchte ich einfach so mal so stehen lassen.

Es begab sich, dass in den 90ern ein Freund von Wuppertal nach Berlin zog.
Ich half ihm beim Umzug.
Als alles Mobiliar im 4. (gefühlten 6.) Stock endlich parat stand, und ich aus meinem Matratzenkoma erwacht war, "gönnte" ich mir eine Dusche.
Naja, "gönnte" war in dem Fall etwas arg opulent angelegt.
Es gab keine Duschkabine, keinen Duschvorhang.
In einer Wohnung, die gerade bezogen wird, ist das sicherlich verständlich...
Würdelos kauerte ich mich in die Wanne. Was irgendwie ausgesehen haben muss, als verneigte ich mich gen Mekka und würde gleichzeitig versuchen, mich vor Granatsplittern zu schützen. Ich fuhr mit dem Brausekopf mal hier hin, mal dort hin. Da, wo das warme Wasser gerade nicht war, bemächtigte sich meiner eine allumfassende Gänsehaut. In diversen entwürdigenden Posen schäumte ich mich ein, spülte mich ab, fluchte, fror.
"Weichei" werden jetzt viele zischen, die bereits mindestens 25 Jahre in einem russischen Gulag gedarbt haben.
Währenddessen verwandelte sich das Bad in ein Feuchtbiotop, in dem Schilf und Amphibien gediehen wären, wenn man sie nur gelassen hätte. Mein rechter Fuß patschte beim Aussteigen aus der Wanne bereits in Froschlaich. Der Badezimmer-Mülleimer dümpelte auf den Fluten, trieb leise in Richtung Tür, wo die Wassermassen sich unter dem Türspalt brausend in den Flur ergossen.
Wohl dem, der eine Haftpflichtversicherung sein Eigen nennt...
Ich war froh, dem zu fliehen!
Wieder zu Hause duschte ich ausgiebig in meiner neuzeitlichen Duschkabine und genoss das futuristische Leben der Schönen und Reichen des auslaufenden 20. Jahrhunderts!
Ein Jahr später besuchte ich meinen Freund.
Die Wohnung war... wohnlich!
Doch ach!
Von einer Duschkabine, von einem Duschvorhang war nirgends eine Spur! Ich ärgerte mich, gleich vier Tage Berlin gebucht zu haben. Und seitdem mehren sich die Hinweise, dass Berliner so etwas wie Duschkabinen und Duschvorhänge überhaupt gar nicht kennen! Weil sie lieber unwürdig kauern und frieren!
Etliche Hauptstadtbesucher zogen mich seither weinend ins Vertrauen, klagten über ähnliche Zustände in Berlin. Vorsintflutliche Zustände, die ganz automatisch zu nachsintflutlichen Badezimmern führen!!
"Et is doch en Elend inne Welt!", sacht de Mutter immer.
In den Slums von Bombay vielleicht, aber in der Hauptstadt Deutschlands?
Vielleicht sollten wir alle wieder wie nach dem Krieg "Notopfer Berlin"-Briefmarken auf unsere E-Mails kleben, bis alle dort in der Nachkriegsmoderne des dritten Jahrtausends angekommen sind.

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P.S.: Meine Lieblingsberlinerin hat als ehemalige Ost-Kanadierin natürlich Duschvorhang. Was bin ich doch für ein Glückspilz! :)

Montag, 31. Mai 2010

Bürogeplänkel 21: Kommen und Gehen


Karriere-Leiter
Originally uploaded by zwei_ef
"Damals" habe ich in der Firma meine Komm-Geh-Zeiten mit einer Stechkarte festgehalten: Man nahm die Stechkarte "Mai 1994" aus dem nummerierten oder nach Nachname sortierten Stechkartenhalter, legte die Karte in die Stechuhr ein, suchte das richtige Datum und machte "Kaschinggg!" Der Stempel sah aus wie der bei einem Fahrkarten-Entwerter für Bus & Bahn. Am Monatsende nach dem letzten "Kaschinggg!" kam die Karte in eine Art Briefkasten und die Buchhaltungstrolle rechneten das dann irgendwann innerhalb der Dekade mal nach.
Die Moderne hielt Einzug.
Heute bin ich das Sorgenkind der Zeiterfassungs-Korrekturfrau.
Der in der Firma angebrachte Zeiterfasser funktioniert berührungslos mit einem Chip, man muss nur noch sagen, ob man erscheint oder geht.
Das ist das Problem.
Hätte das Ding eine Taste I für "EIN" = erscheint bei der Arbeit und eine 0 für "AUS" = geht in die Pause oder nach Hause, dann wäre ja alles gut. Aber nein. Der Hersteller hatte Genies beschäftigt, die die Tasten "Rot" und "Grün" belegt haben.
Also was?
Erscheine ich morgens verpeilt, verpennt und vor allem bissi verspätet bei der Arbeit, dann ist's mir bestimmt nicht Grün zumute. Unwillkürlich drücke ich natürlich auch Rot und dann piepsts etwas anzüglich: "Kommen fehlt".
Ach shit.
Gehe ich abends, mattgepaukt von des Tages Knechtungen, nach Hause, dann ist's mir so leicht ums Herz und ach so grün ist mir der Sinn!
Es grünt so grün, wenn spaniens Blüten blühen!
Drücke ich dann Grün, dann piepst's wieder: "Gehen fehlt".
Ach shit.
Ich habe die Zeiterfassungs-Korrekturfrau angelogen, dass ich farbenblind bin.
Sie glaubt mir nicht.
Ach shit.

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Samstag, 29. Mai 2010

Unterwegs für den National Geographic, Teil 2


soup, Otavalo, Ecuador
Originally uploaded by lumierefl
Eine ehemalige Kollegin, Petra, war in den späten 80ern mit einem National Geographic-Fotografen unterwegs in den Anden, um im Rahmen einer Reportage über von der Außenwelt völlig abgeschiedene Dörfer zu berichten. Sie fuhren mit dem Jeep, bis es nicht mehr weiterging. Dann schulterten sie ihre nicht unerhebliche Ausrüstung und stiegen in der dünnen Luft bergan, einem Ziegen- oder Lamapfad entlang.
Das Dorf, über das sie berichten wollten, erreichten sie erst nach Anbruch der Dunkelheit. Und da die Bergbewohner recht abergläubisch waren und man aus dem Dunklen auftauchenden Fremden mit noch mehr Argwohn begegnen würde als ohnenhin, beschlossen sie, auf einem kargen Stück Brachland außerhalb des Dorfes zu übernachten. Mit wenigen Handgriffen schlugen sie ihr silbernes Zelt auf, eine futuristische, geodätische Kuppel (Link) aus modernsten Werkstoffen.
Am Morgen erwachte Petra ausgeruht, doch etwas störte sie. Zuerst konnte sie es gar nicht ermitteln, was sie eigentlich störte. Dann begriff sie: Es war zu ruhig. Unheimlich ruhig. Nicht einmal ein Vogel zwitscherte.
Sie weckte den Fotografen.
Mit angehaltenem Atem lagen sie in ihren Schlafsäcken nebeneinander im Zelt. Sie lauschten in eine unnatürliche Stille hinein, die war, als halte die Welt ebenso den Atem an wie sie selbst.
Sie griffen sich ein Herz und spähten durch einen 10 cm weit geöffneten Reißverschluss hinaus.
Das Dorf hatte sich versammelt.
Dort draußen saßen alle Dorfbewohner. Männer, Frauen und Kinder bildeten ein Amphitheater aus 150 herbeigeschafften Stühlen und beobachteten in äußerster Konzentration das außerirdische Artefakt, das in der Nacht neben ihrem Dorf niedergegangen war.
Der Reißverschluss wurde wieder geschlossen, mehr Luft wurde angehalten.
Irgendwann trauten sie sich heraus aus dem Zelt.
Sie, die Attraktion seit Jahrzehnten, wurden begafft.
Man lächelte angelegentlich und etwas verlegen ins Rund, wie Stars, die ihren Text vergessen hatten. Petra zuckte mit den Schultern, kramte ihre Zahnbürste hervor, gab Zahnpasta drauf und fing an, sich neben dem Zelt die Zähne zu putzen.
Die Zuschauer raunten staunend, dann begannen die ersten zu lachen. Die Kinder rissen sich von ihren Müttern los und rannten herbei, der allgemeine Frohsinn wurde zu Ausgelassenheit. Die Menschen drängten heran, in wilder, fast unstillbarer Heiterkeit liefen ihnen die Tränen über die Wangen vor Lachen.
Niemals zuvor hatten diese Menschen jemanden gesehen, der sich mit einer winzigen Bürste so schnell und so lange im Maul herumfuhrwerkte, bis er Schaum spuckte, als sei er tollwütig!
Das Eis war gebrochen, sie wurden sehr gut aufgenommen.

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[zu Teil 1]

Freitag, 28. Mai 2010

ru24 History 16/Automobiles 14 - Abgeschleppt


Nico The Nova in Fen Ditton
Originally uploaded by elstro_88
Zwischen Januar 1992 und März 1996 habe ich als studentische Hilfskraft bei der Barmag AG gearbeitet. Eines Tages im Spätherbst 1995, kam ich an meinen Opel Corsa (der ein merkwürdiges Rotweinrot hatte) und stellte fest, dass die Batterie leer war, weil ich das Licht angelassen hatte.
Ich quatschte eine Reihe von Leuten an, ob sie ein Starthilfekabel hätten, hatte aber keiner. Der Typ, der mit einem irgendwie sandbraunen Sierra 2.9 4x4 Turnier neben mir parkte, kam vorbei, schaute sich mein kleines Auto an und grinste.
"Ich schlepp Sie ab!", sagte er und holte eine Abschleppstange aus dem Kofferraum.
Super! Ich machte mit ihm aus, dass ich beim Abschleppen den Wagen anrollen lasse und dass wir an der nächsten Bushaltestelle "Tocksiepen" anhalten.
"Allsklar!", der Sierra-Fahrer sprang in sein Auto und gab Gas.
Es war wie ein Kickstart, ich wurde in den Sitz gepresst wie auf einer Jahrmarktsattraktion, er preschte mit mir quer über den Parkplatz zur Ausfahrt in Richtung Straße.
An der Straße angekommen, näherte sich von links und mit Vorfahrt ein PKW mit einem aus Afrika stammenden Fahrer. Der Sierra gab richtig Gas, um da flott noch dran vorbei zu kommen.
Panik!
Ich trat entschieden die Bremse. Doch der Sierra zerrte mich einfach weiter, meine Reifen standen, aber sie noppelten über den Asphalt. Dem Fahrer des von links kommenden Wagens traten die Augen aus dem Kopf bei seiner lautstarken Notbremsung. Mein Corsa wurde von elementaren Kräften weitergezerrt. Auf der Bundesstraße B229 gab mein Zugwagen richtig Gas. Die Bushaltestelle "Tocksiepen" hatten wir längst hinter uns gelassen, ich machte Lichthupe, was ignoriert wurde. Wir beschleunigten linear bis auf etwa 150 km/h, eine Geschwindigkeit, die mein altersschwacher Corsa noch niemals zuvor erreicht hatte. Er schlingerte.
Natürlich lief der Motor längst wieder.
Ich blickte dem Tod ins Auge.
Mein ach so junges Leben rauschte mit 150 an mir vorbei.
Mein Herz schlug mir bis zum Hals.
Meine Brille war beschlagen.
In Rekordzeit erreichten wir Radevormwald.
An einer Bushaltestelle hielten wir an.
Der Sierra-Fahrer sprang aus seinem Wagen und riss meine Fahrertür auf.
"Da hätte uns der dumme Neger fast platt gefahren, was?", tönte er.

Merke: Manchmal ist es die sicherere Alternative, den ADAC zu rufen.

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Freitag, 21. Mai 2010

Queen Mom 2 - Et muss sich auch lohnen


sparglas6
Originally uploaded by \<
Seit et in meiner Heimatstadt eine dieser grünen Doc Morris-Apotheken gibt, is Queen Mom nich mehr zu bremsen. Et gibt dafür nämlich Gutscheine mit Verfallsdatum. Zum Beispiel 15% auf einen Artikel bis zum 25. Mai.
Mama (81) is von sowat elektrisiert.
Vielleicht, weil s'e schon in den 70ern "Ihr-Platz"-Rabatthefte geklebt hat und viel früher Lebensmittelmarken.
Gestern kam ich zu ihr, um mit ihr de Einkäufe zu machen.
"Geh mal eben noch nache Tante Waltraud, die hat noch 'nen 20%-Gutschein!", sagte de Mutter. Wow! Ganze 20%! Während de Mutter ihren Mantel anzog, ging ich rüber zu de Tante. Nach kaum 10 Minuten (warten, Küssken, Smalltalk) kam ich mit'm Gutschein wieder zurück, trug ihn vor mir wie ne Trophäe.
Wir fuhren zu Doc Morris.
"Ich bleib so lange im Auto", sagte de Mama.
"OK, un wat soll ich jetz' für dich holen?", fragte ich.
"En Rölleken Zahnseide", sagte se.
Dank langjährigem, mentalen Training kann ich solche Situationen mittlerweile bewältigen.


Donnerstag, 6. Mai 2010

Lifestyle 36 - Spike it up, Abrissbirne!


Outtake 2 - Stupid pose
Originally uploaded by andres.thor
Ich war beim DM um mir "was für die Haare" zu kaufen. So'n Gel oder so zum Reinstrubbeln eben. Ich wollte da keine verdammte Wissenschaft draus machen. Quasi bei DM mal eben so "easy in, easy out". Da stand ich dann doof vor fünf Regalmetern Hairstyling-Produkten.
Fuck.
Die Skala für Härtegrade ist übrigens nach oben offen. So von Kalksandstein über Granit bis Diamant, drunter gibt's irgenwie leider nix. Dabei wollte ich wirklich nichts mit "FX", kein Ultra, kein Extrem, keinen Igel-Look, nichts Maximales, nichts Partyresistentes, Megastacheliges, Kompromissloses und schon gar nicht Urst-Nonplusultra-Styling bizarre mit mattierendem Effekt und UV-Schutz total für die "Strandmatte"!
Herrgott!
Ich irrte durch den Laden und fand nach drei Runden eine Drogeriefachverkäuferin, der ich mein Herz ausschüttete: "Hey, ich will doch mit meinen Haaren keine Häuser einreißen!"
Sie verstand.
"Nehmens'e dat!", sagte die Fachfrau und drückte mir ein taubenblaues Nivea Gel der Stufe 3 = Stark in die Hand.
Ich vermute, das Mittel der Wahl für das konservative Klientel.
Pffft!
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Dienstag, 4. Mai 2010

Lifestyle 35 - Kleingruppenhaltung


huhn
Originally uploaded by pinke_olive
In 42477 Radevormwald hat man einen Kaufpark mit stolzen 2.200 m² Verkaufsfläche gebaut und am 30.03.10 eröffnet, nachdem man den in die Jahre gekommenen EXTRA einfach plattgemacht hatte.
Der neue Laden ist ziemlich gut sortiert. Zum Vergleich bekommt man im Akzenta in Wuppertal-Barmen vier verschiedene Sorten der mexikanischen Gewürzspinne - sogar die Roten - im Kaufpark in Rade immerhin zwei Sorten, leider nur die Mittelscharfen.
Naja, ich schlenderte so umher und schubste meinen Riesen-Einkaufswagen durch die Regal-Canyons. Wer in seiner Kindheit mit 38 m²-EDEKAs groß geworden ist (z.B. Kaiserstr. 142), in denen man nur Körbchen bekam statt Wagen und aus Platzgründen nur Cornichons statt Schlangengurken gehandelt wurden, findet's hier auf der fast 60-fachen Fläche automatisch sowas von grandios weitläufig!
Ich kam am Eierstand vorbei: Und hey, ehrlich, da gab's alles! Vom schnöden holländischen KZ-Ei bis hin zum Bio-Fair-Trade-Ovoiden von natürlich freivögelnden Hühnern! Doch plötzlich blieb mein Blick an einem Sixpack "Eier aus Kleingruppenhaltung" hängen. Aufgedruckt war ein grinsendes, Tirolerhut tragendes Ei!
Kleingruppenhaltung!
Och!
Wie reizend!
Sofort hatte ich Bilder im Kopf von pittoresken Hühner-WGs - wie zu meiner Studentenzeit! So mit runden Tischchen, Kartenspiel, Musik und Tanz!
Gekauft!
Komisch, normalerweise kaufe ich gar keine Eier...

Zu Hause habe ich schnell festgestellt, dass ich auf einen Euphemismus, ein Schönfärbewort hereingefallen bin - Kleingruppenhaltung (Link) - diese Vögel!

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Montag, 3. Mai 2010

Unterwegs für den National Geographic, Teil 1


Chicha de Punucapa
Originally uploaded by Lin linao
Eine ehemalige Kollegin, Petra, war in den späten 80ern mit einem National Geographic-Fotografen unterwegs in den Anden, um im Rahmen einer Reportage über von der Außenwelt völlig abgeschiedene Dörfer zu berichten.
Sie fuhren mit dem Jeep, bis es nicht mehr weiterging. Dann schulterten sie ihre nicht unerhebliche Ausrüstung und stiegen in der dünnen Luft bergan, einem Ziegen- oder Lamapfad entlang.
Die Sonne schien, es war warm, bald waren die Trinkflaschen leer. Der Pfad wand sich steil heran. Neben dem Pfand floss ein munteres Bächlein den Berg hinab, aber die beiden waren zu sehr Profi, als dass sie ihre Trinkflaschen an der Abwasserleitung ihres Zielortes aufgefüllt hätten.
Als die Sonne fast unterging, stolperten die beiden in das Dorf. Ein paar Ziegen liefen umher, die Hauptstraße war schmal und wurde von etwas windschiefen, bröckelnden, ehemals weiß gestrichenen Häusern flankiert, die entweder mit morschen Dachziegeln oder so etwas wie Reet gedeckt waren, den die Sonne silbergrau ausgeblichen hatte.
Petra wurde von elementaren Kräften nach vorne gezogen - Trinken! Sie stolperte voran, ließ den Fotografen hinter sich. Nach einigen hundert Metern gelangte sie an so etwas wie einen Laden, einen Ausschank vielleicht sogar! Hinter einem primitiven Tresen stand eine traditionell gekleidete Frau mit Hut und starrte sie an.
"Agua, porfavor", krächzte die Durstige.
Die Tresenfrau zauberte mit der Gewandheit eines Hütchenspielers ein Glas mit einer altbierbraunen Flüssigkeit hervor. Das Glas war sogar beschlagen! Petra kippte es auf ex! Köstliches Nass!
Sie bekam noch eins, die Tresenfrau strahlte zahnlückig und murmelte etwas Begeistertes.
Während Petra auch dieses Glas auf ex trank, tauchte keuchend der Fotograf auf.
"Wow! Du trinkst Chicha (Link)?", fragte er mit einem gewissen Gesichtsausdruck.
"Äh, ja, wieso...?"
"Das ist Spuckebier. Das wird aus gekauten Maisfladen hergestellt!"

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[zu Teil 2]

Sonntag, 2. Mai 2010

Lifestyle 34 - du Yuppie, ich nix!


Porsche Panamera
Originally uploaded by Alexander Vollmer
Mitte der 90er war ich hochsommers in einer Kneipe in Wuppertal auf der Hochstraße. Es war eine jener Sommernächte, an denen es auch Mitternacht noch 22°C hatte. Ich stand mit einer Menge Leute auf dem Bürgersteig in der Nähe der offen stehenden Kneipentür und trank ein Pils, denn drinnen war es unerträglich heiß. Auf der wenig befahrenen Straße näherte sich rasch ein schreckliches Geräusch, das einem Ju 87 Sturzkampfbomber zum Verwechseln ähnelte. Wie sich herausstellte war es aber ein schwarzer Porsche mit Düsseldorfer Kennzeichen, der schlingernd und bremsenquietschend am rechten Bordstein vor der Kneipe zum Stehen kam. Heraus sprang ein Yuppie mit Blazer. Der hechtete ohne auch nur einen Augenblick inne zu halten in die Kneipe, drängte sich an den Tresen und verlangte ein Alt. Lässig warf er aus dem Handgelenk einen Fünfmarkschein hin, grunzte ein "Stimmt so" und hastete mit seinen 0,2 l Alt ("Kaltgetränk nach Art Bier") wieder nach draußen.
Alle dort starrten ihn an.
Der Yuppie leerte das Glas in einem Zug, warf das Glas, ohne vorher nachzusehen, hinter sich an die Hauswand, wo es zerschellte. Währenddessen sprang er schon in seinen Porsche und verschwand mit einem ultimativ lautstarken RÖÖÖÖHRRR!!!
Ich wusste in diesem Augenblick ganz intensiv: Wenn das Yuppie war, dann ich nix!!!
Heute hat der Vogel in meiner Erinnerung die Visage von Dieter Bohlen, was es noch ein wenig ekliger macht, das Ganze.

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Mittwoch, 28. April 2010

ru24 History 15: Hackethal soll sterben! (1987)

1987. In der Jahrgangsstufe des Theodor-Heuss-Gymnasiums Radevormwald (THG) hatte ich als Mitschüler einen (1) Heavy-Metal-Fan. Er trug ausschließlich tiefschwarze Stretch-Hosen und T-Shirts aus dunkler Materie mit Aufdrucken von Venom, Possessed, Slayer und Voivod. Seine Matte hätte Klingonen vor Neid erblassen lassen, ebenso aber auch sein überaus reizbares, cholerisches Temperament. Dieses ständige Zornbrüllen und Aufwallen war auch seinen Freunden und Bekannten irgendwann mal zu viel. Eine Handvoll Schwachköpfe beschlossen eines Tages, es dem Heavy-Cholerik-Metal mal "zu zeigen". Sie heckten den wenig perfiden und durchaus diskutablen Plan aus, dem Kerl mal "auf die Motorhaube seines Golf zu kacken".
Heiko P., der beeinflussbarste Mensch, den ich je traf, war geradezu ideal zur Durchführung des "Plans", schon nach kurzer Zeit stimmte er begeistert zu, derjenige zu sein, welcher...
Es wurde Abend, es dämmerte. Die Handvoll Rächer machte sich auf den Weg zum Wohnort des Metals, ein stilles Wohngebiet am Rand von Radevormwald. Während sich die Gruppe im Hintergrund hielt und durch Tannengrün schielte, tappte Heiko über den Bürgersteig, hielt immer wieder nach potentiellen Augenzeugen Ausschau. Vorsichtig kletterte er mit seinen Turnschuhen auf die Motorhaube, ließ die Hosen herunter, ging in die Hocke, presste...
In diesem Augenblick sprang ein Fenster an der Wohnung des Metals auf und die Mutter des Cholerikers schrie eine völlig unartikuliert wirkende Folge von Silben - als sei sie besessen!
Heiko floh panisch mit heruntergelassenen Hosen, die Anstifter machten sich aus dem Staub.

Am Ende waren sich auf jeden Fall alle einig, dass die besessene Metal-Mutter "Hackethal soll sterben!" gebrüllt hatte.
Die rätselhafte Sentenz erlangte zu dieser Zeit einige Berühmtheit und wurde sogar zu einem Lied einer lokalen Punk/Metal-Band verarbeitet, dessen Titel und Refrain natürlich "Hackethal soll sterben!" gelautet hatte.

Professor Julius Hackethal (1921-1997) (Link) hat von alledem nie etwas erfahren.


Dienstag, 27. April 2010

Auf ganz dünnem Eis

Sonntag in Köln, Sonnenschein, blauer Himmel von Horizont zu Horizont, Außenterasse im Café Reichard (Link), Blick auf den Dom, die besten Plätze. Meine Begleitung und ich sind begeistert! Unsere Lieblingskuchen kommen (sie: Zitronenbaiser, ich: Haustorte), ebenso die Kännchen Kaffee. Leichter Wind weht, eine Hummel braust vorbei.
In meinem Kopf spielt eine Cocktail-Jazz-Band "Girl from Ipanema".
Ich muss schon Eichendorff bemühen, um dem gerecht zu werden:
Es war, als hätt' der Himmel
Die Erde still geküßt
Die Torte - der Traum eines jedes Essgestörten - ist vertilgt, schmiegt sich cremig-wohlig an meine Magenwände, ich packe meine neu erworbene Kamera aus, mache ein paar Fotos von meiner Begleitung, sie dann von mir. Summa summarum ein dutzend Grinse-Fotos.
Alle lächeln.
Alles gut!
Eine Frau vom Nachbartisch fragt, ob sie uns mal zusammen fotografieren soll..., so vor dem Dom...?
Wir: Haha, nein, wir sind keine Touristen!
Alle lächeln.
Alles gut!
Ich erzähle meiner Begleitung was von der Gesichtserkennung an der neuen Kamera, irgendwie schaue ich zu der Nachbarin, die interessiert zuzuhören scheint.
Tisch-Nachbarin: "Meine Kamera kann Leute schlank fotografieren! Soll ich Sie mal ablichten?"
Der Tonarm wird mit einem jaulenden Geräusch von der "Girl from Ipanema"-LP in meinem Kopf gefegt.
Totenstille.
GAAANZ DÜNNES EIS!!!
Ich überschlage kurz die Anzahl der potentiellen Augenzeugen: 300.
Selbst meine sündhaft teure Rechtsschutzversicherung würde da höchstens zwei Jahre bei der Endstrafe rausholen.
Dennoch, ich könnte ihr meinen Teelöffel direkt ins...
Oder...
"Fotografieren S'e da ruhig mal jemanden mit, der's nötig hat!", antworte ich stattdessen lächelnd. Meine Augen lächeln nicht mit.
Die Person ist schlau genug, um kurz darauf wortlos und ohne Aufsehen zu verschwinden.
Tsts.
Ich hab' schon Leute für weniger erledigt.

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Montag, 26. April 2010

ru24: Automobiles 13 - Wertigkeit

Ein befreundeter Polizeibeamter erzählte mir einmal im Vertrauen, dass das Land NRW bei Polizei-Fahrzeug-Neubestellungen bei VW die "guten, serienmäßigen" Sitze in den Dienstfahrzeugen aus Kostengründen gegen Billigsitze tauschen ließe.
In diesem Gebaren des Landes zeigt sich die Wertigkeit des Staatsbeamten: 250,00 EUR einsparen bei einem Dienstfahrzeug scheint für ein Bundesland reizvoller zu sein, als die langfristige körperliche Unversehrtheit der Fahrzeuginsassen.
Da passte DAS hier wie die Faust aufs Auge:
Unions-Innenexperte Wolfgang Bosbach sagte auf www.spiegel.de folgendes:
“Wer ein Polizeiauto beschädigt, dem drohen fünf Jahre Haft. Wer einen Polizisten verletzt, zwei Jahre. Das ist absolut nicht nachvollziehbar.”
Wer also einmal in die missliche Lage kommen sollte, sich Vollzugsbeamten wiedersetzen zu müssen - wovon ich dringend abraten möchte - dann bitte nur die preiswerten Beamten schrotten, nicht aber das wertvolle Dienstfahrzeug, es handelt sich schließlich um Staatseigentum...
Nun ja.
Realsatire eben.

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Samstag, 24. April 2010

Glaubensbekenntnis


2009-11-22 Laid to rest
Originally uploaded by [ henning ]
[SPOILER: Gläubige jeglicher Coleur lesen bitte etwas Anderes als diesen Beitrag, danke, sonst heult gleich wieder einer]

Neulich war ich bei Menschen zu Gast, was zuweilen vorkommt.
Vor dem Essen wurde oldschool gebetet: "Komm Herr Jesu sei unser Gast, und segne was du uns bescheret hast, Amen." Ich muss ergänzend erwähnen, dass einer der besuchten Menschen erst sechs war und deshalb wohl der Hokuspokus abgezogen wurde.
In Augenblicken, in dem Theismus mein Leben streift, bin ich immer etwas verlegen. Angelegentlich schaute ich in diesem Fall auf meinen Teller und dachte daran, dass das Essen gerade dabei war, auszukühlen, während die beteten. (Da versucht die Lebensmittelindustrie unseren Nahrungsmitteln seit über 100 Jahren den letzten göttlichen Funken Natürlichkeit auszutreiben, und die Christenheit bedankt sich noch, naja, vielleicht ja für's Naturidentische.)

Nicht zuletzt meinem Katholischen Kindergarten (Blogbeitrag) verdanke ich es, dass es mir schon sehr früh so ging, dass ich eine Marienerscheinung als weitaus beunruhigender empfunden hätte, als eine Entführung durch Außerirdische (Blogbeitrag).

Ich weiß ja aus eigener Erfahrung, wie das so ist mit einem Schöpfer. Diese YPS-Urzeitkrebse habe ich nämlich auch mal gehabt. Ich habe die Eier ins vorher penibel gesalzene Wasser geschüttet. Dann habe ich alle halbe Stunde nachgesehen. Bis es sowas von todsterbenslangweilig war, denn es ist ja gar nix passiert. Und dann hab ich die Plempe einfach vergessen. Mom hat eine Woche später das trübe Biotop ins Klo entsorgt - so war sie!
Mir als Gott ging's letztendlich am Arsch vorbei, was aus den Krebschen wurde, ob sie mich anbeteten oder ob sie auf einer Stippvisite in der Kanalisation waren.
Ob man sich also jetzt artig für Speis & Trank bedankt, koscher schlachtet, ob man Ungläubige steinigt, Frauen verschleiert, Ketzer foltert, dänische Karikaturisten meuchelt, Mädchen beschneidet, Städte plündert und brandschatzt, kleine Mützchen trägt, Hexen verbrennt, Schweine für unrein hält oder Andersgläubige verfolgt, weil gerade irgendwelche geweihten Hostien bluten - dem lediglich gedachten Gott geht das alles letztendlich am metaphysischen Arsch vorbei und früher oder später heißt es für trübe Biotop sowieso: Ab ins Klo!

Und dann gibt es diese "ernsthaften" Diskussionen mit Gläubigen - gähn!
Manchmal sage ich dann so Sachen wie "Ey, ich habe gar keine Seele!"
Himpelchen und Pimpelchen antworten dann reflexartig, der Eine: "Au weh!", der Andere: "Das kannst du doch gar nicht wissen!", darauf ich: "Rehe haben doch auch keine Seele!", darauf Pimpelchen wieder: "Auch das kannst du doch gar nicht wissen!"
Gegen so Vögel kommt man nur mit einem Mittel an: "Weißt du was? Du kannst sie geschenkt haben, meine Seele, ich brauche sie nämlich nicht!"
Dann ist immer Ruh!
Über allen Wipfeln.

Und wenn ich tot bin, bin ich tot, bin ich tot - basta!

Oder Pasta:
Für alle, die mal wirklich was ganz Anderes ausprobieren wollen, empfehle ich die Religion des Pastafarianismus, die das Fliegende Spaghettimonster (FSM) anbetet.
Das spricht mich an - ganz spontan!

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Donnerstag, 22. April 2010

Lifestyle 35 - Hygienegefummel


Penny Markt
Originally uploaded by calaggie
Im PENNY, dem Supermarkt meines Vertrauens, werden auch Brot und Brötchen mit leidlicher Qualität aus Rohlingen aufgebacken. Die fünf bis sechs Brötchensorten landen in Drahtschütten, wo sie entnommen werden können. Doch wir leben in hygienischen Zeiten! NICHT händisch! Nein, zu diesem Behuf gab es an jeder Schütte ein Art Grillwürstchenzange. Ungummiert, versteht sich. Das war halt spannender! Für zehn Brötchen brauchte es schon mal zwei Minuten. Meistens fiel eines der Brötchen auf den Boden, machte in der glatten Zange den Houdini.
Vielen Kunden war das zu blöd, sie nahmen die Finger. Wenn sie von der bärbeißigen Marktleitung erwischt wurden, gabs richtig hinten drauf!
Gestern war ich da.
Neues Konzept.
Urst hygienisch!
Ich habe so gelacht!
Sechs Drahtschütten. Oben in jeder Schütte ist ein Schlitz wie in einem Panzerspähwagen. in dem Schlitz fest steckt in einer Führung eine Kelle, die man rechts-links und vor-zurück bewegen kann. Mittels der Kelle kann man nun jeweils ein (1) Brötchen eine Rampe hinaufschieben, auf der Rampe gibt es eine Öffnung mit zwei Klappen, darunter einen Ausgabe-Raum, in den maximal zwei Brötchen hinein passen. Hat man die Backlinge in den Ausgaberaum geschubst, muss man das Werkzeug wechseln: Grillwürstchenzange. Natürlich ungummiert. Hat sich ja bewährt. Buahaha! Jetzt kann man seine zwei Brötchen in die Tüte bugsieren, schon muss man wieder das Werkzeug wechseln für die nächsten zwei Brötchen, und so weiter.
Ich sah Wissenschaftler schon Plutonium unkomplizierter handlen!
Die nächste Steigerung wäre ein in einem Bleiglaskasten steckender Roboterarm, den man über zwei Joysticks fernsteuern muss, wie in einer Kernforschungsanlage.
Aber was tut man nicht alles für die Hygiene...

Ich habe größere Kontingente des gestrigen Abends damit verbracht, Unglückswürmer dabei zu beobachten, wie sie - Grobmotoriker wie sie waren - nach Backlingen fischten, Brötchen schubsten, mit Grillzangen hantierten und im Schneckentempo ihre Tüten füllten.
Wenn ich das nächste Mal zehn Brötchen haben möchte, backe ich mir die schneller selbst.

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