Sonntag, 16. September 2012

Bürogeplänkel 37 - Activmen: Niemand muss ertrinken

bit.ly/Nw7OFK
Die in meiner Firma arbeitenden Damen (in ihrer Gesamtheit "Antjes" genannt) absolvierten mindestens einmal jährlich erfolgreich eine Tour (zweitägige Planwagenfahrt, 12-stündiges Schuh-Shopping, etliche Likörchen durcheinander, Hihi!, Filmriss). Da wollten die Herren der Schöpfung natürlich nicht hinten anstehen und schufen die "Activmen". Konsequent falsch geschrieben sollten sich unter diesem Banner die Herren des Unternehmens versammeln, um eine Riesenmenge Spaß zu haben!
Und was hatten wir für einen Spaß - z.B. "Kanufahren auf der Sieg". Noch heute schrecke ich manchmal aus Träumen hoch, einen gurgelnden Schrei auf den Lippen...

Die Sieg.
Wir waren vorbereitet. Jeder hatte einen gut verknoteten und somit wasserdichten Müllsack mit Wechselwäsche dabei. In einem sehr ruhigen Knick der Sieg, der mehr etwas von einem Teich als von einem Flüsschen hatte, konnten wir erste Erfahrungen mit dem Kanu-Paddeln machen. Es klappte so mittel. Wir lernten, wie man ein Kanu lenkt (der hinten sitzende steckt das Paddel hinter sich ins Wasser und drückt es in die eine oder andere Richtung). Ich konnte nur 'links'. Wir lernten, dass man die unruhigen Stelle im Wasser immer da zu passieren hat, wo die meiste Gischt ist. Röngdöng, Probezeit vorbei, wir fahren los!
Äh...
Die Jungs sprangen in die Kanus, ich gelangte zu dem, in dem bereits Raimund und Schleuti saßen. Mein Platz war plötzlich hinten - der des Lenkers.
"Ich kann nur links!", sagte ich.
"Haha, geht schon!", freuten sich die Jungs.
Wir fuhren los. Alles klappte ganz vorzüglich, bis wir an die erste unruhige Stelle kamen, so ca. 400 m weiter.
"Henning, re-hechts!!!", brüllten die beiden.
"Spacken, ich kann nur li-hinks!", schrie ich zurück.
Das Kanu legte sich quer zur Strömung und kenterte. Raimund blieb vorsichtshalber mit dem Fuß im Kanu hängen, Schleuti lag auf ihm, das die Strömung einfangende Kanu drückte beide noch zusätzlich unter Wasser, das hier etwa hüft-tief war. Raimunds schaffte es mit größter Mühe, seinen Kopf über Wasser zu halten. Nach einer Weile sagte er den Satz. Artikuliert. Sachlich. Für alle verständlich. Denn es ist nicht die Sache des Stoikers, in x-beliebigen Situationen auch nur ansatzweise Contenance und Besonnenheit vermissen zu lassen. So auch hier:
"Wenn der Schleuti jetzt mal von mir runter geht, dann muss auch niemand ertrinken."
Wie aus dem Lehrbuch!!!
"Für den Stoiker als Individuum gilt es, seinen Platz in [der] Ordnung [der Dinge] zu erkennen und auszufüllen, indem er durch die Einübung emotionaler Selbstbeherrschung sein Los zu akzeptieren lernt und mit Hilfe von Gelassenheit und Seelenruhe zur Weisheit strebt." (Wikipedia)
Chapeau!
Am Ende saßen wir tropfnass im Kanu und fuhren weiter. Etwa weitere 400 m später rasteten die "Activmen" in einem Knick. Wir hatten ja schließlich insgesamt schon das 0,8-fache eines Kilometers zurückgelegt! Ein nicht kanufahrender Kollege (Dieter) hatte freundlicherweise Bierbänke aufgebaut, es gab K-Salat und Würste - hey! Schleuti hatte sich die nassen Sachen ausgezogen und die Trockenen aus seinem Müllsack angezogen, nicht die weiseste Entscheidung, wie sich beim sofortigen Kentern bei der Weiterfahrt zeigen sollte.
Und so ging der Spaß immer weiter.
Paddel, paddel, paddel.
"Rechts!", "Re-hechts!!!"
"Spacken!"
*kenter*
usw., usf.
Irgendwann wechselten wir gnädigerweise die Boote, ich saß plötzlich vorne bei Felix in einem Zweierkanu, wenigstens ging jetzt auch 'rechts'.
Paddel, paddel, paddel.
Paddel, paddel, paddel.
Ächz.
Paddel, paddel, paddel.
Paddel, paddel, paddel.
Argl.
Paddel, paddel, paddel.
Paddel, paddel, paddel.
So langsam hatte ich dann auch mal genug gepaddelt.
"Felix, wie lange ist denn noch?", fragte ich mit brennenden Armen nach hinten zum Steuermann.
"Och, so das erste Fünftel haben wir!", freute sich Felix.
Paddel, paddel, paddel.
Paddel, paddel, paddel.
*kotz*
Am rechten Flussufer kam ein Ausflugsrestaurant in Sicht. Alle Plätze direkt an der Sieg waren vollständig besetzt.
"Felix, wir fahren jetzt mal rechts ran!"
Ich stieg aus, klemmte mir meinen Müllsack unter den Arm.
"Viel Spaß noch, ich trink mir hier nen Cappu, wenn ihr fertig habt, könnt ihr mich ja abholen."
Felix paddelte wie ein Duracell-Häschen von dannen.
Ich, der ich tropfnass den Fluten entstieg, wurde von den die Außengastronomie weidlich nutzenden Herrschaften angestarrt.
"Tach!", sagte ich in die Runde und ging auf die Toilette, um mich umziehen.

Ich kann mich erinnern, irgendwann in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts während einer Pest-Epidemie mehr Spaß gehabt zu haben, als bei dieser Paddelei auf der Sieg.