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Dienstag, 19. Mai 2015

ru24-Test: Wie verträglich bist du als Biker? (aus aktuellem Anlass)

photo credit: roll out via photopin (license)
Ist Motorradfahren mehr als nur fossile Brennstoffe in Lärm, Gestank, CO2 und verstopfte Straßen umwandlen?

Mach den ru24-Test:
Wie verträglich bist du als Biker?
Einfach die S und U in den Klammern hinter jeder für dich passenden Kategorie aufaddieren:

Du bist ein Garagenbiker. Du hast ein Motorrad. Das steht angemeldet in der Garage. Die Jahreszeiten fliegen nur so dahin. Dann meldest du es zum Winter wieder ab. Gefahren bist du nicht.
(+25 S, +25 U)

Du bist ein Motorradfahrer. Einfach so. Du hast kein Auto. Mit dem Motorrad fährst zur Arbeit, einkaufen und in Urlaub. Einfach so. Nichts an der Tatsache, dass du Motorradfahrer bist, ist Pose. Du fährst von A nach B weil du dort hin musst und wieder zurück. Einfach so. Korrekt.
(+20 S, +20 U)

Du bist ein Wochenendbiker. Wetter toll, SMS- oder Telefonkette, schon geht's los. Es gibt euch nur in der Mehrzahl. Eure Bikes sind gewienert und nur Bettnässer haben keinen Sportauspuff z.B. von Sebring - Lärm gehört einfach dazu - es ist soo wichtig, dass der Sound richtig geil ist. Wenn ihr dann in 25er-Gruppen beim ersten Sonnenstrahl des Jahres tosend die Straßen verstopft, ist es dann nicht putzig mit anzusehen, wie die Autofahrer mit den offenen Fenstern sich schmerzverzerrt die Finger ins Ohr stecken oder hastig die Scheibe heraufkurbeln? Das Leben ist schön, ihr seid lässig. Bei Regen - pfui! - wartet ihr unter Brücken. Später im Biker-Café lasst ihr voll lustig die Sau raus.
(-10 S, -20 U)

Du bist ein Café-Biker. In sechsfarbiges Leder gehüllt, lässt du am Wochenende mit Freunden deine vollverkleidete Eierbecher-Reisschüssel (in den gleichen Farben wie deine Montur) an einem einschlägigen Biker-Café sehen, nachdem du fast 12 Kilometer zurückgelegt hast, um dorthin zu gelangen. Breitbeinig in Pose schlürfst du deinen neunten Cappuchino und glotzt der Bedienung auf den Arsch. Mit deinen Kumpels führst du nur knallharte "Benzingespräche", egal, ob ihr Mädels dabei habt oder nicht. Beim ersten Anzeichen von Schlechtwetter geht’s ohne Umweg wieder heimwärts, die Karre putzen und den Luftfilter reinigen. Abends gibt's noch aus der Frittenschmiede.
(+5 S, -5 U)

Du bist ein Urlaubstourenbiker (I). Wochenlang planst du mit Freunden für deinen Urlaub die diversen Alpenpässe und Routen mit ADAC-Kartenmaterial von 1964. Dein Motorrad klappert, so hast du mehr Werkzeug, Öl und Panzer-Tape dabei als alles andere. Auf deiner Tour hast du Zeit und Muße, auch mal was von Land und Leuten zu genießen, zumal die Krampe, die vorneweg fährt, jeden Abzweig verpasst. Du lebst auf fragwürdigen Campingplätzen von billigem Tüten-Rotwein.
(+10 S, +5 U)

Du bist ein Urlaubstourenbiker (II). Wochenlang planst du mit Freunden für deinen Urlaub die diversen Alpenpässe und Routen. Das Internet hat als Informationsmedium längst vergilbendes Kartenmaterial abgelöst. Dein Motorrad ist das Beste, das es für Geld zu kaufen gibt, deine Montur ist eine Ritterrüstung der Sicherheit. Helmfunk und Sateliten-Navigation runden das Erlebnis ab. Auf deiner Tour hast du Zeit und Muße, auch mal was von Land und Leuten zu genießen, inklusive Hotelübernachtungen, Kulturprogramm und diversen Kulinaria aus dem Online Guide Michelin.
(+10 S, +10 U)

Du bist ein Rocker. Autos sind nur was für Lappen, du hast nie eins besessen. Dein Bart weht im Fahrtwind. Auf deiner Kluft prangt ein Aufnäher wie "Hell's Angels", "The Living Dead" oder "Ghostrider", das Leder ist ein jahrzehntealtes Biotop. Zusammen mit dem WK II-Stahlhelm, der knatternden Harley mit dem Chopper-Lenker und den ganzen versteckten Waffen bist du eine One-Man-Army. Dich macht keiner an. Deine Reisegeschwindigkeit ist etwa 10 km/h schneller als ein Trecker. Auf dem Weg von Herne-Wanne nach Wanne-Eickel verdrückst du fünf Dosen Bier.
(+10 S, +10 U)

Du bist ein Flachschädler. Dein „Helm“ ist ein sogenanntes „Braincap“, eine winzige Schüssel, die nur den oberen Teil deines Kopfes schützt. Damit zeigst du allen, was dir dein Gehirn im Falle eines Unfalls Wert ist. Deine auf Hochglanz polierte Harley scheint fast vollständig aus Chrom zu bestehen. Jeder, der dich breitbeinig auf deiner Karre sitzen sieht, denkt sofort unwillkürlich „Affe auf Schleifstein“. Dein Auspuffrohr hast du weitestgehend ausgeräumt, nun ist der Sound der Maschine deinem Ego angemessen. Und was du von deinen Mitmenschen hältst, dröhnst du auf deinem gesamten Weg mit der Lautstärke eines scheiss Presslufthammers heraus, denn du bist ja DER VERDAMMTE DONNERGOTT!!!
(-35 S, -35 U)


Du bist ein sog. "Streetfighter". Wenn dein barbarisches "YAWP!" über den Hügeln erschallt, während die Drehzahlnadel rechts aus dem roten Bereich wieder herausdreht, zeichnet eine am Motorrad installierte Videokamera alles auf, damit du ins Netz stellen kannst, was du doch für ein knallharter und ultracooler Triple-X-Typ bist. Verzerrt rauschen 30, 50 und 70 Schilder am Bildrand vorbei. Andere Verkehrsteilnehmer oder gar Passanten lässt du in Schreckstarre einfach stehen. Wenn du dich dann bretzelst, Gliedmaßen an Leitplanken zurücklassend wie abgebrochene Blinker, wirst du nicht ohnmächtig, sondern du lächelst, weil dein Zusammenflicken die Solidargemeinschaft der Krankenkassen übernimmt, ebenso wie die komplette Prothetik. Außerdem hast du im Krankenhaus und in der Reha endlich mal Zeit, ein paar neue, aufregendere Stunts zu planen. Du bist also der Typ von Sozialschmarotzer, der in keiner Statistik auftaucht. Und solltest du dein unfasslich aufregendes Leben doch einmal aushauchen, gehe nicht alleine, nimm einfach ein paar Unbekannte mit!
Sicherlich wird ein um dich trauernder Mensch am Straßenrand ein Kreuz aufstellen, auf dem völlig verrückterweise auch noch "Warum?" steht.
(-50 S, -50U)


Ergebnis der Verträglichkeitsstudie (Dalai bis Dschinghis):

S = Sozialverträglichkeit
bis 20 oder mehr: Du bist der Dalai Lama des Bikens!
bis 10 oder mehr: Du bist echt sozialverträglich
Null: Naja, denk' nochmal drüber nach
-10 oder weniger: uuh... !
viel weniger: Würg! Hauptsache du hast deinen Spaß, Dschinghis!

U = Umweltverträglichkeit
bis 20 oder mehr: Umweltengel des Bikens!
bis 10: echt umweltverträglich
Null: denk' nochmal drüber nach
-5 oder weniger: uuh... !
viel weniger: Würg! Na denn, nach dir die Sintflut, Dschinghis!


Dienstag, 4. Oktober 2011

Autowaschanlage

http://bit.ly/nC20cs
Auch wenn man ein kleines Auto fährt, wird es mal arg schmutzig. In meiner Mittagspause bin ich dann zur Tanke gefahren und habe mir die Autowaschangebote mal angesehen. Sieben Waschprogramme rangen um meine Gunst. Bürstenwäsche, Unterbodenwäsche mit Unterbodenkonservierung, Felgenreinigung, Wachsauftrag mit Sonderwachs, Schaumpolitur, Trocknung mit Glanztrockner. Ich wählte das Programm, das ich mir leisten konnte und bekam ein Zettelchen mit einer sechsstelligen Codenummer. Ich trollte mich.

Mit dem Wagen an der Waschstraße stellte ich fest, dass ich nicht der einzige war, der auf die grandiose Idee gekommen war, sein Auto in der Mittagspause waschen zu lassen, ich stellte mich an. Mit dem Codezettelchen in der Linken stiegt ich aus. Die Gelegenheit war günstig: Ich durchstöberte das Wageninnere nach Abfall und warf zwei Hände voll in den nahen Mülleimer.
Den Rest der Wartezeit versuchte ich das Wetter zu genießen (angesagt: Sonne, 27°C, tatsächlich: bedeckt, 12°C).
Als ich an der Reihe war, stellte ich meinen Smart in Position, ging zu dem Bedienpanel mit den Zifferntasten herüber und starrte auf meine Linke mit dem Zettelchen. Die Hand war leer. Blitzartig entschlüsselte der großartige Verstand, der nicht einmal in der Lage war, fünf Minuten auf ein kleines Zettelchen aufzupassen, die Vorgänge. Mein Blick wanderte zu der Mülltonne.
Jubilate!
Angelegentlich scharwenzelte ich zu der Mülltonne und warf einen unauffälligen Blick hinein. Nun, nur hineinzulinsen würde definitiv nicht reichen! Und die Augenzeugen dieses Vorgangs zu eliminieren würde auch kein leichtes Unterfangen werden!
Ich wühlte also in einer Mülltonne. Dabei hatte ich in den 80ern nicht einmal eine Clochard-Hose besessen! Ich fischte sechs unterschiedlich zerknüllte Codezettelchen heraus und ging wieder zum Panel.
381 654 war eine Niete. 729 062 auch. 667 382 übrigens ebenso. Ach ja: 110 299 auch. Und 447 381 überraschenderweise auch.
Ich ging wieder zur Tonne. Die zahlreichen Augenzeugen starrten auffällig unauffällig, als ich mich wieder in den Unrat hinabbeugte und unter Kippen, Asche, runtergerockten Kokos-Duftbäumchen und Getränkeverpackungen weitere Zettelchen hervorkramte.
Die Glückszahl lautete übrigens 772 861.
Danke Gehirn!

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Mittwoch, 28. September 2011

Sperrmüll

Wie alles begann...
Über zwei Wochen vor dem Sperrmülltermin reichte ich in persona bei der Stadt Radevormwald eine Sperrmüllkarte ein. Ich ließ die Verwaltungsfachangestellte ihren Blick darüber schweifen, sie nickte wohlwollend nach eingehender Prüfung und gab die Karte in die Hauspost.
Misson completed!
Einen Tag vor dem Sperrmüllabholtermin stellte ich den Krimskrams fein säuberlich auf den Bürgersteig. Einen Stuhl. Einen Mülleimer. Ein paar Gardinenstangen. Zwei Badezimmerschränkchen. Eine Stehlampe. Kleinkram eben.
Am Abend begann die Transformation.
Kleinlaster mit Ruhrgebietsnummernschildern cruisten die Straßen entlang. Glutäugige Männer sprangen heraus, griffen sich Metallgegenstände und alles, was ein Kabel hatte. Passanten streiften herum und grofelten angelegentlich durch die Auslagen. Aus meiner Wohnung hörte ich noch bis nach Mitternacht Scharren, Wühlen und das Umkippen von Dingen.
Am morgen hatte sich die Szene dramatisch verändert.
Wenn überhaupt war nur noch die Hälfte meines ursprünglichen Krempels vorhanden. Der Stuhl war weg, die Stehlampe, die Badezimmerschränke, dafür war jetzt eine mit grünem Schleim versiffte zweisitzige Rattancouch dazugekommen und ein zur Hälfte weggefaulter Küchenschrank. Ein stockfleckiger Karton mit angebranntem Plastikspielzeug stand schief oben drauf, wie eine Anklage. Dreiviertel der Breite des Bürgersteiges waren bereits blockiert
Na ja.
Ich fuhr zur Arbeit. In der Zwischenzeit würde der Sperrmüll dem Spuk schon ein Ende machen!
Ich kehrte heim.
Es sah aus wie ein Kriegsschauplatz! Man hatte den Krempel überall in der Straße abgeholt, nur bei  mir nicht, tolle Wurst! Dafür waren untertags noch eine bis zur Unkenntlichkeit verrostete Schubkarre und ein paar Farbeimer dazugekommen.
Ich rief bei der Stadt an.
Uh, hmm, man könne jetzt wirklich nicht alle Sperrmüllkarten durchgehen. Ob ich mir denn sicher sei, eine Karte ausgefüllt zu haben.
Ja-haa!!!
OK, nächste Woche wird der Sperrmüll ganz sicher abgeholt, versprochen, vielen Dank für Ihren Anruf.
Hurra...

Die kommende Woche verging wie im Fluge. In den dunklen Stunden der Nacht klimperten Ghoule und Zombies durch den immer minderwertiger werdenden Ramsch. Sie rissen sich das eine oder andere unter den Nagel und hinterließen im Gegenzug ihren seit Jahren in feuchten Kellern vor sich hinfaulenden Mist wie z.B. drei verwesende Teppiche.
Schon Mittwochnacht fand sich ein Liebhaber für die arg leprösen Bodenbeläge, dieser hinterließ freundlicherweise im Gegenzug etwa eine Tonne Schrott aus alten Flippern.
Der Donnerstag brachte sechs Müllsäcke voller Troll-Nierensteine und einen vor Jahrzehnten mit irgendeiner Küste kollidierten Fischkutter namens "Malaria III".
Freitag kamen 4 leckende Atommüllfässer dazu und ein abgebrochener Mammutstoßzahn.
Die Ghoule holten sich nachts zwei der Atommüllfässer und rissen dabei wohl versehentlich die Säcke mit den Troll-Nierensteinen auf, diese hatten sich in den Vorgarten ergossen.
In den Nächten darauf kam es zu weiteren Transaktionen. Die "Malaria III" verschwand auf Nimmerwiedersehen zusammen mit dem letzten Atommüllfass, dafür entledigte sich jemand seiner etwas syphilitisch wirkenden Schrumpfkopfsammlung, etwa 150 Stück. Die Hälfte der Troll-Nierensteine fanden ihre Abnehmer, dafür kippte mir jemand eine Wanne Fischeingeweide und zwei Roswell-Alien-Kadaver in den Vorgarten. Ich wurde samstags um 5.00 Uhr morgens vom Gekreische der Möwen geweckt.
Die Möwen waren recht gründlich, dafür kackten sie alles voll.
Am Sonntag ging es ruhiger zu.
Montag bereits hatte das Ordnungsamt die Straße halbseitig gesperrt, rot-weißes Flatterband schlänzelte im Wind, eine Baustellenampel regelte den Verkehr im Zweiminutentakt. Als ich Montagabend die Rollläden herunterließ, erhaschte ich einen Blick auf Mulder und Scully, die mit Taschenlampen im Vorgarten nach Alien-Überresten suchten.
Nach einer weiteren unruhigen Nacht kam der große Tag!

Ich fuhr zur Arbeit.
Ich kehrte heim.
Argh!
Natürlich hatten die Stadt-Schergen nur den gröbsten Krempel mitgenommen.
Ich werde 20 Pfund Troll-Nierensteine, 32 Schrumpfköpfe, den abgebrochenen Mammutstoßzahn und einen abgenagten Alien-Schädel wohl bei eBay verticken müssen.
Falls jemand Interesse hat, bitte melden (an Selbstabholer).

P.S.: Die Preziosen riechen etwas nach Fisch.

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Sonntag, 26. Juni 2011

Queen Mom 6 - halb zwei

Freitag rief ich de Mutter (84) an, wegen de wöchentlichen Einkäufe mit ihr, die ausnahmsweise mal am Samstag stattfinden sollten.
"Ich muss Samstag bis eins arbeiten. Ich bin dann um halb zwei bei dir."
"Ja, is gut!", sacht de Mutter.
Wir beenden dat Gespräch.
Et Telefon schellt, de Mutter is dran.
"Hörma, sach nochmal, wann du komms. Et war eben so laut hier", sacht se.
OK...
"Also ich komm um halb zwei, also um 13.30 Uhr", sach ich langsam und mit Bedacht.
"Ich habbet aufgeschrieben", sacht de Mutter.
Gut!

Samstag.
Ich hab Feierabend, fahr zu de Mutter, komm pünktlich um halb zwei an.
"Wat wills du denn schon hier?", fracht se. Se hatte sich grade wat hingelegt.
"Wie?"
"Ja, du hatts doch ne ganz andere Zeit gesacht", behauptet se.
"Nee, nee!"
"Doch, ich hattet in dem Augenblick, wo du dat gesacht hattest, aufn Zettel geschrieben!"
"Ach? Und wo is de Zettel nu?", frage ich.
Mutter sucht nachm Zettel.
"De Zettel is wech!", ruft se.
Sherlock Sohn schaut angelegentlich auf den kleinen Stoß Altpapier. Da liegt ein Abreißblockzettelchen, säuberlich mittig beschriftet mit einer einzigen, singulären Information: "1/2 zwei"
"Hier steht et: halb zwei!", ruf ich der im Wohnzimmer suchenden Mutter zu.
Mutter: "Nee, dat is nich der Zettel!"
"Wie...?"
So richtich fassungslos kann mich nur meine Mutter machen.
"Nee, nee!", sacht se und sucht in ihrem Notizblock, bis sie einen Zettel findet, auf dem von - wissen die Götter wann - "1/2 sieben" steht.
"Dat isser!", behauptet se steif un fest.
"Et ist doch wunderbar, dat du dich gar nich irren kanns!", sach ich hintergründig.
Queen Mom ignoriert huldvoll den ironischen Beiklang.
"Du has dich vertan - dat kann doch passieren!", sacht se versöhnlich - un meint dat völlig ernst.

Dank jahrzehntelanger Meditation nehm ich et mit der Gelassenheit von ner Hindu-Kuh. Freundlicherweise fährt se trotzdem mit mir Einkäufe machen.
Da hab ich sowat von Schwein gehabt!

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Freitag, 17. Juni 2011

ru24 Special: Camping*

*) ein aufpeitschender Erlebnisbericht aus dem Jahre 2004

"Zelten?", fragte eine Arbeitskollegin, "das macht man doch nur mit 14!"
Quatsch. Das ist nach den ganzen gestylten, All-Inclusive-Pauschalurlauben in DomRep oder MeckPomm, die aus Kostengründen dann doch nicht stattgefunden haben, genau das Richtige.
Camping bei Petten, Nordholland (Link).
Jetzt mußte man nur noch das Equipment bei Freunden zusammenschnorren.
Tipp: Wenn die einem sagen: "Die Luftmatratze müßte eigentlich in Ordnung sein", auf jeden Fall dankend ablehnen.
Nicht so ich.
Was für ein Spaß!

KINDER.
Ein Spaß ist es, wenn man sich an Freunde mit Kindern hängt. Da wird schon die Hinfahrt mit dem Auto zum Abenteuer, wenn die beiden Jungs bei der Rast mit der Kinderversion des Klappspatens den mittlerweile klo-losen und verwahrlosten Grenzübergang BRD/NL umbuddeln, derweil die Erwachsenen zwischen Flohknöterich, Spitzwegerich und Wiesenschaumkraut urinieren, ein Omen, wie sich zeigen sollte. "Können wir jetzt fahren?" – "Neiiin!" Die geben nicht eher Ruhe, bis sie vergammelte Drogen gefunden haben.
Jede Familie, die campt, hat mindestens drei Kinder. Gegen Abend kehrt dann auch langsam Ruhe ein, die Zeit zwischen Grillen und der Kinderzubettgehzeit wird nur hie und da durch schrilles Schreien aus der Ferne unterbrochen. Das wird emittiert, wenn z.B. in Reihe M der kleine Jantje (5) während des Kartenspiels im Kreise der Familie beim Mau-Mau mischen mit dem Kopf zwischen die Karten gekommen ist.
Abends Punkt 22.30 Uhr werden die übermüdeten Recken mit viel Überredungskunst in die Kinderschlafsäcke bugsiert. Kurz drauf dröhnt Bibi & Benjamin in der Lautstärke eines startenden Airbus aus 1.200 Walkmen – alle Knöpfe auf 10 – voll auf die Ohren: Die schöne Tradition der Gutenachtgeschichte mit Auto-Reverse, bis die Batterien ihren Geist aufgeben.
Die Kleinen haben mit der Masche sogar ein apokalyptisches Gewitter verpennt. Ich nicht.
Überraschung für den kinderlosen Singlemann: Kinder sind irgendwie ganz anders als die Miniatur-Erwachsenen, als die ich mir sie immer vorgestellt habe ...

WETTER.
03.10 Uhr Regen, das Zelt hält, die geliehene Luftmatratze ist nur noch bei 33%. 08.15 Uhr Wind, das Zelt hält, 10.20 Uhr Sonne, Frühstück im Freien, beim zweiten Brötchen (Salami ist wasserabweisend, ich Fuchs!) wieder Regen – und ich habe kein Drei-Wetter-Taft dabei. Witterung ohnehin allenthalben. Vor dem Frühstück, während des Frühstücks, nach dem Frühstück. Das lehrt Demut. Jetzt hockt man im Zelt und überlegt sich, was draußen wohl aus den zurückgelassenen Sachen wird: Den Lederschläppkes, den Brötchen, der Tasse Kaffee.
Neuer Tag, neues Glück. Sturm ab 6.00 Uhr, die Zeltwand drückt einem ins Gesicht, die strukturelle Integrität des Zelts liegt noch bei 12%. Gott, ich hab' zuviel Star Trek gesehen. Als ich vom Duschen wiederkomme, ist die Integrität meines Zelts im Arsch. Plunder, aus dem verbogene Stangen ragen, die lustig im Wind flattern (Windstärke 7 beaufort). Haha! Was für ein Spaß. Aber dafür hat man ja Freunde: Die halten einen davon ab, den Sprit-Ersatzkanister drüber auszugießen und den ganzen Klumpatsch so irgendwie fast im Affekt anzustecken. Plötzlich bin ich als Taifunbetroffener auf die Hilfe von Pater Rodriguez, der Mutter Theresa von Asien, angewiesen (Blogbeitrag).
Neidisch hocke ich im VW LT eines Nachgereisten und genieße den Luxus der Schönen und Reichen in einer beruhigenden Decefix-Atmosphäre aus Kieferholzimitat im Inneren. Vor allem kann man trocken und windstill sitzen.

CAMPER.
Vor x-tausend Jahren wurde im alten Ägypten der Stuhl erfunden. Dann kam später in Europa sogar der Heilige Stuhl dazu. Was Menschen von heute wohl dazu bewegt, wieder am Boden herumzukriechen? Wahrscheinlich das Zeugs aus der Marlboro-Werbung: "A warm camp fire, a hot pot of coffie and a good smoke" – klar, das gibt's alles – teilweise exklusiv – hier in Holland.
Allerdings leben hier auf dem Campingplatz 90% der Camper luxuriöser und komfortabler als 90% der Weltbevölkerung in ihren regulären Wellblech- und Pappe-Behausungen. Denn der Campingplatz sieht nur auf den ersten Blick aus wie ein Slum. Der deutsche Profi-Camper an sich nämlich beherrscht die Lage. Die professionalisierten Heeresverbände benutzen mittlerweile Ausrüstungsgegenstände aus Mylar, Kevlar, teflonbeschichteten Arachnidfasern und Gore-Tex mit Lotosblüteneffekt. Gelkissen. Gasgrill (mit piezoelektrischem Zünder), Grill-Mikrowellen-Kombi, elektrische Kaffeemühle, Satellitenantenne und Mückenverdampfer sind bereits unterste Standards.
Nur der Gelegenheits-Camper kann sich mit seinem von Freunden zusammengeschnorrten Equipment vorstellen, wie es wäre, auf einem fremden Planeten notgelandet zu sein.
Oder zumindest in einem Flüchtlingslager zu leben.
Doch zwischen zwei Wolken räkelt man sich wohlig in der Sonne. Die Frage ist: Wer macht den nächsten Kaffee? Auf diese existentielle Frage schrumpft nach wenigen Tagen das gesamte Universum des Gelegenheits-Campers zusammen. Lässig mit der Tasse in der Hand grüßt man die von gottweißwo heimkehrenden Nachbarinnen.

NACHBARN.
Natürlich gibt es auch beim Camping Nachbarn. Der Nachbar an sich, so zu Hause, ist normalerweise die Geißel der Menschheit (Blogbeitrag). Hier, unter freiem Himmel, am Busen der Natur ist der Nachbar hingegen ein Kamerad, ein Wettermitleidender, ein Slum-Mitbewohner, der Nächste aus der Bibel.
Man kann sich gegenseitig Tipps geben, wie man Zelte aufbaut, welche Dusche in welchem der Duschhäuser den sattesten Strahl hat, oder sich gegenseitig informieren, dass die Frittierfischbude mit dem Kibbeling wieder da ist.
Und: Man kann Nachbarn zu einem Wein einladen, ohne daß man gleich aufräumen, saugen und fensterputzen muß.
Unsere beiden wirklich netten Nachbarinnen und Wettermitleidenden aus Ingolstadt kamen auch mal auf einen Wein vorbei, wurden aber von unserem aus der Heimat nachgereisten Besuch (der mit dem VW LT) dermaßen brachial mit der Methode "guter Bulle/böser Bulle" verhört (er: "Ich unterhalte mich doch nur!"), daß sie den Rest der Zeit erst spät nachts auf den Campingplatz zurückschlichen und sich im dunklen Zelt zur Kommunikation nur Zettelchen mit einem phosphoreszierenden Stift schrieben, damit niemand sie hörte oder sah.
Schade.

HYGIENE.
Viele Männer sind der Überzeugung, daß 300m zum Klohäuschen eine Zumutung sind und zeigen auch ihrer nachwachsenden Chauvi-Brut, wie man prima neben das Zelt ins Gebüsch pinkelt. In zwei Wochen werden hier Harnsteinkristalle wie Dornen aus dem Gesträuch ringsum wachsen, Ruhr und Cholera ausbrechen.
Doch es gibt auch Lichtgestalten wie mich, die immer zur Toilette gehen. Für jede verstreichende Stunde, die nach der rituellen Reinigung der Klohäuschen durch brachiale Reinigungsfachkräfte ins
Land gezogen sind, legen die Herren ein weiteres Schamhaar auf den Rand des Pissoirs, wie eine säuberliche Strichliste. In diesem Augenblick mußte die letzte Reinigung hier bereits sieben Stunden her sein.
Die Duschen laufen genau 5 Minuten im Warmwassermodus, der Umwelt zuliebe, haben aber eine Zwischenstopp-Taste. Wenn man sich im Zwischenstopp-Modus zu lange einseift, springt die verbleibende Restzeit auf Null. Nur kann ich als Schaummonster nicht raus aus der Dusche, der Umwelt zuliebe. Da tappt man dann frierend 5 Minuten bis zum nächsten Reset der Uhr in Fußpilzgefilden herum und flucht, Pustefixbläschen ausstoßend.
Nach einigen Tagen ist man abgehärtet. Das Immunsystem läuft eh jenseits des roten Bereichs auf Vollast. Dinge, die im richtigen Leben sofort Krätze, Herpes oder Pilzinfektionen verursachen würden, werden fast schon nicht einmal mehr ignoriert. Man schmiert sein Brötchen mit einem Messer, das tagelang nur zwischen ungewaschenen Fingern unter einem Wasserhahn gereinigt wurde, an dem das Schild "Kein Trinkwasser" bereits weggefault ist. Der Pappteller ist ebenso weich wie das Brötchen und krustig von den Generationen der Mahlzeiten, die über ihn hinwegzogen wie lepröse Heuschreckenschwärme. Sand knirscht zwischen den Zähnen. Die Kinder nuckeln kauend wahlweise mit Ketchupschnute oder Nutellamündchen an Flaschen und rülpsen nach Jungenart dabei hinein. Haha! Ihr lustigen Kinder! Schwebstoffe reichern sich an. Doch man ist bereits jenseits des Ekels.
Schmeckt gar nicht übel. Irgendwie isotonisch.
Auch gibt es interessante Hygiene-Projekte: Ein Löffel, der in einem Topf mit Raviolis steckt, wird in der Sonne binnen Stunden zu einer Einheit verschweißt – so was kann doch keine Sau ahnen. Oder: Die Kleinen sammeln halbtote Krebse und Muscheln am Strand, die dann in einem Eimerchen an der Hecke neben dem Zelt dumpf vor sich hin wesen, wie ein maritimes Zombieheer.
Lockt wahrscheinlich Aasfresser und Insekten an.

TIERWELT.
Insekten ohnehin allenthalben. Wespen: Schleierhaft bleibt, was the fuck alle Wespen in meinem linken Ohr suchen, zumindest grofeln sie drin herum. Natürlich sagen die dann noch allen anderen schwarzgelben Tussis in ihrer Papier-
WG bescheid. Das mit meinem Ohr. Der Trick ist still halten. Cool bleiben. Leider kennen die Wespen den Trick nicht und stechen trotzdem. Die Invasion der fliegenden Ameisen startete Dienstag um 18.00 Uhr MEZ.
Libellen brausen herum wie aufgeregte Helikopter. Ameisen in der Margarine, Ohrenkneifer im Zelt, im Gebüsch irgendein stechendes Mistzeug, abends umschwirren Motten die Gaslampe und Mücken die unbedeckten Stellen der Körper – natürlich entzünden sich die Stiche. In den heidekrautbegrünten Dünen hingegen perfekt getarnt: Freilaufende, urwüchsigste Rinder, die den Beweis ihrer Existenz nur indirekt durch Fladen antreten, die an Jurassic Park gemahnen.
Und dann der Campingplatz als Ornithologen-Paradies: Völlig enthemmte Amseln laufen einem um die Beine, wie es nur völlig enthemmte Amseln können. Möwen stochern im Morgengrauen in Müllsäcken wie Ratten mit Stechahle: POK! - POK! Tauben rülpsen ihr geistloses Gru-hu -- gru-hu -- gru-hu, Elstern knattern im Gebüsch, Krähen 'singen' ihr Krah! – Krah!
Nach 2 Tagen kann man durch ein Wunder sogar bei dem ganzen Irrsinn schlafen.
Das einzige, was man hier gegen Vögel unternehmen kann, ist: jede Menge Kipfrikandeln essen.

KÖRPER & GEIST.
Kipfrikandel. Kip ist Hühnchen. Sieht aus wie eine schlecht selbst gebastelte Zigarre. Schmeckt wie grobe Currywurst. Enthält nur Fett, gemahlene Hühnerköpfe und Hühnereingeweide. Gar nicht übel. Dazu Pommes mit Pindasauce (Erdnußsauce) und eine Limo namens Rivella oder ein flesje Dubbel Frisss witte druiven & citroen, allesamt mit lustigen Zutaten.
Der Himmel ist in Holland.
Als Nachtisch ist im Supermarkt (SPAR – Haha!) ein Produkt mit Roombotter (Rahmbutter) auszuwählen, wie z.B. diese extrem zart schmelzenden Käsekuchenklontjes. Oder Flamingos, grell flamingofarbene Küchlein, die komplett aus E-Zutaten (E332, E373 etc.) gebacken werden. Nachmittags macht man Halt an einem Fischwagen. Frituur, so weit das Auge reicht. Hier ißt selbst Frau Antje nur noch Fisch am Stück, natürlich in der typisch enthemmten Auf-Ex-Fischreiher-Pose. Zwei Familienboxen Kibbeling für insgesamt 10 EUR mit der guten, gelben Mayo sind für die Körper der gesamten Reisegruppe jetzt wie ein Ölwechsel, hmm!
Der Himmel ist in Holland.
Dann vielleicht noch auf die ganze Glückseligkeit einen Koffie verkeerd – Milchkaffee (Parkeren verkeerd ist, wenn man so wie ich sieben Tage auf dem Kurzparkerparkplatz steht). Abends Ravioli und/oder Grillgut. Ab 18.00 Uhr liegt ein dichter Rauchschleier über dem Campingplatz. Papas benutzen die Luftmatratzenpumpe, um die Glut anzufachen, schmelzen dabei die Plastiktülle, die Kinder zündeln. Irgendwann ist fertig. 1.200 Camper verdrücken dann binnen 20 Minuten das Getier eines kompletten Bauernhofs im Erstschlag. Dazu ein Grolsch. Später Käseflips (Cheetos) oder abgefahrene Kartoffelchips mit Hühnchenaroma. Oder Käsewaffeln.
Der Himmel ist in Holland.
Der Körper hingegen ist mittlerweile eine Baustelle aus Blessuren, Abschürfungen, Schwellungen die teilweise entzündlich nässen von diversen Insektenstichen und -bissen, Rötungen von der sporadisch vorbeihuschenden Sonne. Ob das da an den Füßen jetzt wirklich Fußpilz wird, bleibt abzuwarten.
"Gib mir mal bitte was von dem Grolsch oder von dem Rotwein, ... jaja, ruhig in die Kaffetasse."

Fazit: Für all das läßt man doch jeden Pauschalurlaub glatt sausen!
Und völlig korrekt, liebe Kollegin: Zelten macht man nur mit 14.

Und so schließt sich elegant der Kreis.


Mehr "camping" gibts noch hier: Kügelchen, Urlaubserinnerung.


Donnerstag, 9. September 2010

Camping - eine Erinnerung an den Urlaub


camping
Originally uploaded by twicepix
Es ist 6.58 Uhr, ich erwache mit einer Blase groß wie ein Ytong-Stein.
Mein stummer Schrei ist Hoffnungslosigkeit.

Ich prüfe meinen Rücken, er ist vorhanden, scheint sogar intakt. Ich kann meine Beine bewegen, ein gutes Zeichen. Die vergangene Nacht war eine Melange aus Schlafphasen, Schlafsacküberhitzung und unzugedecktem Frieren. Ich bleibe liegen und gehe im Geiste die 27 Schritte durch, die notwendig sind, um notdürftig bekleidet zum Sanitärhaus zu gelangen. Der Aufwand ist zu beträchtlich, als dass ich danach noch ein Auge zu machen würde, da kann ich auch gleich duschen gehen.

In der Hocke und gebeugt geht die Suche nach quasi Allem los: Brille, grasfleckige Hose, irgendwelche selbstklebenden Socken, Schläppkes, müffelndes Handtuch, Kulturbeutel. Fast alles verbirgt sich geschickt vor dem verschleierten Blick des Suchenden. Die volle Blase ist ein Fanal. Ich öffne ächzend den Zeltreißverschluss, krieche in unwürdiger Pose aus dem Zeltinneren ins sandige Vorzelt. Dreck scheuert, Steine aus dem Untergrund bohren sich brachial durch den Zeltbodens in meine Knie. Winselnd schließe ich den nun hinter mir liegenden Reißverschluss.
Ich richte mich auf, provisorisch, frühen Primaten in nichts nachstehend.

Draußen auf der Bank sitzt Bernd vor einer Blechtasse mit schwarzem Kaffee, er raucht eine Selbstgedrehte. Er sieht so aus wie ich mich fühle. Ich gurgle ihm einen Gruß zu. Sein Grunzen ist nicht zu interpretieren.

Ich wanke gen Sanitärhaus, den kiloschweren Kulturbeutel in der Rechten, das Handtuch über die Schulter geworfen.
Auf dem Campingplatz ist bereits ein reges Treiben aus Radfahrern, Hundehaltern, Brötchentütenheimkehrern – dem ganzen Frühaufsteherpack.
Ich erreiche die Toilette.
Es ist als hätt‘ der Himmel, die Erde still, geküsst.
Dann ist da sogar eine freie Duschkabine.
In den Fußpilzgründen des Vorgängers herumtappend, entkleide ich mich, platziere das Duschgel in der Duschkabine. Ziehe mich aus. Beim Aufdrehen des Hahns stelle ich fest, dass der Duschkopf fehlt. Ich ziehe mich an. Der Vorraum der einzigen anderen Dusche, die frei ist, steht daumendick unter Wasser. Was bleibt mir übrig? Ich nehme den Abzieher und beseitige die Überschwemmung gen Gully. Dabei tauchen dann diverse Voodoo-Haarstrünke auf, die die grauen Fluten gnädig verhüllt hatten.

Ich dusche.
Viel zu spät merke ich, dass ich mal wieder keine frische Wechselwäsche dabei habe. Herrgott, ich kann doch nicht an alles denken!
Die Luftfeuchtigkeit liegt bei 100%, das Abtrocknen ist ein vergebliches Unterfangen. Zumindest habe ich mit dem gammligen Handtuch mal alle Mückenstiche angeregt, sich zurückzumelden.
Quasi nass zwänge ich mich in die bereits hochfragwürdige Kledage zurück. Klamm schmiegt sie sich an mich. Mindestens eine Socke, die Unterhose und ein Hosenbein saugen sich zusätzlich voll mit der Pfützen-Sutsche von Dutzenden meiner Vorgängern, da kann ich machen was ich will.

Als letztes presse ich die Duschgelflasche in den mit Kosmetikartikeln bis zum Rand vollgestopften Kultur-Beutel zurück. Natürlich rattert jetzt die elektrische Zahnbürste los, so dass ich alles neu sortieren muss, damit es überhaupt passt. Auch noch nass rasieren geht heute mal gar nicht - wie die letzten Tage auch…

Ich fliehe diesen Ort.
Der Himmel hat sich zugezogen, der böige Wind bläst bereits die ersten Ausläufer des Regens auf meine Brille.
Ich fluche gotteslästerlich.

Der fünfte Tag beim Camping – und die Kultur ist komplett den Bach runter.






Dienstag, 24. August 2010

ru24 History 19: Attila (1996)


Vacuum Cleaner
Originally uploaded by twicepix
Anno 1996 wohnte ich in einer 2er-WG zusammen mit Lutz. Lutz gehörte die Wohnung, er hatte sie von seinen Eltern geerbt. Ich war damals ein »so genannter Student« (Soziologie), hatte wahnsinnige Skills in Doom, Quake und Commander Keen, schrieb Kurzgeschichten. Den Lebensunterhalt bestritt ich mit einem 20-Stunden-die-Woche-Studentenjob.
Natürlich war ich zu Hause, als Attila schellte.
»Guten Tag, Vorwerk!«, sagte der Vertreter durch den Türspalt. Er war wie ich etwa Ende 20.
»Ja, hi!«, sagte ich wenig begeistert, »Der, dem der Sauger gehört, ist gerade nicht zu Hause!«, ergänzte ich. Damit war eigentlich alles gesagt.
»Ach, egal!«, freute sich Mr. Vorwerk und stand in der Wohnung - seine Skills waren forciertes Aussagen-ignoring und extreme Wohnungsbetreting.
»Hörma, wir sind doch ein Alter, ich bin der Attila!«, kumpelte er.
»Henning«, stellte ich mich etwas zurückhaltend vor. Mit gekonnten Handgriffen baute er seinen mitgebrachten Staubsauger um, flanschte eine gefährlich aussehende Rotationsbürste an. Nun nötigte er mich, mit dem wohnungseigenen Sauger ein Stück Teppich abzusaugen. Dann machte er sich rasant mit seiner dollen Aufsatz-Bürste über das gleiche Stück Bodenbelag her. Im Anschluss demontierte er sein Gerät, entnahm ein Tuch, dessen weißpudrigen Inhalt er mir auf den Küchentisch klopfte.
»Da! Dat is alles Milbenkacke, Mann!«
Puh!
Zickezacke Milbenkacke!!!
Ich wurde ihn wieder los, indem ich ihm steckte, dass meine Freundin zehn neue Staubsaugerbeutel benötige. Ich gab ihm ihren Namen und die Adresse. Er komme »die Tage« mal vorbei, sagte er.
Puh!
Abends saß ich mit meiner damaligen Freundin Bärbel in ihrer Wohnung mit Schinkenstullen vor der Glotze, als es plötzlich schellte.
Die Tür flog auf - Attila!
»Henning!«, rief er erregt, stürmte auf mich zu, herzte mich, wie man vielleicht seinen aus jahrelanger Kriegsgefangenschaft wohlbehalten heimkehrenden Bruder in die Arme schließt. Wenn man Italiener ist.
Er vertickte die Beutel, drückte sicherheitshalber auch die verdatterte Bärbel, hinterließ seine Karte und verschwand.
»Wie lange kennste DEN denn schon?«, fragte sie fassungslos.
»Äh, seit heute Nachmittag 14.00 Uhr«.


Donnerstag, 5. August 2010

ru24 History 18/Medien 7: Aktenzeichen XY... ungelöst (1974)

An einem Freitagabend um 20.15 Uhr im November 1974 kam mal wieder "Aktenzeichen XY... ungelöst - Eduard Zimmermann berichtet über ungeklärte Kriminalfälle".
Es ist ein Familien-Fernsehabend vor dem Schwarzweissfernseher.
Sobald die "spannende Musik" von Aktenzeichen XY... ungelöst" beginnt, bin ich sowas von ungelöst. Kaum erträgliche Spannung für einen Siebeneinhalbjährigen! Mit einem Abreißblockzettel und einem Bleistift in der schweißnassen Faust sitze ich wie gelähmt auf meinem Sessel, Auge in Auge mit dem echten Verbrechen! Aber in meiner Eigenschaft als Junior-Privatermittler würde ich meinen Teil dazu beitragen!
Zuerst werden Fotos von üblen Verbrechervisagen voller Backenbärte, Jaruzelski-Brillen und wirklich fieser Scheitel gezeigt: "Im Zusammenhang eines Raubüberfalls ging es in der letzten Sendung um zwei Männer, von denen der Polizei diese Aufnahmen vorliegen, sie aber die Namen nicht kennt. Sachdienliche Hinweise ... ."

Dann kommt es zum ersten Fall:
Am Morgen des 12. Juni 1973 machten Spaziergänger einen grausigen Fund. Es handelte sich um die grausam zugerichtete Leiche der 53-jährigen Emilie Brambecke aus Burgkunstadt. Die erfolgreiche, alleinlebende Speditionskauffrau wohnte im nahen Redwitz an der Rodach, wo sie in ihrer Freizeit ihrer Leidenschaft nachging: Dem Sammeln von Orienteppichen - eine Leidenschaft, die ihr zum Verhängnis werden sollte, wie wir heute wissen."
Ich blicke zum Wohnzimmerteppich.
"Papa, so wie der?", frage ich mit bebender Stimme.
"Ja, so ähnlich", bestätigt mein Vater abwesend.
Gottogott!!!
Meine Faust klammert sich noch fester um den Bleistift.
Dann kommt eine "Riffelglas-Wischblende", die einen Standortwechsel symbolisiert. Jetzt war der Zuschauer sechs Stunden vor der Tat mit Frau Brambecke im Büro ihrer Spedition. Sie verabschiedet sich von den Angestellten, um in den Urlaub zu fahren.
"Was die bei ihren Angestellten beliebte Frau Brambecke jetzt noch nicht ahnen konnte, war, dass sie diese heute zum letzten Mal sehen sollte. Diese Verabschiedung war für immer."
Mutter: "Nä! Et is ne Schlechtigkeit inner Welt!"
Ich bibbere.
Frau B. fährt nach Hause. Sie wundert sich doch sehr über den nahe ihrer Einfahrt geparkten Transporter mit Münchner Kennzeichen. Ich notiere mir auf dem Zettel das Autokennzeichen mit dem Bleistift: "M-CH 99", dabei drückt sich das Muster des grünen Cordsessels durch.
Dann werden wir Augenzeugen, wie Frau. B. von schwarz gekleideten Grobianen chloroformiert wird. Im Anschluss schleppen sie Orientteppiche, Frau B. und dann weitere Orientteppiche in den Transporter.
Ein betroffener Eduard Zimmermann schaut in die Kamera.
"Wir vermuten, dass Frau Brambecke nach dem Aufwachen starke Gegenwehr geleistet hat. Was nun folgt, ist mit normalem Menschenverstand nicht zu erklären."
Gottogott!!!
Einer der ermittelnden Kommissare ist im Studio, wird vorgestellt: Walther Kaschewski von der Kripo Schweinfurt. Kaschewski klammert sich an sein Konzeptpapier, als hinge sein Leben davon ab. Er ist dick, schwitzt. Er trägt einen schrecklichen Anzug und hat sein verbliebenes Haupthaar von rechts nach links über die Glatze gekämmt. Silbe für Silbe liest er vom Blatt ab, wodurch er sich anhört wie ein Roboter: "Wer hat diese Hartkäsereibe der Marke 'Hügli Grati Express' schon einmal gesehen?"
Ich hatte genug!
Ich drücke Papa den Zettel mit der Autonummer in die Hand.
"Du rufst da gleich an, ja?", sage ich mit bebender Stimme.
Papa nickt feierlich.
Der Junior-Privatermittler geht nach getaner Arbeit freiwillig zu Bett.

Schon in früher Kindheit habe ich so etliche Kriminalfälle lösen können, einfach, indem ich die Nummernschilder der im Film gezeigten Täterfahrzeuge notiert habe.


Montag, 2. August 2010

ru24 History 17: Kriminell! (1975)

Etwa 1975 entdeckten wir durch die Nachbarschaft stromernden Kinder (durchschnittlich acht Jahre alt) im Altmetallcontainer eines kleinen Unternehmens einen Schatz: Der Container war gefüllt mit tausenden, aus Blechen herausgestanzten, kreisrunden Scheiben von ca. 2 cm Durchmesser. Wir kletterten in den Container und spielten Dagobert Duck.
Soviel sei gesagt: Eine Gelddusche ist - anders, als in den Lustigen Taschenbüchern dargestellt - kein Vergnügen!
Kaum waren wir Jungs in diesen hohen Gefilden der Großfinanz angekommen, entwickelten wir sofort ein beträchtliches, kriminelles Potential - also wie im richtigen Leben! Es dauerte nämlich nur ein paar Minuten, bis es raus war, dass diese Scheiben die gleiche Größe und Dicke hatten wie 10-Pfennig-Stücke (Groschen). Es dauerte weitere zehn Minuten, bis klar war, dass diese Scheiben problemlos in Kaugummiautomaten passten.
Wir schaufelten uns die Taschen mit Metallscheiben voll und schwärmten aus, zum Alptraum aller Kaugummiautomatenbetreiber zu werden!
Muahahaha!!!
Nach zwei Stunden taten uns allen die Kaumuskeln weh. Unsere Wangen waren ausgebeult von den titanischen, kittartigen Klumpen in unseren Mündern, unsere Lippen hatten rote, grüne, gelbe und blaue Ränder. Unsere Spucke war anthrazitfarben.
Wir Kinder hatten einige perfekte Tage.
Freitagabends saß ich mit den Eltern im Wohnzimmer, es kam "Aktenzeichen XY ... ungelöst" und während eines spektakulären Falles von in Umlauf gebrachten Falschgeldes schoss es mir plötzlich wie Eiswasser durch meine Adern!
Ich! Hatte! Falschgeld! In! Umlauf! Gebracht!
Und meine verdammten Fingerabdrücke waren überall - ich hatte ja nicht einmal Handschuhe getragen!
Mein Herz schlug mir bis zum Hals! Im Geiste hörte ich schon Eduard Zimmermann sagen: "Bei unserem nächsten Fall bittet die Kripo Gummersbach um Ihre Mithilfe. Hier geht es um einen besonders dreisten Fall von Falschmünzerei in Tateinheit mit einer noch nie dagewesenen Kaugummiautomaten-Plünderung!"
Die nächsten drei Nächte wälzte ich mich hin und her, statt zu schlafen.
Meine Tage verbrachte ich damit, mir auszumalen, wie der Kaugummiautomatenleerer von einem grauen Münzfernsprecher mit Wählscheibe aus die Polizei anruft und dann die Spurensicherung vor Ort das Gelände absperrt.
Wie oft erscheint so ein Kaugummiautomatenleerer? Einmal wöchentlich? Einmal monatlich?
Wie viel Zeit blieb mir noch?
Wie lange würden die anderen Jungs beim Verhör standhalten, diese Luschen?
Und sicher gab es Augenzeugen.
Es gab immer Augenzeugen!
Natürlich würde ich dafür in den Knast kommen, das war eine Gewißheit!!!
...

Nun, ich bin noch einmal davongekommen.
Aber es war sehr knapp.
Um ein Haar hätte bis zur Verjährung der Straftat 10 Jahre mit einer anderen Identität in einem südamerikanischen Land ohne Auslieferungsvertrag (z.B. El Salvador) untertauchen müssen.



Donnerstag, 22. Juli 2010

Queen Mom 3 - Johanniter-Hotel


hospital meal
Originally uploaded by Rooney.
Queen Mom (82) war wegen Atemnot ins Krankenhaus eingeliefert worden.
Mein Bruder und ich wechseln uns mit den Besuchen ab.
Jedesmal bevor ich sie besuche, bekomme ich noch einen Anruf meines Bruders, was ich Muttern wohl noch von zu Hause mitbringen soll (neben "Körperseife" und "Leibwäsche"): eine Hartkäsereibe (die mit dem roten Griff), ein Vogelhäuschen (das Geschindelte, nicht das Gelbe), eine spätassyrische Bodenvase (die mit den geflügelten Löwen), die Altölwanne (türkis, die mit dem "abben" Griff).
Mittlerweile sollte sie fast alles da haben. Den kompletten Haushalt. Ein wenig fürchte ich den Tag ihres "Auszuges" aus dem Krankenhaus, da brauche ich mindestens einen Miettransporter. Und vielleicht sechs Helfer mit Sicherheitsschuhen und Latzhosen. In ihrem Spind auf dem Krankenzimmer geht es mittlerweile zu wie in Mary Poppins' Tasche. Nicht nur der ausgestopfte Tukan stört ein wenig.

Wenn ich sie besuche, klopfe ich an der Krankenhauszimmertür, meine Mitbringsel auf dem Arm.
Knock, knock.
Grabesstille dringt mir aus dem Inneren entgeben.
Knock! Knock!
Nichts.
BOOM!! BOOM!!!
Nix.
Ich öffne die Tür. Die Bettnachbarin meiner Mutter, eine ebenso alte Dame, sitzt direkt an der Tür auf der Bettkante und schaut mich an.
"Hallo!", sage ich.
"Ach so!", sagt sie.
Keine Ahnung, warum sie nie "Herein" sagt, sie hört eigentlich ganz gut.
Muttern ist auf der Toilette, ich warte.
Sie erscheint, wir begrüßen uns, ich überreiche ihr die Mitbringsel.
Muttern legt sich mit ihrem gebügelten Nachthemd auf ihrem Krankenhausbett in Position. Die Rückenlehne ist hochgestellt wie bei einer Récamière. Mineralwasser, Glas, Zeitschriften liegen parat.
"Haben die Ärzte was gesagt?", frage ich.
"Oh ja!", freut sie sich.
"Äh, und was?"
"Da waren fünf Ärzte, und einer von denen hat geredet wie ein Wasserfall!", begeistert sie sich.
"Ja, und was hat er so gesagt?", frage ich.
"Ja, so Fachwörter!"
Ach so...
"Aber heute morgen war ein Mädchen da, das hat mir die Füße gewaschen!"
"Toll!"
Mutter legt sich zurück, entspannt und irgendwie urlaubs-erholt, sie trinkt einen Schluck Mineralwasser und schaut aus dem Fenster. Sie genießt das Leben der Schönen und Reichen im Johanniter-Hotel.
Es sei ihr gegönnt.
"Ach, der Frank soll mir beim nächsten Mal, wenn er vorbeikommt, die Entenlockpfeife mitbringen!"
Geht klar.