photo credit: cannedmoods.com via photopin cc |
1993 sind wir zu viert (zwei Pärchen) in einem Fiat Uno von Wuppertal aus nach Ungarn an den Plattensee gefahren. Wie wir das Gepäck ins Auto bekommen haben, ist mir bis heute ein Rätsel.
(1) Sprache. Die Ungarische Sprache "gehört zum finno-ugrischen Zweig der uralischen Sprachfamilie". Damit ist im Grunde schon alles gesagt. Entweder man spricht ungarisch (alle Ungarn), oder man spricht es nicht (alle Anderen). Hier der völlig unmerkbare Grundwortschatz: Link. Alternativ kann man in Ungarn das absolut universelle Wort "höz" verwenden. Es ist kurz, leicht zu merken, bedeutet eigentlich nichts, geht aber quasi immer: "Höz?" - "Höz!"
(2) Geographie. Der Plattensee wird von den dort Ansässigen "Balaton" genannt und ist 79 km lang. Er ist der größte Binnensee Mitteleuropas und einmal komplett von Straße umgeben. Das ist sehr wichtig, denn auf welchem anderen großen Rundkurs hätten die ständigen Hochgeschwindigkeits-Verfolgungsjagden zwischen Fiat-500 Polizeifahrzeugen und den vorneweg rasenden rostigen Škodas sonst auch stattfinden sollen? Meistens schaffen sie 3 Runden in knapp über sechs Stunden, bis einem von beiden unterwegs der Sprit ausgeht.
Lohnenswert ist ein Besuch der im Nordosten des Sees gelegenen Stadt Székesfehérvár wegen ihres barocken Stadtkerns. Und, weil es so ein tolles Wort ist.
(3) Natur. Der Plattensee ist an vielen Stellen noch ein Stück unberührter Natur. Er ist schilfumstanden und die Heimat zahlreicher Tier- und Pflanzenarten. Wir standen schon bis zu den Waden im Wasser, als wir die Wasserschlange auf uns zu schlängeln sahen. Um das Biotop dieses possierlichen Reptils (und aller seiner vielleicht auch größeren Freunde) nachhaltig zu schützen, zogen wir uns blitzartig, fast schon hektisch aus selbigem zurück und machten keinen zweiten Versuch, baden zu gehen.
(4) Wetter. Das Wetter innerhalb der Saison ist fantastisch! Sobald allerdings die Saison beendet ist, regnet es Bindfäden und die Temperatur sinkt auf 11°C (Tag) und 9°C (Nacht). Da bei uns der dritte Tag des Urlaubs bereits in die Nachsaison fiel, war es schlagartig vorbei mit dem 30°C-und-blauer-Himmel-Bombenwetter. Allerorten wurden die den Touristen willkommen heißenden "ÜDVÖZÖLJÜK"-Schilder abmontiert, etliche Läden und viele "Paprika Csárdas" geschlossen und verrammelt.
Wir verbrachten viel Zeit in der Wohnung mit lesen und Scrabble spielen. Einer meiner Höhepunkte des Urlaubs war es, auf einen 3-fachen Wortwert das Wort B3E1Q10U1E1M3 gelegt zu haben.
(5) Unterkunft. Anfangs waren wir begeistert von der Ferienwohnung. Bald aber begriffen wir, dass unsere Vermieter, um uns diesen Luxus möglich zu machen, mit einer vierköpfigen Familie plus Riesenschnauzer "Rocco" nun in der schmalen Garage hausten. Später entdeckten wir, dass jeder Bilderrahmen in der Wohnung ein Dummy-Bild enthielt. Darunter kamen die Wohnungsinhaber als Brautpaar und Familienbilder zum Vorschein. Immer wenn sich einer der ihren umständlich unter dem Garagentor hervorschlängelte, dann packte uns das schlechte Gewissen. Wir waren deutsche Besatzer!
(6) Essen und Trinken. Jedes Lokal am Plattensee ist eine "Paprika Csárda". Heißt das Lokal abweichend davon, dann ist es lediglich eine getarnte "Paprika Csárda". Freundlich heißt man Hungrige dort mit "Üdvözöljük!" willkommen. Zu essen gibt es Gulasch, Spießchen, Schnitzel, dazu als ausschließliche Beilage Pommes Frites. Auch wenn sie es auf der deutschen Karte "Bratkartoffeln" nennen, sind es trotzdem immer Pommes Frites. Es gibt im Umkreis von 50 km um den Plattensee keine andere Beilage als Pommes Frites, so will es die ungarische Verfassung. Als Getränk trinkt man hier ein hervorragendes Bier namens "Soproni", welches in der ungarischen Stadt Sopron gebraut wird. Der Soproni-Slogan lautet "Hozzánk tartozik!", darauf schreien alle gleichzeitig laut "Höz!" und erheben ihr Glas.
(6b) Gastronomie abseits des Tourismus. Bei unserem Abstecher nach Székesfehérvár kehrten wir in ein Lokal ein. Wir bestellten mit Händen und Füßen eine Grill-Platte für vier Personen und bekamen ein absurdes Gebirge aus Grillfleisch und natürlich Pommes, über das man sitzend nicht hinwegsehen konnte. Acht Eisenbieger hätten das nicht verdrücken können. Dazu floss das Soproni in Strömen. Die Rechnung war nicht der Rede wert.
(7) Teufelsgeiger. Jede "Paprika Csárda", die etwas auf sich hält, hat einen eigenen Teufelsgeiger. Es handelt sich hier um einen traditionell gewandeten Herrn, ein Meister der Violine. Anfangs, vor allem von den Damen geschätzt, spielt er traditionelle ungarische Weisen, weist aber schon hier während des Spiels mit phantastisch gelenkigen Augenbrauen darauf hin, dass er für seine Virtuosität gerne den einen oder anderen Geldschein (Währung: Forint) zugesteckt bekommen möchte. Ignorieren die Gäste das leichtsinnigerweise, beginnt der Maestro, den Spendenunwilligen exklusiv ins Ohr zu spielen. Dabei simuliert er in rasender Abfolge "quietschende Zugbremsen", "Rückkopplung eines Mikrofons", "Fingernägel auf Schiefertafel" und "Styopor an Styropor", wieder und wieder, das alles bei über 65 Dezibel. Der Virtuose unseres Stammlokals kam zu einigem Wohlstand in jenen Tagen.
Schon nach kurzer Zeit suchten wir gezielt nach Etablissements ohne erpresserisches Element.
Fazit. Wer einen an Anekdoten reichen Urlaub erleben möchte, der sollte in der Nachsaison an den Balaton fahren, es lohnt sich!