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Sonntag, 14. Dezember 2014

ru 25 history 51: Telefonieren

photo credit: Nostalgia ! via photopin (license)
Von 1974 an gab es für "günstiges Telefonieren" den sog. "Mondscheintarif" (Wikipedia). Der führte ab 18.00 Uhr zu Schlangen an den Telefonzellen und allgemein zu so hohem Gesprächsaufkommen, dass ganze Ortsnetze nicht mehr erreichbar waren. Deshalb schaffte ihn die Post 1980 wieder ab -- wegen des großen Erfolges. Is klar. Später gab es ihn dann unter der Bezeichnung Moonshine-Tarif wieder. Die Spinner.
Das Telefonieren kostete zwischen dem 3. Januar 1980 und Heiligabend 1988 werktags von 8–18 Uhr 0,23 DM je 8 Min und die übrige Zeit 23 Pf je 16 Min.
Liebe Post: Das waren ja je nach Uhrzeit 7,5 oder 3,75 Takte die Stunde zu je 0,23 DM, was 1,73 DM oder 0,86 DM entsprach -- das habt ihr Penner doch mit Absicht gemacht, dass sich das kein Schwein merken oder nachvollziehen konnte, oder?
In den 80ern haben wir auf jeden Fall immer Hektik am Telefon gemacht. Denn keinesfalls durfte nämlich die Telefonrechnung zu Hause die magische Grenze von 50,00 DM pro Monat überschreiten, sonst wäre Tango gewesen. Dann wäre ein Wählscheibenschloss ans Telefon gekommen, wie immer gedroht wurde.
Die Telefonnummern meiner Freunde, die von Tante und Oma und die von zu Hause hatte ich alle im Kopf -- Kunststück, die Telefonnummern meiner Kindheit waren allesamt vierstellig. Wir hatten zu Hause 5411. Am grünen Wählscheibentelefon im Wohnzimmer meiner Eltern wählte ich die 4 ratratratrat, 3 ratratrat, 0 ratratratratratratratrat, 3 ratratrat. Und nach dreimal schellen (und es war eine "Schelle") hatte ich im Idealfall meinen Kumpel Michael am Telefon, oder seine Mutter, die mich dann weitergab. Wir verabredeten uns in der Stadt und wenn einer von uns beiden mal nicht pünktlich am Treffpunkt war, dann wartetet man eben so lange, bis der andere aufschien. Niemand wäre auf die Idee gekommen, jetzt in schneller Folge vier oder fünf Postkarten rauszuhauen, Inhalt: "Wo bleibst du?" und 17 Sekunden später: "Ich warte seit 5 Minuten!"
Die Wartezeit verbrachte man stattdessen damit, Ortsfremden, die mit ihrem 5 kg schweren Autoatlas von 1972 nicht weiterkamen und mit ihrem 1969er Opel Rekord am Rand hielten, den Weg zur Landessportschule zu erklären.
Irgendwann kam der Kumpel dann auch mal angeschlappt auf seinen Adidas Allround.
Und wenn nicht, dann ging man eben wieder nach Hause.


Montag, 31. Oktober 2011

ru24 History 26: Frau Hübner (1973-76)

http://bit.ly/uXuddi
Zwischen 1973 und 1975 bin ich in die Städtische Grundschule Radevormwald gegangen. Meine Mom ist damals die ersten Male mitgegangen, kurz drauf durfte und musste ich alleine zur Schule gehen. Mein kurzer Schulweg (290m, keine Straßenüberquerung, Link) führte mich an einer Postfiliale, einer potentiell spannenden Polizeiwache und dutzenden Metern Jägerzäunen vorbei, die je nach Jahreszeit stark nach Carbolineum (Teeröl, Link) rochen, das heute nicht mehr in dem Maße eingesetzt werden darf wie damals. Wäre ich 30 Jahre später geboren worden, hätte mich meine Mom die Winzstrecke wahrscheinlich jeden Morgen und Mittag mit dem SUV gefahren, was heute ja allgemein zum guten Ton gehört (Blogbeitrag).
Meine Grunschullehrerin war Frau Herma Hübner, in meiner Erinnerung sieht sie aus wie ein Ally McBeal-Double - Anfang bis Mitte 30 mit hohen hellbraunen Lederstiefeln, die die knorpeligen Knie freiließen, gelbem Minikleid und Außenwelle. Meine MitschülerInnen hießen Anja, Dorothée, Heike, Arif, Ralph "mit ph" und Georg (Link). Und da 1967 ein sehr geburtenstarker Jahrgang gewesen war, platzte die Klasse mit 40 Schülern aus allen Nähten. Da wurde es auch schon mal laut und es ging recht hoch her. Wenn Frau Hübner meinte, genug geschrien hatte, stellte sie sich in Anwesenheit der Klasse auch schon mal ans offene Fenster neben das Lehrerpult und rauchte sich eine, aber hey: das waren die 70er!
1976 musste die ganze Klasse die Grundschule wechseln, wir gingen dann zusammen noch ein Jahr auf die Lindenbaumschule (Blogbeitrag).
Frau Hübner ist später nach Australien ausgewandert um Schafe zu züchten statt Kinder zu unterrichten, woran wir sicher alle nicht ganz unschuldig waren.
Voll schroff: Ich habe sie seit 35 Jahren nicht mehr gesehen!

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Donnerstag, 5. August 2010

ru24 History 18/Medien 7: Aktenzeichen XY... ungelöst (1974)

An einem Freitagabend um 20.15 Uhr im November 1974 kam mal wieder "Aktenzeichen XY... ungelöst - Eduard Zimmermann berichtet über ungeklärte Kriminalfälle".
Es ist ein Familien-Fernsehabend vor dem Schwarzweissfernseher.
Sobald die "spannende Musik" von Aktenzeichen XY... ungelöst" beginnt, bin ich sowas von ungelöst. Kaum erträgliche Spannung für einen Siebeneinhalbjährigen! Mit einem Abreißblockzettel und einem Bleistift in der schweißnassen Faust sitze ich wie gelähmt auf meinem Sessel, Auge in Auge mit dem echten Verbrechen! Aber in meiner Eigenschaft als Junior-Privatermittler würde ich meinen Teil dazu beitragen!
Zuerst werden Fotos von üblen Verbrechervisagen voller Backenbärte, Jaruzelski-Brillen und wirklich fieser Scheitel gezeigt: "Im Zusammenhang eines Raubüberfalls ging es in der letzten Sendung um zwei Männer, von denen der Polizei diese Aufnahmen vorliegen, sie aber die Namen nicht kennt. Sachdienliche Hinweise ... ."

Dann kommt es zum ersten Fall:
Am Morgen des 12. Juni 1973 machten Spaziergänger einen grausigen Fund. Es handelte sich um die grausam zugerichtete Leiche der 53-jährigen Emilie Brambecke aus Burgkunstadt. Die erfolgreiche, alleinlebende Speditionskauffrau wohnte im nahen Redwitz an der Rodach, wo sie in ihrer Freizeit ihrer Leidenschaft nachging: Dem Sammeln von Orienteppichen - eine Leidenschaft, die ihr zum Verhängnis werden sollte, wie wir heute wissen."
Ich blicke zum Wohnzimmerteppich.
"Papa, so wie der?", frage ich mit bebender Stimme.
"Ja, so ähnlich", bestätigt mein Vater abwesend.
Gottogott!!!
Meine Faust klammert sich noch fester um den Bleistift.
Dann kommt eine "Riffelglas-Wischblende", die einen Standortwechsel symbolisiert. Jetzt war der Zuschauer sechs Stunden vor der Tat mit Frau Brambecke im Büro ihrer Spedition. Sie verabschiedet sich von den Angestellten, um in den Urlaub zu fahren.
"Was die bei ihren Angestellten beliebte Frau Brambecke jetzt noch nicht ahnen konnte, war, dass sie diese heute zum letzten Mal sehen sollte. Diese Verabschiedung war für immer."
Mutter: "Nä! Et is ne Schlechtigkeit inner Welt!"
Ich bibbere.
Frau B. fährt nach Hause. Sie wundert sich doch sehr über den nahe ihrer Einfahrt geparkten Transporter mit Münchner Kennzeichen. Ich notiere mir auf dem Zettel das Autokennzeichen mit dem Bleistift: "M-CH 99", dabei drückt sich das Muster des grünen Cordsessels durch.
Dann werden wir Augenzeugen, wie Frau. B. von schwarz gekleideten Grobianen chloroformiert wird. Im Anschluss schleppen sie Orientteppiche, Frau B. und dann weitere Orientteppiche in den Transporter.
Ein betroffener Eduard Zimmermann schaut in die Kamera.
"Wir vermuten, dass Frau Brambecke nach dem Aufwachen starke Gegenwehr geleistet hat. Was nun folgt, ist mit normalem Menschenverstand nicht zu erklären."
Gottogott!!!
Einer der ermittelnden Kommissare ist im Studio, wird vorgestellt: Walther Kaschewski von der Kripo Schweinfurt. Kaschewski klammert sich an sein Konzeptpapier, als hinge sein Leben davon ab. Er ist dick, schwitzt. Er trägt einen schrecklichen Anzug und hat sein verbliebenes Haupthaar von rechts nach links über die Glatze gekämmt. Silbe für Silbe liest er vom Blatt ab, wodurch er sich anhört wie ein Roboter: "Wer hat diese Hartkäsereibe der Marke 'Hügli Grati Express' schon einmal gesehen?"
Ich hatte genug!
Ich drücke Papa den Zettel mit der Autonummer in die Hand.
"Du rufst da gleich an, ja?", sage ich mit bebender Stimme.
Papa nickt feierlich.
Der Junior-Privatermittler geht nach getaner Arbeit freiwillig zu Bett.

Schon in früher Kindheit habe ich so etliche Kriminalfälle lösen können, einfach, indem ich die Nummernschilder der im Film gezeigten Täterfahrzeuge notiert habe.


Montag, 12. April 2010

ru24 History 12 - Mein Opa schläft* (1974)


Broken Gears
Originally uploaded by autowitch
[Hierbei handelt es sich um die Fortsetzung des vorhergehenden Blogbeitrags]

Während Oma nun den Abwasch machte - es hörte sich an, als würden von Schurkenstaaten unterseeische Atomtests durchgeführt - stand Opa auf und ging nach seinem zermalmten Mahl aufs Klo.
Ich wüsste nicht, dass er jemals schon nach 20 Minuten zurück gewesen wäre.
In seiner Abwesenheit entspannte sich Oma etwas.
Ich bekam einen Apfelsaft und für diese kurze Zeitspanne waren sogar normale Gespräche möglich. Irgendwie war es nun heller im Raum - und natürlich wärmer.
Dann kam er zurück.
In der Ecke stand seine "Duckelrolle", mit der kam er zurück zum Tisch und stellte sie vor sich hin auf die Tischplatte. Hierbei handelte es sich um ein graues, dickes, zylindrisches Kissen - gerade so als habe man versucht, einen Elefanten-Unterschenkel nachzubilden. Mein Großvater setzte sich in Position und legte die Stirn darauf. Ich musste jetzt nicht zu leise sein, denn Opa hörte ziemlich schlecht - wenn er wollte.
Kurzum war er eingenickt.
Der Siebenjährige mit dem Saft ihm gegenüber rückte leise den Stuhl etwas nach links, so dass er das Gesicht des Großvaters sehen konnte. Bald bildete sich ein klarer Tropfen an Opas Nase, wuchs langsam, reifte, brach auf wunderbare Arte und Weise das Licht - mehr wie Glycerin als Wasser, zitterte, dann fiel er auf den Tisch. Bald darauf erschien der nächste Tropfen, dann die Großmutter, die mit dem Abtrocknen und der Küche fertig war. Sie setzte sich an die Schmalseite des Tisches auf ihren Stuhl und legte die kurzen, dicken Beine auf einen Hocker.
Bald döste sie ein.
Ich trank meinen Apfelsaft, beobachtete die stetig fallenden Tropfen. Der Raum war erfüllt vom einschläfernden Bullern des Ölofens, dem Ticken der Wanduhr, dem gleichmäßigen Atmen und dem Geräusch von Haarnadeln, die sich aus Omas Haarknoten ("Knüsken") lösten und auf dem ochsenblutfarbenen Linoleumboden fielen, teilweise meterweit fortschlitterten.
Nach etwa 25 Tropfen erwachte mein Großvater und damit auch die Großmutter.
Er nahm sein Kissen mit zur Ecke, zog den Kittel an, die Kappe auf und schlurfte wieder zurück in seinen Betrieb.
Oma und ich atmeten auf.

An einem dieser Nachmittage erzählte Oma mir, wie erschütternd es für sie als 10-Jährige gewesen war zu erfahren, dass im April 1912 die Titanic gesunken war.



*) Nicht zu verwechseln mit dem in 1986 bei Jugend Forscht eingereichten Kurzfilm "Mein Opa schläft" (93 Minuten, Farbe, Mono) von M. Klingelhöfer, in dessen Höhepunkt (ab Minute 89) der schlafende Großvater mimisch versucht, eine Fliege (vermutl. Calliphora vicina) aus seinem Gesicht zu vertreiben.

Sonntag, 11. April 2010

ru24 History 11 - Mein Opa isst (1974)

Als Kind war ich oft bei der Oma (Jg. 1902).
Ich saß am Tisch in der Stube mit einem Buch für erste Leseversuche. Als Hintergrundgeräusch gab es das Ticken einer Wanduhr und das stete, gleichförmige Bullern des Ölofens. Es war so heiß, dass man hätte Affen großziehen können. Aus irgendwelchen Gründen hatten Oma und ich bereits gegessen. Sie rannte nebenan in der winzigen, schlauchförmigen Küche hin und her und lärmte mit ihren verbeulten Aluminium-Topfdeckeln. Opa (Jg. 1900) unterhielt im angrenzenden Gebäude einen kleinen, unfassbar veralteten Betrieb, in dem er herumknösterte, obwohl er schon Mitte 70 war. Dies war ein Ort, der angefüllt war mit Geistermaschinen und Maschinengeistern, ein rostiges, spinnenwebiges und staubiges Imperium der Schatten, antik in jedem seiner glanzlosen Details.
Um 13.00 Uhr hörte man unten im Gebäude eine Tür schwer ins Schloss fallen. Großmutter drehte dann mit der hektischen Betriebsamkeit noch einmal auf. Im nahen Treppenhaus hörte man beständige, schlurfende Schritte näherkommen, näher und näher - tapp, schlurf, tapp, schlurf - ein wenig wie in Gruselfilmen, die ich damals aber noch nicht kannte. Irgendwann ging knarrend die Tür auf und Großvater himself betrat den Raum.
Seine Aura war die eines Großinquisitors.
Die Raumtemperatur sank um 7 Grad.
»Mahlzeit!«, sagte er und meinte es auch so.
Es roch ganz intensiv nach Tuppix-Handwaschpaste aus der grünen Tube mit dem roten Schraubverschluss. Er hängte seine Schiebermütze an den Haken, seinen grauen, hundertfach geflickten Arbeitskittel befestigte er darunter. Jetzt konnte ich sein »Gott-mit-uns«-Koppelschloss sehen, das man ihm Anno 45 beim Volkssturm zur Wehrmachts-Uniform spendiert hatte. Er trug dieses Ding seit 30 Jahren als Gürtel, allerdings keinesfalls aus politischer Überzeugung, sondern »weil es noch gut war«.
Wortlos setzte sich Opa hinter den Tisch, legte die Hände flach auf die Tischplatte und wartete. Oma hastete heran und brachte einen Teller Kartoffeln mit Gemüse und eine Gabel. Der Großvater betete lautlos und griff zur uralten Silbergabel. Das Besteckteil war so alt wie die Großeltern selbst. Es war völlig abgegessen, sodass die Zinken ungleich lang waren – wie die Finger einer Hand.
Das ihm gegenüber sitzende, siebenjährige Kind, das beizeiten gelernt hatte, dass man »nicht mit seinem Essen spielt«, beobachtete fasziniert das nun nachfolgende Schauspiel: Er nahm die Gabel zur Hand und begann, die Kartoffeln zu zerstampfen. Er machte dies mit absolut gleichförmigen, langsamen Bewegungen. Er drehte den Teller um 180°, zerstampfte nun das Gemüse. Dann begann er, den Teller um jeweils 30° zu drehen und hob stampfenderweise das Gemüse unter die Kartoffeln. Binnen fünf Minuten zerquetschte, zermalmte er dieses sein Essen zu einer absolut gleichförmigen, pastösen Masse. Nun ebnete er die Pampe ein, verteilte sie gleichmäßig auf dem Teller. Er drehte die Gabel herum, sodass die Zinken nach unten wiesen. Nun zog er mit dem Besteckteil horizontale, parallele Linien in sein Essen, fein ordentlich von oben nach unten, bis alles vollständig liniert war. Dann drehte er den Teller um 90° - aus der Lineatur wurden nun Karos gemacht.
Sein Essen war nun noch etwa geschätzte zwei Grad wärmer als Zimmer-Temperatur.
Zuletzt drehte er die Gabel wieder in der Hand und nahm damit eine Fläche von 4 x 9 Karos auf, führte sie zu Mund. Er kaute jeden seiner 36-Karo-Bissen endlos, gelassen und stupide zugleich. Zuletzt schabte er mit schrecklichem Gequietsche die letzten Reste der Mahlzeit auf dem Steingut-Teller zusammen, aß sie und legte die Gabel hin.
Oma materialisierte am Tisch, den Teller abzuräumen.
»War lecker. Wat war dat?«, fragte Opa.

Zur Fortsetzung [hier klicken].

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