Donnerstag, 5. August 2010

ru24 History 18/Medien 7: Aktenzeichen XY... ungelöst (1974)

An einem Freitagabend um 20.15 Uhr im November 1974 kam mal wieder "Aktenzeichen XY... ungelöst - Eduard Zimmermann berichtet über ungeklärte Kriminalfälle".
Es ist ein Familien-Fernsehabend vor dem Schwarzweissfernseher.
Sobald die "spannende Musik" von Aktenzeichen XY... ungelöst" beginnt, bin ich sowas von ungelöst. Kaum erträgliche Spannung für einen Siebeneinhalbjährigen! Mit einem Abreißblockzettel und einem Bleistift in der schweißnassen Faust sitze ich wie gelähmt auf meinem Sessel, Auge in Auge mit dem echten Verbrechen! Aber in meiner Eigenschaft als Junior-Privatermittler würde ich meinen Teil dazu beitragen!
Zuerst werden Fotos von üblen Verbrechervisagen voller Backenbärte, Jaruzelski-Brillen und wirklich fieser Scheitel gezeigt: "Im Zusammenhang eines Raubüberfalls ging es in der letzten Sendung um zwei Männer, von denen der Polizei diese Aufnahmen vorliegen, sie aber die Namen nicht kennt. Sachdienliche Hinweise ... ."

Dann kommt es zum ersten Fall:
Am Morgen des 12. Juni 1973 machten Spaziergänger einen grausigen Fund. Es handelte sich um die grausam zugerichtete Leiche der 53-jährigen Emilie Brambecke aus Burgkunstadt. Die erfolgreiche, alleinlebende Speditionskauffrau wohnte im nahen Redwitz an der Rodach, wo sie in ihrer Freizeit ihrer Leidenschaft nachging: Dem Sammeln von Orienteppichen - eine Leidenschaft, die ihr zum Verhängnis werden sollte, wie wir heute wissen."
Ich blicke zum Wohnzimmerteppich.
"Papa, so wie der?", frage ich mit bebender Stimme.
"Ja, so ähnlich", bestätigt mein Vater abwesend.
Gottogott!!!
Meine Faust klammert sich noch fester um den Bleistift.
Dann kommt eine "Riffelglas-Wischblende", die einen Standortwechsel symbolisiert. Jetzt war der Zuschauer sechs Stunden vor der Tat mit Frau Brambecke im Büro ihrer Spedition. Sie verabschiedet sich von den Angestellten, um in den Urlaub zu fahren.
"Was die bei ihren Angestellten beliebte Frau Brambecke jetzt noch nicht ahnen konnte, war, dass sie diese heute zum letzten Mal sehen sollte. Diese Verabschiedung war für immer."
Mutter: "Nä! Et is ne Schlechtigkeit inner Welt!"
Ich bibbere.
Frau B. fährt nach Hause. Sie wundert sich doch sehr über den nahe ihrer Einfahrt geparkten Transporter mit Münchner Kennzeichen. Ich notiere mir auf dem Zettel das Autokennzeichen mit dem Bleistift: "M-CH 99", dabei drückt sich das Muster des grünen Cordsessels durch.
Dann werden wir Augenzeugen, wie Frau. B. von schwarz gekleideten Grobianen chloroformiert wird. Im Anschluss schleppen sie Orientteppiche, Frau B. und dann weitere Orientteppiche in den Transporter.
Ein betroffener Eduard Zimmermann schaut in die Kamera.
"Wir vermuten, dass Frau Brambecke nach dem Aufwachen starke Gegenwehr geleistet hat. Was nun folgt, ist mit normalem Menschenverstand nicht zu erklären."
Gottogott!!!
Einer der ermittelnden Kommissare ist im Studio, wird vorgestellt: Walther Kaschewski von der Kripo Schweinfurt. Kaschewski klammert sich an sein Konzeptpapier, als hinge sein Leben davon ab. Er ist dick, schwitzt. Er trägt einen schrecklichen Anzug und hat sein verbliebenes Haupthaar von rechts nach links über die Glatze gekämmt. Silbe für Silbe liest er vom Blatt ab, wodurch er sich anhört wie ein Roboter: "Wer hat diese Hartkäsereibe der Marke 'Hügli Grati Express' schon einmal gesehen?"
Ich hatte genug!
Ich drücke Papa den Zettel mit der Autonummer in die Hand.
"Du rufst da gleich an, ja?", sage ich mit bebender Stimme.
Papa nickt feierlich.
Der Junior-Privatermittler geht nach getaner Arbeit freiwillig zu Bett.

Schon in früher Kindheit habe ich so etliche Kriminalfälle lösen können, einfach, indem ich die Nummernschilder der im Film gezeigten Täterfahrzeuge notiert habe.