Dienstag, 29. Mai 2018

ru24 Special: Portugal von A-Z (Teil 2 von 3)

Anrückende Pflanzen
Fisch
Stockfisch („bacalao“ oder „bacalhau“) ist eine große Sache in Portugal. Der zuvor an Stöcken getrocknete (deshalb der Name) Trockenfisch (Kabeljau oder eine Barschart) wird in aktenkoffergroßen, hellgrauen Stücken gehandelt, die in Schaufenstern herumliegen wie Hohlblocksteine in einem Baumarkt. Um ihn wieder zu einem Lebensmittel zu machen, muss bis zu 36 Stunden lang gewässert werden. Die eigentliche Heimat des Stockfischs „ist aber Skandinavien, besonders Norwegen. Von dort sowie aus Island und den Faröer-Inseln stammen die größten Importe an Stockfisch bis heute.“ (Quelle)
In Portugal wird Fisch generell immer und überall mit Gräten serviert, bei von Geburt an grätenlosen Fischen werden aus Frack noch welche reingeschossen – hier zeigt eine alte Seefahrernation allen Landdeppen stolz den Mittelfinger.

Frühstück
Das Zauberwort lautet „Pastelaria“. Die hiesigen Bäckereien haben ein riesiges Angebot von süß bis herzhaft, zu dem Plunderteilchen einen Milchkaffee = Galão (sprich Galaoh[ng], siehe „Diphthong“) und ein frisch gepresster O-Saft — zu zweit ist man mit unter 10,00 € dabei.

Calçada Portuguesa
Gehsteige
Die kompletten Bürgersteige in den Städten Portugals sind das berühmte "Calçada Portuguesa" (Link), ein Mosaikpflaster aus zweifarbigem Kalkstein. Das ist etwas uneben, hat Löcher, aber es sieht schön aus. So lange es trocken ist, kommt man bei flachem Schuhwerk ganz gut voran. Wenn es regnet, dann ist die ganze Angelegenheit so fitschig wie, nun ja, nur nasses Kalksteinpflaster sein kann.

Geschichte
Die Geschichte Portugals kann man stark zusammengedampft so schildern: In einer Winz-Nation wird ein neuer, wendigerer Schiffstyp erfunden, damit entdeckt man die halbe Welt, wird zum Giganten, verliert alles, gewinnt alles, verliert alles. Wann immer Gold und Geld da waren, wurde geradezu grotesk verschwenderisch damit umgegangen, die Gebäude ganzer Prachtstraßen vergoldet. Dann war wieder Schmalhans Küchenmeister angesagt. Rücklagen sind doch nur für Lappen!
Seit 1976 ist Portugal eine Demokratie.
Schöner Artikel: Quelle.

Ginjinha
Der berühmte Kirschlikör „Ginjinha“ wird überall in der Stadt feilgeboten, gerne auch von alten Frauen mit Kopftuch an Tischen. Nach einer halben Flasche kann man ihn sogar korrekt aussprechen. Er schmeckt wie Mon Cherie von innen und die dekorative Flasche eignet sich als Mitbringsel.

Inkognito
Spätestens, wenn man in Portugal eine Adresse sucht, z.B. die des Airbnb-Gastgebers, dann stellt man fest: Menno, es gibt gar keine Namen auf den Klingelschildern! Die Häuser haben zwar Klingeln, aber die sind beschriftet mit Erdgeschoss rechts/links, Erster Stock rechts/links usw. Steht man dann unten im Treppenhausflur, dann wiederholt sich das Ganze auf den Briefkästen – kein Name, nirgendwo. Dito an allen Wohnungstüren im ganzen Haus. Wenn man also nicht weiß, wo genau im Haus Berta Maria Correia de Almeida de Melo Cabral wohnt, kann man ihr einen Brief nur im Treppenhausflur auf die Inkognito-Briefkästen stellen und das Beste hoffen.
Und das kommt so: Bis 1974 hatte Portugal unter Regierungschef Salazar eine faschistoide Diktatur. Diese hatte eine sehr „umtriebige“ Geheimpolizei namens PIDE (Polícia Internacional e de Defesa do Estado). Um dieser das Leben so schwer wie möglich zu machen, entfernten die Portugiesen ihre Namensschilder von den Häusern und Türen – bis heute.
Das ist auch der Grund, warum sich Portugiesen am Handy oder Telefon niemals mit Namen, sondern mit einer landesspezifischen Entsprechung von „Pronto?“ melden. Seinen Namen wird der Angerufene schon aus Frack nicht nennen, da sind sie verschlossen wie die Austern.

Kinder
Für portugiesische Kinder gilt: Nachts ist genauso wie Tag nur ohne Licht. Deshalb wuseln um Mitternacht auf dem stockdunklen Kinderspielplatz noch ein Dutzend Blagen herum und hängen von den Gerüsten wie die Fledermäuse.
True Story.

Mehr ist mehr
Kirchen
Die Kirchen Lissabons sind im Inneren in der Regel hart vergoldete, überverzierte, mit Putten brutal überdekorierte Pracht-Grotten, ein Zuviel des Guten in jeder denkbaren Hinsicht, immer nach dem Motto: MEHR IST MEHR. Kann man, muss man nicht. Einzig positiv hervor stach die Basílica da Estrela, die im Inneren für portugiesische Verhältnisse geradezu geschmackvoll daherkommt. Gegenüber dann im Jardim da Estrela einen Galão trinken gehen – Tipp!

Lissabon
„In den letzten 30 Jahren hat Lissabon alle zehn Jahre rund 100.000 Einwohner verloren, von 800.000 damals auf rund 500.000 heute.“ (Quelle)
Die Infrastruktur ist wohl sehr schlecht bezügl. Kinderbetreuung, Schulen und Krankenhäusern.
Die Armen können sich zudem die hohen Quadratmeterpreise in der Stadt nicht leisten, die Reichen wohnen schick auswärts in Cascais und Estoril. Das erzeugt Leerstand, ganze Straßenzüge sind vermauert, die Türen mit Ketten verhangen. 400.000 pendeln täglich in die Stadt und wieder heraus.
Wie es kommt, dass sich trotz der gravierenden Leerstände sich das Mietniveau so hoch hält, ist mir leider nicht bekannt.

Moppen
Moppen
Lernen von Portugal: Hier wird ein Bahnsteig gemoppt. Da könnte sich die DB mal eine dicke Scheibe von abschneiden.

Namen
Nachnamen haben die Portugiesen bis zu vier, in der Regel aber nur zwei: Einen Nachnamen vom Vater und einen von der Mutter, wobei der erste Nachname des Vaters an erster Stelle steht. (Quelle)
Bei den maximal zwei Vornamen sind Portugiesen sehr konservativ, in Portugal gibt es keine Kanyes, Leroys, Skyes und Zoes. Hier ist alles ganz oldschool Manuel, Pablo, Maria und Fatima. Spanische Vornamen sind schon mal von Gesetzeswegen überhaupt nicht erlaubt. True story. (Quelle)
Aufgrund der überwiegenden Unfähigkeit der deutschen Bevölkerung, ihrer Brut menschliche Vornamen zu geben, hätte sich der Gesetzgeber von Portugal beizeiten mal eine Scheibe abschneiden können, nu isses zu spät, Chantal.

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Sonntag, 27. Mai 2018

ru24 Special: Portugal von A-Z (Teil 1 von 3)

Cascais

Auto

Der Portugiese fährt Auto wie Jason Statham. In einer kleinen Gasse im Gegenverkehr in sechs Zügen wenden wird von den betroffenen 33 Verkehrsteilnehmern nicht einmal mit einem Hupen kommentiert. Alle haben einen dicken Nerv und trauen sich was. Den Portugiesen beim Fahren zusehen, da kann man schonmal ne unterhaltsame halbe Stunde mit herumbringen. Mit dem Warnblinker kann man überall herumstehen, gerne warten auch Busse und Straßenbahnen auf unsere Freunde, die Wildparker in zweiter Reihe. Ansonsten: Hupen geht immer.
Auf Autobahnen geht es entspannt zu, alle halten sich an das Tempolimit von 120 km/h, auch Audi, BMW, Mercedes, da könnte Deutschland noch etwas von lernen.
In Portugal gibt es so viele Kreisverkehre, dass das Navi schon vom nächsten fabuliert, während man noch im Aktuellen steckt. Doch ach! Die meisten Kreisverkehre sind für Rest-Europäer zweispurige Todesfallen. Es gelten besondere Regeln in Portugal. Man blinkt links beim Einfahren und rechts beim Ausfahren und nur, wenn man die erste Ausfahrt nimmt, muss man nicht in den inneren Kreis fahren. Deshalb muss man beim Einfahren immer auf beide Spuren achten, auch wenn man die erste Ausfahrt nehmen will. Ich habe mir vorher Skizzen angesehen. Es gibt auch dreispurige Kreisverkehre, aber die sollte man als Nichtportugiese weiträumig umfahren.
Sonst geht’s aber.

Cascais
Reizender, kleiner Küstenort in der Nähe von Lissabon mit der besten Eisdiele ever (Santini). Auf der Terrasse des Restaurants, wo wir zu Mittag aßen, konnte man nicht überall sitzen, da die Holzdielen sich aus dem Lattenwerk lösten. Für einen geübten Handwerker á la Hornbach-Werbung wäre das eine Sache von zwei bis ein paar Stunden gewesen, aber hier ließ man das vorsichtshalber "so". Wenn die Gäste nicht so dolle mit den Stühlen kippeln, geht's ja! Der prekäre Charme, der einem hier entgegenschlägt, hat seinen Reiz.

diphthongisiertes Kaffeheißgetränk

Danke
Damen bedanken sich in Portugal mit „obrigada“, Herren mit „obrigado“.
Man kann auch „gracias“ sagen, aber dann bekommt man eine Eselsmütze aufgesetzt und wird zu Fuß nach Spanien deportiert, während hinter dir eine komische Nonne herläuft, die alle 12 Schritte „Vergonha!“ (Scham!) ruft.
Was das Spanische angeht, da sind die Portugiesen kleinlich.

Diphthong
Schon die Bezeichnung ist der Endgegner beim Buchstabierwettbewerb. Es handelt sich dabei um den Fachausdruck für „Doppelvokal“. „Ei“, „au“ und „eu“ sind Diphthonge. In Portugal gibt es eine etwas unübersichtliche Anzahl davon, was dazu führt, dass man den lokalen Milchkaffee „Galão“ = Galaoh[Ng] ausspricht.
Mehr dazu hier: Link.

Entsorgung
Auf Flaschen gibt’s kein Pfand, deswegen fliegen die in der ganzen Stadt herum. Es gibt ein paar Altglascontainer, aber die Leute stellen die Flaschen einfach daneben, auch wenn die Container leer sind – warum auch immer. Der Müll wird von den Anwohnern täglich in Säcken an die Straße gekippt und jede Nacht mit ziemlich viel Rumpeldipumpel abgeholt. Dabei bleibt der lose Müll liegen.

nur bedingt zum Verzehr geeignet

Essen gehen
Stehen Hanseln mit 6-sprachigen Speisekarten vor den Lokalen und quatschen dich voll: Never ever! Denn das geht niemals gut aus:
Contra: Man bekommt ein Stück Fleisch von etwas vager Provenienz. Fleisch generell hat oft eine angebrannte Note, wenn es auf offener Flamme geröstet wird. Verbrannt-flambierte Chorizo enthält sehnige Fettklumpen so groß wie Kichererbsen und ist dadurch nur bedingt zum Verzehr geeignet. Pro: Keine Angst vor Acrylamid – Pommes werden so fahl wie Fischbäuche serviert und sind so knusprig wie Puddinghaut. Contra: Gemüse wird völlig zerkocht. Wenn „Spinat“ auf der Karte steht, landet ein moosgrüner und ungewürzter Klumpen Kitt von der Größe eines Pingpongballs auf dem Teller, der überhaupt nicht zum Verzehr geeignet ist.
Der überwiegende Teil der portugiesischen Küche sind für den Tourismus entwickelte Rezepte aus den 50ern, die mit der Liebe und Sorgfalt eines Grills-Imbisses der frühen 80er zubereitet und im dazu passenden Ambiente serviert werden. Und im Zweifelsfall zahlt man für diese Art Küche 50-100% mehr, als dort, wo es leider lecker gewesen wäre.
Tipp: Am besten sucht man sich einen Hipster-Laden mit properem Corporate Design und isst Crêpes, einen Burger, was mit Pulled Pork oder moderne portugiesische Küche – zwei Personen mit allen Getränken zu knapp über 20,00 €.
Oder ja, wenn es unbedingt sein muss, Fisch.
Ja, Fisch geht, wenn man Fisch mag.
Meh.

Expresso
Merke: Nur in Portugal heißt der Espresso „Expresso“. Nur hier mit x.
Isso.

Fado
Fado (portugiesisch Schicksal; v. lat. fatum = Schicksal, göttlicher Wille) ist ein portugiesischer Musikstil. (Wiki).
Fado gibt’s in 3 Varianten: Fado Cozinha, Fado Deprimido und Fado Suicídio.
Beim F. Cozinha kommen Köchin oder Küchenhilfe spontan aus dem Kabäuschen und klagen operngleich den im Restaurant speisenden Gästen etwas vor, z.B. über den Stress beim Anlernen der doofen Küchenhilfe, die die Pommes so lange frittiert, bis sie cross sind.
Der F. Deprimido ist vergleichbar mit dem Blues. Es geht um Diskriminierung, Verrat, Verbrechen, Resignation, unerwiderte Liebe, Arbeitslosigkeit, Hunger, finanzielle Not, Heimweh, Einsamkeit und Untreue – Mehrfachnennungen möglich, man kennt das.
Beim heimtückischen Fado Suizidal versuchen Sängerin oder Sänger, emotional instabile Elemente unter den Zuhörern zu einem Selbstmord im Affekt zu motivieren. Nicht selten verletzen sich dabei Gäste spontan mit Steakmessern oder rammen sich einen Löffel ins Auge, viele nehmen später zu Hause Medikamente durcheinander.
Die berühmteste F.-Sängerin war Amália Rodrigues. Sie hatte bereits als Kind an allem etwas auszusetzen.

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