Samstag, 29. Mai 2010

Unterwegs für den National Geographic, Teil 2


soup, Otavalo, Ecuador
Originally uploaded by lumierefl
Eine ehemalige Kollegin, Petra, war in den späten 80ern mit einem National Geographic-Fotografen unterwegs in den Anden, um im Rahmen einer Reportage über von der Außenwelt völlig abgeschiedene Dörfer zu berichten. Sie fuhren mit dem Jeep, bis es nicht mehr weiterging. Dann schulterten sie ihre nicht unerhebliche Ausrüstung und stiegen in der dünnen Luft bergan, einem Ziegen- oder Lamapfad entlang.
Das Dorf, über das sie berichten wollten, erreichten sie erst nach Anbruch der Dunkelheit. Und da die Bergbewohner recht abergläubisch waren und man aus dem Dunklen auftauchenden Fremden mit noch mehr Argwohn begegnen würde als ohnenhin, beschlossen sie, auf einem kargen Stück Brachland außerhalb des Dorfes zu übernachten. Mit wenigen Handgriffen schlugen sie ihr silbernes Zelt auf, eine futuristische, geodätische Kuppel (Link) aus modernsten Werkstoffen.
Am Morgen erwachte Petra ausgeruht, doch etwas störte sie. Zuerst konnte sie es gar nicht ermitteln, was sie eigentlich störte. Dann begriff sie: Es war zu ruhig. Unheimlich ruhig. Nicht einmal ein Vogel zwitscherte.
Sie weckte den Fotografen.
Mit angehaltenem Atem lagen sie in ihren Schlafsäcken nebeneinander im Zelt. Sie lauschten in eine unnatürliche Stille hinein, die war, als halte die Welt ebenso den Atem an wie sie selbst.
Sie griffen sich ein Herz und spähten durch einen 10 cm weit geöffneten Reißverschluss hinaus.
Das Dorf hatte sich versammelt.
Dort draußen saßen alle Dorfbewohner. Männer, Frauen und Kinder bildeten ein Amphitheater aus 150 herbeigeschafften Stühlen und beobachteten in äußerster Konzentration das außerirdische Artefakt, das in der Nacht neben ihrem Dorf niedergegangen war.
Der Reißverschluss wurde wieder geschlossen, mehr Luft wurde angehalten.
Irgendwann trauten sie sich heraus aus dem Zelt.
Sie, die Attraktion seit Jahrzehnten, wurden begafft.
Man lächelte angelegentlich und etwas verlegen ins Rund, wie Stars, die ihren Text vergessen hatten. Petra zuckte mit den Schultern, kramte ihre Zahnbürste hervor, gab Zahnpasta drauf und fing an, sich neben dem Zelt die Zähne zu putzen.
Die Zuschauer raunten staunend, dann begannen die ersten zu lachen. Die Kinder rissen sich von ihren Müttern los und rannten herbei, der allgemeine Frohsinn wurde zu Ausgelassenheit. Die Menschen drängten heran, in wilder, fast unstillbarer Heiterkeit liefen ihnen die Tränen über die Wangen vor Lachen.
Niemals zuvor hatten diese Menschen jemanden gesehen, der sich mit einer winzigen Bürste so schnell und so lange im Maul herumfuhrwerkte, bis er Schaum spuckte, als sei er tollwütig!
Das Eis war gebrochen, sie wurden sehr gut aufgenommen.

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