Montag, 31. Oktober 2022

Things we lost (in the fire) - Teil 16: "Ding, mit dem man über Landkarten rollt"

Bildquelle: Wikipedia

Das "Ding, mit dem man über Landkarten rollt" hatte ich von meinem Vater geerbt. Es befand sich in meiner „Antiken-Schublade“ in einer kleinen Holzbox. Es war überraschend schwer. Manchmal habe ich es betrachtet und in Anbetracht von Google Maps sein offenkundiges "aus der Zeit gefallen sein" wohlwollend belächelt. Ich kann mich noch gut erinnern, wo Papa es in seinem Sekretär aufbewahrt hat und einmal, in den 80-er Jahren, habe ich meinen Vater sogar damit hantieren sehen. Als Kind habe ich damit gespielt, ohne je einen Schimmer zu haben, was es eigentlich ist, dieses Ding. 

Nur zur Erklärung: Man stellt das Gerät auf Null, dann fährt man mit dem unten befindlichen Rollrädchen auf der Landkarte die Strecke ab, die man mit dem Auto fahren möchte, also zum Beispiel von Wuppertal nach Oberstdorf. Ist man auf der Karte am Ziel angekommen, dann kann man auf der Skala entsprechend des Kartenmaßstabes ablesen, dass es "so ganz in etwa" 650 km Gesamtstrecke sind.
Irgendwie ist das reizend analog.

Ich habe es jetzt gegoogelt und herausgefunden, dass es sich bei dem im Feuer verlorenen Erbstück um ein "mechanisches Kurvimeter" (ggfs. um ein Wehrmachts-Kurvimeter) gehandelt hat -- da man damit auf Karten herumkurvt. :D

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Sonntag, 30. Oktober 2022

Things we lost (in the fire) - Teil 15: Kinderbuch von Richard Scarry

Bildquelle: Diogenes-Verlag

Es gibt nur fünf Kinderbücher, die mich richtig gerockt haben. Eines davon war Richard Scarrys „Mein allerschönstes Buch vom Backen, Bauen und Flugzeugfliegen“, erschienen 1970 im Diogenes-Verlag (ISBN 978-3-257-01237-8). Es heißt heute wohl (etwas weniger aufgeregt) „Wenn ich groß bin“. Dieses großformatige Bilderbuch ist vollständig von Tieren bevölkert und alles vibriert vor Energie, alles fliegt und rattert und dampft! Yay! Das Buch stellt fast alle Handwerksberufe vor, auch den für Kinder immer interessanten Straßenbau. In den frühen 70-er Jahren war es offenbar noch nicht cringe, dass Schweine Metzgereien betreiben und mir ist es bis gerade gar nicht aufgefallen. Auf jeder Buchseite tauchte der Wurm mit Hut, Egon, auf, für mich als Kind das wichtigste Ereignis pro Seite. Die Texte im Buch sind teilweise von Hand der Courier IBM-Type nachempfunden, ein tolles Detail, an das ich mich noch gut erinnere. Ich mochte schon immer kleine g‘s, die aussehen wie Brillen. :D

Mein allerschönstes Buch vom Backen, Bauen und Flugzeugfliegen“ war für mich im Alter von fünf bis sieben Jahren ein unverzichtbares Nachschlagewerk. Es stand zuletzt etwas vergilbt im Wohnzimmerregal.

Tschüss, Egon.


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Samstag, 29. Oktober 2022

Things we lost (in the fire) - Teil 14: Omas Zuckerdose

So in der Art, zumindest schon mal ähnlich

Als Kind war ich oft bei der Oma (mütterlicherseits). Die war Jahrgang 1902, hatte eine „höhere Töchterschule“ besucht und mit dem Henriette Davidis-Kochbuch kochen gelernt, da damals Dr. Oetker noch in einer Apotheke in Bielefeld herumdokterte. Einmal erzählte mir Oma, wie betroffen sie als zehnjähriges Kind der Untergang der Titanic gemacht habe, eine Art 9/11 ihrer Zeit. Bei Oma und Opa zu Hause gab es als Hintergrundgeräusche das Ticken der Wanduhr und das stete, gleichförmige Bullern des Ölofens. Es war immer so heiß, dass man hätte "Affen großziehen können" (Zitat Queen Mom). Nebenan, in der winzigen, schlauchförmigen Küche stapfte und glitt meine Großmutter auf ihren Pantoffeln hin und her und klapperte mit verbeulten Aluminium-Topfdeckeln. Mein Platz war an der Breitseite des Tisches in der Stube mit Blick auf das Fenster. Draußen gab es allerdings nichts zu sehen, denn das Fenster wurde ausgefüllt von der völlig uninteressanten Fassade des Nachbarhauses. Aus diesem Grund schaute ich oft in der Stube umher. Auf einem Regalbrett in über 2.00 m Höhe stand neben anderen dekorativen Keramikdosen eine weiße, keramische Zuckerdose mit passendem, dicken, oben glatten gedrehten Holzdeckel aus den 50er-Jahren. Die zylindrische Dose war bedruckt war sie mit einem breiten Band bestehend aus einem folkloristischen Muster, welches abwechselnd Männlein und Weiblein mit Hut darstellte, dazwischen war es abstrakt floral. Die Farben waren dunkelgrün, dunkelbraun und ein dunkles Lila. Mein Blick blieb immer wieder an dieser Dose haften, sie gehörte wie Oma an diesen Ort. Nachdem meine Oma gestorben war, ging sie in den Besitz von Tante Waltraud (TW) über und als diese von uns ging, erbte ich diese Dose.

Von allen Dingen, die ich besaß, war sie vielleicht der einzige Gegenstand, der es geschafft hatte, sogar in mein Genom eingewoben zu werden. Sie stand für ungezählte Kindheits-Nachmittage mit Oma und die vielen Male, die ich, die wir TW besucht haben. Es gab sie schon seit vor der Mondlandung, sie hatte mich seit den späten 60er-Jahren durch alle Zeiten begleitet.

In unserer Küche war sie zum ersten Mal als Zuckerdose in Benutzung. Ich habe sie behandelt wie ein Fabergé-Ei. Doch jedes Mal, wenn ich sie benutzte, dann strömte aus ihr eine Behaglichkeit vergangener überheizter Nachmittage bei Uhrenticken und Aludeckelgeklapper.

Was soll ich sagen? Was für ein Verlust.


P.S.: Erste intensive Recherchen gehen in Richtung der schwedischen Firma JIE Gantofta und der Designerin Anita Nylund. Ich werde hartnäckig bleiben.


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Freitag, 28. Oktober 2022

Things we lost (in the fire) - Teil 13: Anthologie »Gedanken im Netz 2«


Meine Eltern waren Vielleser, sie lasen ständig etwas, auch wenn Mutter tendenziell einen Hang zum „Pilchern“ hatte. Ich habe auch immer viel gelesen, aber auch schon früh begonnen, Geschichten aus dem Bereich Phantastik selbst zu schreiben. In den frühen 2000er Jahren hatte ich eine kurze, etwas "realistischere" Phase, hier ist die Kurzgeschichte „Zweifel“ entstanden. Sie handelte von einem Mann, der völlig in seinem Hobby, der Gartenarbeit aufgeht, bis ihn alles zunehmend weniger befriedigt, ihm sein Handeln von Tag zu Tag fragwürdiger vorkommt, und die langjährigen Nachbarn von mal zu mal bedrohlicher scheinen.
Das war ein Sujet, das ich meinen Eltern "zumuten" konnte. Ich gab die wenigen Seiten meinem Vater zu lesen. Eine Woche später, als er die Geschichte nicht erwähnte, sprach ich ihn darauf an.
„Nun …“, sagte er, an seiner Zigarette ziehend, „… ich habe ... die Geschichte …“, ergänzte er, Rauch ausstoßend, „… halb gelesen.“ Er drückte bestimmt seine Zigarette im großen Glas-Aschenbecher aus. „Das kannst du besser“, schloss er.
Das war das erste und letzte Mal, dass er sich dazu äußerte.
Puh! Man musste als Sohn schon hart gesotten sein!

Mein Vater war in der Zwischenzeit verstorben. Trotz seiner aufmunternden Worte reichte ich die Kurzgeschichte 2005 bei einem Wettbewerb des Videel-Verlags ein, wo sie im Oktober in der Anthologie »Gedanken im Netz 2« erschien. Ich war stolz — meine erste Veröffentlichung! Und endlich hatte ich auch mal ein ganz persönliches Weihnachtsgeschenk für meine Mutter. Ich ließ das Buch in seiner Folie, damit es nicht litt und verpackte es als Geschenk.
Weihnachten 2005 wechselte es mit einem stolzen Lächeln meinerseits den Besitzer.
2014 starb meine Mutter.
Beim Entrümpeln ihrer Wohnung entdeckte ich das Buch im Regal. Es war noch eingeschweißt.

Ich wusste es damals nicht, weiß es heute nicht, was ich dabei empfinden soll — die Vielleser hatten es einfach beide nicht geschafft.
Seitdem stand es bei mir im Regal, natürlich weiterhin in Folie — schon aus Frack.
Nun ist es verbrannt.

Ich glaube, es ist besser so.


Donnerstag, 27. Oktober 2022

Things we lost (in the fire) - Teil 12: Opa Karls Taschenmesser

Abbildung ähnlich

Opa Karl (väterlicherseits) hatte in seiner Jugend zwei Blaumänner. Einen trug er unter der Woche bei der Arbeit, der wurde am Wochenende gewaschen. Den zweiten, nagelneuen, trug er Sonntags mit Stolz in der Stadt. Das waren die 20er und 30er Jahre. Opa Karl war Kommunist und hat „in der schlechten Zeit“ eine Familie ernährt, notfalls wurden im Wald Bucheckern gesammelt und zu Öl verarbeitet und verkauft. Die Nazis haben ihn in das KZ Kemna in Wuppertal gesperrt und er wird dort viel durchgemacht haben. Danach war er kein Kommunist mehr. 

Opa Karl war vom Sternzeichen her eine Dampfmaschine. Im Krieg hatte er, als es gar nichts Rauchbares mehr gab, Blutreinigungstee geraucht. Nach dem Krieg glomm bis zu seinem seligen Ende 1969 ständig etwas an ihm: Pfeife, Zigarette, Zigarre. Als meine Eltern ihm in den 50ern stolz ihr erstes Auto, einen Borgward Lloyd präsentierten, hatte es nach der Aktion ein Brandloch mitten in der Rückbank. Auch lebten sie in ständiger Sorge, er würde ein Brandloch in seinen Enkel (moi) machen.

Er hatte einen Faible für Eisenbahnen und hat eine wirklich große Modell-Dampflok mit Tender selbst gebaut, ich habe sie später bei meinem Onkel Heinz gesehen mit ihren tausend Details, alles daran war perfekt. Es war ein schwarz-rotes Ungetüm, wie industriell gefertigt. Bruder Frank hat noch eine fein geschnitzte Holzdose von Opa Karl, was für ein handwerkliches Talent.

Wenn er zu uns nach Hause kam, habe ich Steppke laut „Opa Karel!“ gerufen und habe gleich drauf auf seinem Schoß gesessen. Er hat tatsächlich keine Brandlöcher in seinen Enkel gemacht, da war ich wirklich eine Ausnahme. Meine Erinnerung an ihn ist nur ein verwaschener Fleck.

Leider weiß ich sehr wenig über Opa Karl. Über seine Frau Auguste geb. Wolff, die Mutter meines Vaters und Onkels, wurde extrem wenig erzählt. Über die Wolffs gar nichts. Manchmal sind genau das die spannendsten Geschichten, aber ich kann niemanden mehr fragen.

Opa Karls Taschenmesser hatte ich von meinem Vater geerbt. Es befand sich in meiner „Antiken-Schublade“ und manchmal habe ich es etwas ratlos betrachtet mit seiner fast schwarzen Klinge, das Griffteil vom Alter graubraun.

Nun ist auch das noch fort.


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Mittwoch, 26. Oktober 2022

Things we lost (in the fire) - Teil 11: "Chrom brennt"

Midjourney

In der Kurzgeschichtensammlung "Cyberspace" von William Gibson ist unter anderen die Geschichte "Chrom brennt" ("Burning Chrome") enthalten. Sie erzählt die Geschichte von zwei Hackern - Automatic Jack und Bobby Quine. Bobby will zu Geld kommen, um sein Mädchen Rikki zu beeindrucken. Jack hat auf dem Schwarzmarkt -- beim "Finnen" -- ein leistungsstarkes Hacking-Tool erworben. Bobby schlägt vor, das Tool zu benutzen, um über das Cyberspace in das System einer berüchtigten und bösartigen Kriminellen namens Chrome einzubrechen und sie auszurauben. 

Die Geschichte ist vom Erfinder des Cyberspace William Gibson himself und sie ist heute noch so frisch wie am ersten Tag -- und das war 1982. Nur wenige SF-Geschichten sind binnen 40 Jahren so dermaßen grandios gealtert wie "Chrom brennt".

Ich habe das alle paar Jahre mal nachgeprüft. ;)
Nun ist Chrom endgültig verbrannt.


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Dienstag, 25. Oktober 2022

Things we lost (in the fire) - Teil 10: P.M. Erstausgabe (1978)

Originalfoto

Im Oktober 1978 erschien, herausgegeben von Gruner + Jahr, erstmalig "P.M. - Peter Moosleitners interessantes Magazin" (Wikipedia). Die "Was-ist-Was-Bücher" meiner Kindheit hatten mich entsprechend eingenordet, sodass ich, jetzt 11-jährig, die perfekte Zielgruppe war. Etwas Besseres als ein Magazin, welches "neugierig auf morgen" im Untertitel trug, konnte es für mich gar nicht geben --  denn neugierig auf morgen war ich ja auch. Peter Moosleitner - was für ein feiner Mann!
In der Erstausgabe gab es Artikel über "den Dinosaurier in uns", "Haremsfrauen", "Liebe der Tiere" und das "Super-Flugzeug" Fairchild A10.
"Wie das erste Titelbild schon verheißt, hatte P.M. einfach alles, was ein [11-Jähriger] interessant findet: Dinos, Frauen, Technik, Sex." (Quelle)
Ich sehe mich noch heute im (damals für mich) riesigen braunen Kunstledersessel mit Alufuß im Wohnzimmer sitzen und in diesem spannenden Sammelsurium schmökern. Währenddessen dröhnte der Verkehr der B229 hinter Einfachverglasung in Holzrahmen an unserem Haus vorbei. Die Zukunft würde auf jeden Fall großartig! Nach dieser Erstausgabe habe ich P.M. sofort abonniert und etwa 10 Jahre lang gelesen, bis sie sich nur noch wiederholte und etwas zu eso wurde.

Schade, dass die Erstausgabe verbrannt ist — empörend, dass das alles schon 44 Jahre her ist.


Montag, 24. Oktober 2022

Things we lost (in the fire) - Teil 9: Ölgemälde

Bild ähnlich, nachempfunden mit Midjourney

Im Wohnzimmer meines Elternhauses hing das 40x30 cm große Ölgemälde eines Schiffes, welches von der Silhouette eines Mannes gezogen wird. Das Bild war in den Farben dunkelgrün, schwarz und senfgelb gehalten und hatte einen wilden Himmel. Ich habe als Kind die finstere Szene oft betrachtet und konnte mir nie so recht einen Reim drauf machen, habe mir allerhand Geschichten dazu ausgedacht. Vermutlich stellte die Szene dar, wie ein Kahn an einer breiten Flussmündung stromaufwärts gezogen (getreidelt) wurde.

Nach dem Tod unserer Mutter erbte ich den Ölschinken. Doch irgendwie fand sich in unserer Wohnung keine Stelle, an der ich es hätte (auch ironisch) aufhängen können. Also stand es die letzten Jahre etwas unmotiviert in meinem Teil des gemeinsamen Arbeitszimmers herum. Manchmal betrachtete ich es und überlegte, was meine Eltern bewogen haben mochte, es überhaupt zu erwerben. Die Frage, was mich dazu bewogen hatte, es mit nach Hause zu schleppen, hat sich mir eigenartigerweise nie gestellt. Nun, irgendwie hing ich wohl ein wenig irrational daran, auch wenn es von Anfang an ein Top-Kandidat für jeden Trödel gewesen wäre.

Time to say a last Ahoi.


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Sonntag, 23. Oktober 2022

Things we lost (in the fire) - Teil 8: Märchenbücher

Die Höhle von Steenfoll

Als Kind bin ich mit den vier Märchenbüchern Grimm, Bechstein, Andersen und Hauff aus dem Droemer Knaur-Verlag großgeworden. Die Bücher waren allesamt hinreißend illustriert von Ruth Koser-Michaëls, einer Meisterschülerin von Käthe Kollwitz. Viele der Werke (vor allem die von Bechstein und Hauff) sind aus heutiger Sicht zwar so kindgerecht wie Game of Thrones, aber hey: Wenn die Eltern beide im Auto rauchten, während die Kinder auf der Rückbank saßen, dann schadeten ein wenig Mord & Totschlag auch nicht. Außerdem: es gab ja nix, damals!

Bis man selbst lesen kann, ist es ein langer Weg, also musste oft auch Tante Waltraud ran, die aber immer nur die pflegeleichten Grimmschen Märchen vorlas, wenn es Zubettgehzeit war. Dann gab es aber noch Onkel Paul. Er war ein Wahlverwandter, einer, der nicht verwandt war, es aber unbedingt hätte sein sollen. Onkel Paul, Autokennzeichen OP-WZ 35 („Ottersbach Paul, wenig Zeit, 35 Minuten“), nahm sich entgegen seinem Kennzeichen tatsächlich alle Zeit der Welt für uns als Kinder. Erst turnten wir auf ihm herum, dann, wenn es ins Bett ging, gab es auch schonmal drei Märchen hintereinander. Und das waren beileibe nicht immer nur die weichgespülten Klassiker. Mein Lieblingsmärchen war „Der starke Gottlieb“ von Ludwig Bechstein, in dem es mehr als nur hoch her ging.

Dass ich mich später der Fantastischen Literatur zugewandt habe, da bin ich mir sicher, das verdanke ich unter anderem dem unermüdlichen OP und diesen vier Märchenbüchern. Viele der Geschichten, wie „Die Höhle von Steenfoll“ oder „Die Geschichte von dem Gespensterschiff“ (beide Hauff) haben mich bis heute beeinflusst.

Es ist ein großer Mist, dass die Bücher verbrannt sind!

Lichtblick: ich habe von meiner Lieblingsschwiegermutter bereits eine Grimm-Ausgabe geschenkt bekommen. Es geht aufwärts!


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Samstag, 22. Oktober 2022

Things we lost (in the fire) - Teil 7: Dukatenbäumchen

Quelle: Unsplash, Kostiantyn Vierkieiev

Von meiner Frau in die Ehe gebracht lebte das Dukatenbäumchen (crassula ovata) zuerst auf dem Balkon. Dort fühlte es sich aber überhaupt nicht wohl und so landete es im Treppenhausflur, wo es nur wenig direktes Sonnenlicht gab. Mit der Zeit hatte ich das Bäumchen adoptiert und kümmerte mich einmal im Vierteljahr darum, es gibt schließlich wenig Pflegeleichteres als das.

Wann immer wir also die Wohnung verließen, gab uns das Dukatenbäumchen mit seinen dicken Ärmchen ein freundliches Geleit. Und wenn wir nach Hause kamen, war das Bäumchen mit seinen saftigen Blättern das erste, was wir von unserer Wohnung sahen, ein herzliches Willkommen.

Jetzt ist es fort, das dicke Ding.


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Freitag, 21. Oktober 2022

Mein Gehirn denkt sich Sachen aus

Quelle: Unsplash, Patrycja Chociej

Die Tage habe ich geträumt, dass ich mich zusammen mit der lieben Freundin Anette auf einem polnischen Bahnhof aufhielt. Sie hat mit professioneller Beiläufigkeit an einem Automaten von der Größe einer Fotobox einen Hotdog gezogen, worauf sie sich samt Snack kurzum von mir verabschiedete. Ich wollte es ihr nachtun, warf auch Geld in den Automaten ein. Es waren sehr große, etwas unebene Zloty-Münzen. Leider passierte nichts - kein Hotdog, nix. Hinter mir staute sich binnen Augenblicken eine Traube murrender Menschen, um mich kraft ihrer Masse hinreichend unter Druck zu setzen. Plötzlich sprang der Automat auf und die beiden professionell gewandeten Köche, die er beinhaltete, fragten aufgebracht, wer zum Teufel den Apfelstrudel bestellt habe. Die beiden hatten keine Hände, dafür sehr lange Unterarmstümpfe voller Frittier-Brandnarben. Ich antwortete (auf deutsch), dass ich einen Hotdog bestellt hatte, aber meine Muttersprache kam bei den Umstehenden nicht gut an, deshalb wiederholte ich es auf Englisch. In der Zwischenzeit fand sich ein Abnehmer für den Apfelstrudel.

Ich gebe zu, ich habe keine Ahnung, was sich mein Gehirn dabei gedacht hat, vielleicht sollte ich es beizeiten einmal fragen.


Things we lost (in the fire) - Teil 6: Fotoalbum Rucksackurlaub

Quelle: Unsplash, Dan Senior

In meinen frühen 20-ern habe ich einen Backpacker-Urlaub England/Schottland gemacht. Es ging von London aus nach Oxford und mit dem Überlandbus nach York und weiter nach Edinburgh, über das Loch Ness zur Isle of Skye, wo die Sonne partout nicht unterging. Zurück mit dem Überlandbus nach Bristol und wieder nach London. Es wurde gecampt und auch mal in Hostels übernachtet.

Mit von der Partie war Miriam, die ich vom Zivildienst bei der Lebenshilfe her kannte. Sie war erfahren in Dingen des Rucksackreisens. Alles, was sie jederzeit griffbereit hatte, befand sich bei mir allzeit im tiefsten Abgrund meines Rucksacks. Nach drei Wochen hatte ich hinreichend Erfahrungen gesammelt und wusste nun, 1) dass diese Art des Reisens nur etwas für hoch funktionale Organisationstalente war und, 2) dass ich Miriam auch nicht wiedersehen musste. Sie war ständig genervt von meinem Gekrame und machte auch keine Hehl daraus.
Ich fand damals, sie hätte es auch mal durchaus reizend finden dürfen.

Wieder zu Hause angekommen gab ich Filme zum Entwickeln fort. Nachdem ich die Fototaschen zurück erhalten hatte, bastelte ich aus den Fotos, meinen Tagebucheinträgen und allen gesammelten Billets, Kassenbons und allerlei mitgebrachten Zeitungs-Schnipseln und einem Festmeter Klebestift ein voll analoges, multimediales Fotoalbum.

Es ist schade, dass es fort ist, denn ich hatte mich darauf verlassen, dass es sich an meiner statt erinnert, zum Beispiel an das freundliche britische Rentnerehepaar, das uns bei Regen zu sich in den Camper auf einen Tee einlud.


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Donnerstag, 20. Oktober 2022

Things we lost (in the fire) - Zwischenspiel - diverse (meist rote) Kätzchen

Quelle: Unsplash, Patrizia Berta

Wir haben die Katzen im Feuer verloren. Dazu später mehr bei den zweistelligen Nummern dieser Serie. Heute war ich den ersten Tag nach dem Unglück wieder arbeiten und habe gleich von zwei (2) Kollegen drei (3) rot getigerte Katzen angeboten bekommen. Als ich nach Hause kam, hatte Chrissi unabhängig davon von einer ihrer Kolleginnen zwei (2) Kätzchen angeboten bekommen, in Summe waren es also fünf.

So gerne ich etwas Schnurriges, Felliges zum Puscheln in die Finger bekommen möchte, es ist zu früh. Wir können ja in einem AirB&B keine Katzen halten und der Dezember wird sicherlich auch recht turbulent. Danach, bitte.

Es wird, jeden Tag ein wenig. 😘


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Things we lost (in the fire) - Teil 5: T.W.s Besteck

Bei T.W. zu Hause 

Tante Waltraud (T.W.) war die Schwester unserer Mutter. Sonntags bei ihr eingeladen zu sein, war wie der Besuch bei einem Restaurant der Systemgastronomie: Es gab keine Überraschungen. Das mag negativ klingen, aber das war es keineswegs. Es gab oldschool Rollbraten oder Rouladen, als Beilage Kartoffeln oder Kroketten, immer Spirelli-Nudeln in Vollmilch gekocht mit „Stich gute Butter“ (Empfehlung des Hauses) und eine Winzmenge Gurken- oder Blattsalat mit Sahne. Somit war es aber allen Beteiligten immer bereits im Vorfeld klar, was es gab.

Die anwesenden Gäste knubbelten sich in dem winzigen Esszimmer, während die Tante in der noch viel winzigeren Küche herumwerkelte. Die Gäste hatten Zeit, sich die Zeit mit Gesprächen oder der Betrachtung der in Massen herumstehenden meist ästhetisch diskutablen Ausstellungsstücke zu vertreiben. Was spießig klingt und wie völlig aus der Zeit gefallen, ich vermisse es wirklich.

Tante Waltraud hatte nicht gerade ein Händchen für feine Gebrauchsgegenstände, aber ihr Essbesteck war schlicht, einfach und doch elegant. Nach ihrem Tod im Mai 2021 habe ich es geerbt und mich jeden Tag daran erfreut. Normalerweise lassen solche Freuden mit der Zeit nach, aber wann immer ich zur Besteckschublade gegriffen habe, war sie erneut da, diese Freude. Vielleicht war das Besteck auch einfach aufgeladen mit ungezählten quasi systemgastronomischen Familien-Sonntagen, die eine köstliche, konforme Beständigkeit innehatten.

Nun ist es fort, was für ein Mist.


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Montag, 17. Oktober 2022

Things we lost (in the fire) - Teil 4: Papas Hohner Mundharmonika

Katz (Abb. ähnlich), Quelle: Unsplash by Bodi.raw 

Mein Vater spielte Mundharmonika. Er hatte eine kleine, durch das Bespielen matt gewordene Hohner, auf der er einmal die Woche in der Küchenecke stehend, sein komplettes Repertoire zum Besten gab. In der Regel waren es alte Volkslieder, die er vermutlich seit dem Krieg spielte. Wir Kinder kannten es nicht anders, es war nichts Seltsames oder Peinliches daran.
Irgendwann in den 80ern schleppte uns Tante Waltraud eine halbwilde, getigerte Katze mit weißen Flecken an. Mein Vater nannte sie mit dem ihm eigenen Humor „Katz“ und dabei blieb es. Doch wann immer er das Mundharmonikaspielen anfing, verschwand das Tier unauffindbar, und tauchte erst wieder auf, wenn das Instrument im Küchenschrank verstaut wurde. Eines Tages beobachtete mein Vater, was mit der Katze passierte, sobald er die ersten Töne von z.B. "Ick heff mol en Hamborger Veermaster sehn" durch de Hohner pustete: Das Tier befiel ein nervöses Zucken entlang des Rückgrats, dann schien sich ihre Wirbelsäule zu verdrehen, sodass die Katze ganz schief wurde, gleichzeitig bekam sie Dellen, fiel an anderen Stellen ein. Wie frisch von einem LKW überrollt, wankte, schleppte sich die Katze auf drei Pfoten durch den Türspalt und verschwand im hintersten Winkel der Wohnung, sich zum Sterben zusammenkauernd. Das war das wahre Elend im Tierreiche! Da dem Vater das elendige Katz arg zu Herzen ging, stellte er das Mundharmonikaspielen zur Sicherheit vollständig ein. Es ging dem Tier einfach zu sehr ans Gemüt.

Ich hatte die Mundharmonika zusammen mit anderen Erinnerungsstücken in einer Schublade, nun ist sie fort.


Sonntag, 16. Oktober 2022

Things we lost (in the fire) — Teil 3: Langspielplatte INXS Kick (1987)

Foto: Jack Hamilton, Quelle: Unsplash

1987 erschien die LP „Kick“ von INXS. Ich habe die Vinyl-Scheibe rauf und runter gehört seinerzeit. Die australischen Bandmitglieder trugen schwarze Jeans und schwarze Jeansjacken. 1987 gab es so etwas in Deutschland noch nicht. Das war so cool! 35 Jahre später stehe ich noch immer auf schwarze Jeansjacken, wegen der „Kick“, damit ihr es wisst. Irgendwann Ende der 90er bekam ich einen Koller und habe alle nicht-digitalen Datenträger (außer Bücher) weggegeben. Fünfzehn Jahre später dann, in einem Anflug von analoger Reue, habe ich mir die Kick als LP zurückgekauft.
Im Lied „New Sensation“ heißt es gegen Ende:

Love, baby, love
It's written all over your face
There's nothing better we could do
Than live forever
Well, that's all we've got to do

Und hey! Damals war sogar die Zukunft noch grandios, eine Weite voller Verheißungen und nicht das dystopische Trümmerfeld, das heute sich vor uns allen ausbreitet. Nachdem ich nach dem Brand jetzt zwei Wochen lang „New Sensation“ als Ohrwurm hatte, habe ich mir die „Kick“ nun aus aus dem iTunes-Store heruntergeladen.
Kickt wieder! :D

Erst später ging mir auf, dass Pop der 80er auch eine Flucht in „die gute alte Zeit“ sein kann, jetzt wo Jacke und LP ein Raub der Flammen geworden sind.
So wird es sein.
Seufz.


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Samstag, 15. Oktober 2022

Things we lost (in the fire) — Teil 2: Opa Heinrichs Reiseköfferchen

Bildquelle: Emanuela Picone, Unsplash
Abbildung ähnlich, Quelle: Emanuela Picone, Unsplash

Mein Großvater mütterlicherseits wurde im Jahre 1900 geboren und stammte ursprünglich vom Niederrhein, aus Budberg. Als junger Mann reiste er manchmal geschäftlich in die Niederlande. Außer diesem schütteren Satz weiß ich nichts über seine oder die Art der Geschäfte. Er wird etwas mit Landwirtschaft zu tun gehabt haben.

Da für Opa Heinrich dann eine Übernachtung im Ausland anstand, hatte er einen kleinen, braunen Lederkoffer dabei. Dieser enthielt frische Unterwäsche, ein weißes Oberhemd, Dose mit Handseife, Zahnbürste und Zahncreme und ein Rasierset bestehend aus Messer, Pinsel und Rasierseife. Der Koffer selbst hatte eine Größe von knapp über 30 cm x 20 cm x 10 cm und war somit signifikant kleiner als das feuerwehrrote Köfferchen mit schwarzem Rand, welches ich als Kind mit in den Kindergarten genommen habe, wenn wir Spielzeug mitbringen durften.

Manchmal, wenn ich für eine oder zwei Übernachtungen gepackt habe und meinen Hohlblocksteingroßen Kosmetikbeutel zu den drölfzig anderen Dingen stopfte, die ich mitnahm, dachte ich an Opa Heinrichs Reiseköfferchen. De Omma würd jetzt sagen: „Et war ne andere Zeit.“

Der Koffer stand als Deko bei uns im Wohnzimmer, man sah ihm seine mehr als hundert Jahre nicht an, das Leder hatte einen feinen Glanz, war überhaupt nicht abgewetzt, nur die verchromten Schließen waren von der Zeit etwas angelaufen. Innen war er mit beigefarbenem Stoff ausgeschlagen.

Nun ist er fort.


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Freitag, 14. Oktober 2022

Things we lost (in the fire) — Teil 1: Mamiya Seagull 4

Mamiya Seagull 4, Quelle: Unsplash

Für meinen Vater selig ein Geburtstags- oder Weihnachtsgeschenk zu finden, war kaum möglich. Was er haben wollte, kaufte er sich selbst und alles andere war aus Prinzip nicht das Richtige. Im Grunde war es völlig unmöglich ein Geschenk zu finden, ebenso, wie einmal für etwas gelobt zu werden. Aber man kann als Sohn schon so einiges an Masochismus entwickeln, das Unmögliche irgendwie doch möglich zu machen.

Also, frisch ans Werk, der Vater sammelte schließlich alte Kameras. Eine echte Rollei konnte ich mir nicht leisten, aber es gab auch „Nachbauten“. Nach einer Weile entdeckte ich die Mamiya Seagull 4. „Sie ist eine zweiäugige Spiegelreflexkamera mit zwei übereinander angeordneten Objektiven. Entwickelt wurde sie von der Firma Franke & Heidecke, die später zu Rollei wurde. 1959 wurde die Rolleiflex von einer Firma aus Shanghai einfach frech kopiert und sogar noch bis vor kurzem gefertigt.“ (Vgl. https://t1p.de/xllk7)

Das nenne ich mal einen Lucky Find! Also habe ich mir bereits Mitte November 2003 — sicher ist sicher — die Kamera bei Ebay geschossen. Das Weihnachtsgeschenk für meinen Vater war also im Kasten! Leider ist er dann am 01.12. gestorben. Seitdem stand die Seagull bei mir als Ausstellungsstück im Regal. Abgesehen davon, dass sie angenehm schwer und eckig in der Hand lag und einen wertigen Eindruck machte, war sie auch eine Erinnerung daran, dass das Unmögliche nur selten gelingt.

Jetzt ist sie, wie alles andere, verbrannt.


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Things we lost (in the fire) — wie alles begann

WhatsApp-Verlauf

Kanadaurlaub, fünfter Urlaubstag. Es war der 26.09.2022, 15.55 Uhr Ortszeit. Zusammen mit meiner Frau Chrissi setzten wir uns in Montreal in das Café „Juliette et Chocolat“ und bestellten etwas. Zu diesem Zeitpunkt erschien mir die Aussicht auf das Bestellte verlockend. Bei der französischsprachigen Bedienung, vom Alter her eine Schülerin, erfragten wir das WLAN-Passwort und loggten uns ein. Sofort prasselten eine ganze Reihe von WhatsApp-Nachrichten auf uns ein.

Geht es euch gut?“, fragte Lea in die WhatsApp-Gruppe aller Mieter des Mietshauses Bandstr. 13 in Wuppertal. Dort war es bereits kurz vor 22.00 Uhr. Es folgte gleich darauf der Satz: „Ich sehe im Internet, dass es wohl brennt??“

Unser Interesse war geweckt. Es brennt? Mit wachsender Sorge googelten wir „Feuer Wuppertal“ und sahen mit Schrecken Meldungen über einen Großbrand in unser Straße. Kaffee und Kuchen wurden uns serviert, völlig uninteressant.

„Ist das überhaupt unser Haus?“, fragte ich. Der Kuchen schmeckte nach Asche mit einer metallischen Beimischung. Wir begannen zu recherchieren, je mehr wir im Internet lasen, umso schlimmer wurde es.

Die Situation war surreal.

„Oh Gott, die Katzen!“, wir versuchten unsere im gleichen Haus unter uns wohnenden Katzensitter zu erreichen, leider Fehlanzeige. Das war hochgradig beunruhigend — war ihnen vielleicht sogar etwas zugestoßen? Die Bedienung tauchte auf, nuschelte etwas auf Französisch mit einem Fragezeichen hinten dran.

„Our house is burning at home in Germany“, erklärten wir zittrig. Das Mädel verschwand wieder, brachte uns eine Karaffe Wasser und tröstende Blicke. Später am Tag tauchten wir völlig aufgekratzt bei Freundin Brenda in Montreal auf, bei der wir ursprünglich einige Tage „in the City“ verbringen wollten. Das Thema „Katzen“ wurde elegant umschifft, stattdessen wurden wir auf sehr kanadische Art nach allen Regeln der Kunst abgefüllt. In der Rue Terrebonne verbrachten wir eine seltsam zittrige Nacht. 

Am Morgen rief die Polizei auf dem Handy an, Frau Soundso fragte nach Namen und weiteren Handynummern der Bewohner des Brandhauses. Sie bestätigte damit, dass das alles nicht nur ein Tequila-Traum gewesen war. Wir bekamen die Nummer des bei der Feuerwehr Wuppertal zuständigen Herrn L. Der bestätigte, dass der Brand sich vom Keller über das Treppenhaus nach oben gearbeitet hatte, das Haus jetzt unbewohnbar war, gegebenenfalls sogar einsturzgefährdet sei. Es zeichnete sich hier bereits ab, dass wir alles verloren hatten. Und ja, man habe wohl schon bei den Löscharbeiten laut Bericht „ein totes Haustier gefunden“. Vielleicht Baghira von den Nachbarn unter uns? Der Urlaub war auf jeden Fall gelaufen. Wir laufen ja nicht Murals und Graffiti fotografierend durch Montreal, während daheim alles in Trümmern liegt. Der erste Impuls war natürlich, einen Flug zu buchen und zurück „nach Hause“ zu fliegen, aber das gab es ja offenbar nicht mehr. Bei Freunden wohnen und denen gepflegt auf den Keks gehen? Tage später klärte sich, dass gottlob alle Hausbewohner überlebt hatten, wenn auch nur knapp. Über die WhatsApp-Gruppe des Hauses bekamen wir die Rufnummer der Diakonie Wuppertal und eine Ansprechpartnerin genannt. Sie riet uns, zu bleiben, wo wir sind. Eine Unterkunft zu haben sei in dieser Situation ein Glücksfall.

Nun denn. Wir blieben, sagten aber alle Treffen mit Freunden und auch den geplanten Roadtrip nach Neuengland ab.

Während uns Chrissis Mom, die in Rosemère bei Montreal lebt, umsorgte und Nachmittags auf einen Spaziergang zum Eichhörnchen (Squirrel) und Vögel (Nuthatch, Chickadee) füttern schleppte, versuchten wir unseren Kram geregelt zu kriegen. Nach dem Frühstück war in Deutschland bereits 16.00 Uhr. Eine Support-WhatsApp-Gruppe der Freunde wurde ins Leben gerufen, Facebook & Co., alles lief heiß dieser Tage, sogar Spenden wurden gesammelt. Das alles war rührend und zu Herzen gehend im geschützten Umfeld von Chrissis Elternhaus.

Unser Versicherungsmakler legte uns nahe, für die Hausratversicherung eine Liste aller Dinge zu schreiben, die wir gemeinsam besessen hatten — things, we lost in the fire. Es wurden sehr lange Listen, denn es ist alles fort und das ist eine ganze Menge — was sich so anhäuft, in einem 55-jährigen Leben.

Schließt bitte mal die Augen und zählt auf, was in der vorletzten von vier Küchenschubladen eigentlich drin ist, dann erst schaut nach — surprise! Genau das. Aber es gibt auch die Dinge, deren Verlust aus dem einen oder anderen Grund dramatischer ist als der kleine Dreizack, mit dem man beim Pellkartoffeln pellen die Kartoffel hält.

RU24 war mal mein Satire-Blog, bis ich gemeint habe, jedes Thema, das mich umtrieb, hinreichend durch den Kakao gezogen zu haben. Jetzt kommt etwas gänzlich neues auf‘s Tapet: Ich möchte sehr persönlich über die Dinge schreiben, die ich verloren habe. Es werden natürlich auch zwei Katzen darin Erwähnung finden, aber noch kann ich das nicht, dazu also später.

Stay tuned.


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