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Überraschend traf ich in meiner alten Heimatstadt nach einer wirklich langen Zeit einen (fast schon ehemaligen) Bekannten wieder. Er schien sich bester Gesundheit zu erfreuen und strahlte mit perfekt gebleachten Zähnen über das ganze Gesicht. Sein Händedruck zermalmte meinen Mittelhandknochen. Schnell stellten wir fest, dass wir uns tatsächlich Mitte 1999 das letzte Mal begegnet waren - vor unglaublichen 15 Jahren!
"Und, was hast du in der Zwischenzeit erreicht?", fragte mich der Strahlemann ernstlich.
Ich erstarrte sicher eine geschlagene Minute lang.
WTF war das denn für eine Frage?
Nun, obwohl (oder vermutlich gerade weil) ich Sparkassenkunde bin, fiel bei mir die Konsumgütervergleichsparade "mein Haus, mein Auto, mein Boot" (Werbung 1999) eher bescheiden aus [zur Miete, Smart, kein]. Dass ich immer Müll getrennt hatte und meinen CO2-Ausstoß mit der Anschaffung des Smart gegenüber des Vorgängermodells hatte halbieren können, galt sicher nicht. Auch schien die Antwort "innere Ruhe" oder "größere Gelassenheit" hier nicht anzukommen. Dies hier war ein reiner Schwanzvergleich des Materiellen!
Da stand ich nun, ich armer Tor: Keine Exfrauen, keine Kinder, keine Pleite gegangenen Firmen, keine Gläubiger, keine Steuerfahnder an meinen Fersen, keine gebauten und dann wieder zwangsversteigerten Häuser, keine Tierart ausgerottet -- Grundgütiger, mit der Frage hatte er mich richtig erwischt!
"Ich werde nächstes Jahr heiraten!", sagte ich stolz.
Er machte ein sauertöpfisches Gesicht, knurrte Unverständliches. Unbewusst hatte er seinen Ringfinger ergriffen und spielte mit der blassen Stelle, an der noch Wochen oder Monate zuvor sein Ehering gesessen hatte. Ich verstand.
"Ich habe einen Roman geschrieben und ihn veröffentlicht", wechselte ich das Thema.
"Und, rocken die Abverkäufe?"
"Äh, ich bevorzuge den Terminus 'moderat', was die Verkaufszahlen angeht."
Er schaute mitleidig, interessierte sich auch nicht für das Genre, hier ging es um Reibach.
"Meine Neue ist noch in den Zwanzigern, die hält mich richtig auf Trab! Hab sie beim Krafttraining kennengelernt", prahlte er. "Der geile Schlitten da hinten", er deutete mit dem Daumen über seine Schulter, "wird bei 250 Sachen elektronisch heruntergeregelt - haha!, und meine neue Firma rockt so dermaßen, dass ich unter 80 Stunden die Woche da nicht rauskomme! Aber mach bloß 'nen Ehevertrag, meine Exfrauen saugen mich aus wie scheiß Vampire!"
Armer Kerl.
So viel Stress.
Und das mit Ende 40.
Genug geprahlt.
"Alles Gute!", sagte ich, "Bis 2029!"
"Jo!", lachte er, setzte dynamisch über die Straße und zwängte sich mit seinen 1,90 m in einen unbequem aussehenden silbernen Mercedes SL 350, schoss davon, Gummi lassend. Mein Blick folgte dem Wagen. Auf der Heckscheibe stand in Riesenlettern: "Scheidung 2014".
Ich glaube, wir taten uns beide sehr leid.
Bis 2029 wünsche ich Freund Sonne mehr "innere Ruhe" und "größere Gelassenheit".
Und mir wünsche ich ein ausgeglichenes Girokonto.