Mein stummer Schrei ist Hoffnungslosigkeit.
Ich prüfe meinen Rücken, er ist vorhanden, scheint sogar intakt. Ich kann meine Beine bewegen, ein gutes Zeichen. Die vergangene Nacht war eine Melange aus Schlafphasen, Schlafsacküberhitzung und unzugedecktem Frieren. Ich bleibe liegen und gehe im Geiste die 27 Schritte durch, die notwendig sind, um notdürftig bekleidet zum Sanitärhaus zu gelangen. Der Aufwand ist zu beträchtlich, als dass ich danach noch ein Auge zu machen würde, da kann ich auch gleich duschen gehen.
In der Hocke und gebeugt geht die Suche nach quasi Allem los: Brille, grasfleckige Hose, irgendwelche selbstklebenden Socken, Schläppkes, müffelndes Handtuch, Kulturbeutel. Fast alles verbirgt sich geschickt vor dem verschleierten Blick des Suchenden. Die volle Blase ist ein Fanal. Ich öffne ächzend den Zeltreißverschluss, krieche in unwürdiger Pose aus dem Zeltinneren ins sandige Vorzelt. Dreck scheuert, Steine aus dem Untergrund bohren sich brachial durch den Zeltbodens in meine Knie. Winselnd schließe ich den nun hinter mir liegenden Reißverschluss.
Ich richte mich auf, provisorisch, frühen Primaten in nichts nachstehend.
Draußen auf der Bank sitzt Bernd vor einer Blechtasse mit schwarzem Kaffee, er raucht eine Selbstgedrehte. Er sieht so aus wie ich mich fühle. Ich gurgle ihm einen Gruß zu. Sein Grunzen ist nicht zu interpretieren.
Ich wanke gen Sanitärhaus, den kiloschweren Kulturbeutel in der Rechten, das Handtuch über die Schulter geworfen.
Auf dem Campingplatz ist bereits ein reges Treiben aus Radfahrern, Hundehaltern, Brötchentütenheimkehrern – dem ganzen Frühaufsteherpack.
Ich erreiche die Toilette.
Es ist als hätt‘ der Himmel, die Erde still, geküsst.
Dann ist da sogar eine freie Duschkabine.
In den Fußpilzgründen des Vorgängers herumtappend, entkleide ich mich, platziere das Duschgel in der Duschkabine. Ziehe mich aus. Beim Aufdrehen des Hahns stelle ich fest, dass der Duschkopf fehlt. Ich ziehe mich an. Der Vorraum der einzigen anderen Dusche, die frei ist, steht daumendick unter Wasser. Was bleibt mir übrig? Ich nehme den Abzieher und beseitige die Überschwemmung gen Gully. Dabei tauchen dann diverse Voodoo-Haarstrünke auf, die die grauen Fluten gnädig verhüllt hatten.
Ich dusche.
Viel zu spät merke ich, dass ich mal wieder keine frische Wechselwäsche dabei habe. Herrgott, ich kann doch nicht an alles denken!
Die Luftfeuchtigkeit liegt bei 100%, das Abtrocknen ist ein vergebliches Unterfangen. Zumindest habe ich mit dem gammligen Handtuch mal alle Mückenstiche angeregt, sich zurückzumelden.
Quasi nass zwänge ich mich in die bereits hochfragwürdige Kledage zurück. Klamm schmiegt sie sich an mich. Mindestens eine Socke, die Unterhose und ein Hosenbein saugen sich zusätzlich voll mit der Pfützen-Sutsche von Dutzenden meiner Vorgängern, da kann ich machen was ich will.
Als letztes presse ich die Duschgelflasche in den mit Kosmetikartikeln bis zum Rand vollgestopften Kultur-Beutel zurück. Natürlich rattert jetzt die elektrische Zahnbürste los, so dass ich alles neu sortieren muss, damit es überhaupt passt. Auch noch nass rasieren geht heute mal gar nicht - wie die letzten Tage auch…
Ich fliehe diesen Ort.
Der Himmel hat sich zugezogen, der böige Wind bläst bereits die ersten Ausläufer des Regens auf meine Brille.
Ich fluche gotteslästerlich.
Der fünfte Tag beim Camping – und die Kultur ist komplett den Bach runter.