Sonntag, 23. Juli 2017

Queen Mom 29 - Auf Reisen mit QM (2005, 2009)

Antigua (Bild bei Flickr)
2005 und 2009 war ich mit meiner verwitweten Mutter auf AIDA-Kreuzfahrten. Es stellte sich heraus, dass meine Mutter nicht nur mir gegenüber, sondern allzeit auch sehr unbefangen im Umgang mit ihr fremden Mitmenschen war.


De Sohn is wech!
Vom Flughafen der DomRep aus brachte uns ein Shuttlebus zum Schiff. Da ich unser beider Bordgepäck trug und auch Muttern am Arm hatte, waren wir in jeder Warteschlange die Letzen, so auch beim Besteigen des Busses. Während ich mich mit unserem Gepäck nach ganz hinten zu den letzen freien Plätzen durchkämpfte, ließ Mutter sich zufrieden auf dem Behindertenplatz hinter dem Fahrer plumpsen. 
Am Hafen angekommen, leerte sich der Bus ohne Hast. QM stieg mit den Vorderen zuerst aus. Als ich dann als Letzter aus dem Bus trat, hatte sich QM bereits bei einem draußen wartenden AIDA-Crewmitglied untergehakt und redete dabei auf ein Weiteres ein, ich hörte sie gerade noch sagen: "Ja aber mein Sohn is wech!"
Wie hätte ich wohl bei einer 20-minütigen Busfahrt ohne Halt verloren gehen können? Ich bin doch nicht Houdini!
"Hier isser, besagter Sohn!", sagte ich betont fröhlich hinzutretend.
Die AIDA-Leute waren total erleichtert, QM auch.


Langweiliges Zeug
Auf Grenada machten wir eine Besichtigungstour mit dem Bus. Eines der Reiseziele war eine Muskatnussfabrik (Link). Gegen die Arbeits-Atmosphäre hier wirkte der Job bei der Jack Daniels Distillery in Lynchburg, Tennessee echt stressig. Das Anstrengendste, was ich gesehen habe, waren Männer beim Kartenspiel. Mehr Aufregung benötigten die hier in ihrer Schale lagernden Muskatnüsse nicht zum Reifen.
Kaum angekommen, entdeckte de Mutter eine Toilette und verschwand. Da ich ihre Gehhilfe war, musste ich vor der Toilette warten. Der Touristentross samt Führer entfernte sich, der Vortrag über die Muskatnuss, ihren Anbau und ihre Verarbeitung wurde zu einem Murmeln, dann verschwanden alle um eine Ecke. Nun, das konnte man sicher wieder aufholen.
Ich wartete im Halbdunkel in mittlerweile fast völliger Stille. Nach fünf Minuten rief ich mal durch die geschlossenen Tür: "Alles gut?"
Mutter antwortetet etwas, das wie "Mömömö!" klang.
Nach geschlagenen weiteren fünf Minuten ließ QM sich wieder blicken, die Haare aufgebürstet, Eau de Cologne umwehte sie. Den 10-minütigen Vorsprung der Gruppe konnte man jetzt natürlich nicht wieder aufholen.
"Boah! Jetzt haben wir hier alles verpasst!", mopperte ich enttäuscht.
"Pöh! Das ist doch alles langweiliges Zeug hier!", bemerkte die erfahrene Weltreisende huldvoll, hakte sich unter und ließ sich von mir durch die Fabrik wieder zum Bus geleiten.
Na, da hatte ich ja nichts verpasst...


Et Mädchen
Auf Antigua hatte ich Mutter am Arm, wir hatten das Schiff kaum verlassen, als wir an einem Obststand vorbeikamen, hinter dem eine einzelne, einheimische (farbige) junge Frau ihre Waren feilbot.
"Da kuck mal, et Mädchen, wie herrlich!", freute sich de Mutter.
"Ja, schön...", sagte ich.
Eh ich mich versah schubste de Mutter mich in Richtung Obststand.
"Stell dich mal zum Mädchen, ja nä, nich so!", gab de Mutter wie immer nicht allzu präzise Anweisungen. Da sie -- weiß der Teufel warum -- nicht ein Auge einzeln zukneifen konnte, hielt sich sich die Kamera spektakulär umständlich vors Gesicht. Der Daumen ihrer rechten Hand bedeckte dabei das rechte Auge. Die junge Frau hinter dem Tresen machte gute Mine zum bösen Spiel -- was tut man nicht alles für potenzielle Kundschaft.
"Ja, nä, Mädchen, komm mal da raus int Sonnenlicht!", rief de Mutter und winkte wild.
"Dat Mädchen is so schwatt, man sieht ja sonst nix aufm Foto!", erklärte de Mutter, als wären wir allein.
Die natürlich nicht deutsch sprechende, junge Frau trat etwas verunsichert aus ihrem Obststand, ich gesellte mich rasch dazu, versuchte nicht zu gequält zu schauen.
"Int volle Sonnenlicht, Mädchen! Ja so!", rief de Mutter.
QM machte umständlich ihre Fotos.
"Schön!", sagte de Mutter, nickte "dem Mädchen" kurz gewinnend zu, griff haltsuchend nach meinem Arm und bugsierte mich von dannen. Auf die Idee, hier etwas zu kaufen, auch nur aus Anstand, wäre QM in 100 Jahren nicht gekommen. Die junge Frau schaute uns länger noch etwas verwirrt hinterher.
Wir gingen weiter, ich etwas steifbeinig.
Ich fühlte mich, nun ja, etwas... kolonial.

Seit jener und ähnlicher Begebenheiten habe ich übrigens den dritten Dan im Fremdschämen.


Das unheimliche Geräusch
Wir kamen an verschiedenen Kreuzfahrtschiffen vorbei, manche hatten gerade erst angelegt und öffneten gerade ihre Pforten, so auch ein riesiger Kahn namens "Empress of the Seas", wenn ich mich richtig erinnere. Obwohl die Tore weit offen standen, tauchte kein einziger Tourist auf, das Schiff zu verlassen. Es war wie ein dunkler Schlund, aus dem sehr leise Geräusche drangen, die wie Ticken klangen.
Zuerst klang es wie ein leises verstreutes "tick... tick... tick".
Nach einer Minute sich verdichtender Laute klang es wie "tick-de-tick-ticktick".
Nach einer weiteren Minute klang es wie "TICK-DE-TICK-TICKTICK!!!"
Eine Minute später war es ein Sturm, ein Tosen, ein tausendfaches, ein das Universum ausfüllendes TICKEN!!!
Dann schälten sich, wie in Zeitlupe, die ersten Silhouetten aus dem Dunkel des Schiffs-Schlundes. Es war, was ich niemals vermutet hätte, ein Zeitlupenrennen von hunderten von Greisen mit starren Gehhilfen (Link), die sich anschickten, ihr Schiff zu verlassen. Auf diesem Schiff lag der Altersdurchschnitt bei etwa 75 Jahren.
Ich kann seitdem kein Uhrenmuseum mehr besuchen, ohne an diese Szene zurückzudenken!