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Dienstag, 24. Juni 2014

ru24 History 50 - EDEKA (1976 ff.)

photo credit: penjelly via photopin cc

Ich hatte das Thema im Blogbeitrag "Nachbarn" schon einmal angerissen, aber es gibt Geschichten, die einer gewissen Länge und Breite bedürfen ...

EDEKA, das sind für mich auch heute noch vor allem die kleinen Tante-Emma-Läden, die es während meiner Kindheit in den 70ern bis in die 80er-Jahre einen auf 5.000 Einwohner gab. Von "Supergeil" waren diese Läden damals noch geradezu grotesk weit entfernt. Die inhabergeführten "Supermärkte" waren kaum größer als 50 m², dafür so mit Regalen und Lebensmitteln vollgestopft, dass es einem chinesischen Antiquitätenhändler den Atem verschlagen hätte. Natürlich gab es keine Einkaufswagen, sondern nur Körbchen aus Stahlgeflecht mit einem roten Griffbügel. Und Linoleumboden.

Schräg gegenüber von meinem Elternhaus gab es auch einen, geführt von unseren Nachbarn Horst und Ulrike Jevers. Horst stand an der Kasse und Ulrike lauerte hinter der kaum ein Meter breiten Fleisch-Käse-Theke, manchmal war es umgekehrt. Der Fleischtresen hatte einen elektrischen Edelstahl-Wurstschneider und eine Kaufmannswaage mit einem riesigen Skalenfeld in Form eines auf der Spitze stehenden Tortenstücks. An der Rückwand zur Theke ging eine Tür ins Treppenhaus zur Privatwohnung der Jevers. Dort lebte auch ihre gemeinsame Tochter Susanne, deren Mimik allzeit absolute Ausdruckslosigkeit zur Schau stellte.
Im "EDEKA-Supermarkt" gab es für uns Kinder damals eine sinnverwirrende Vielfalt an Leckereien wie Bonitos, Lecker-Schmecker und Brauner Bär-Eis. Aber vor allem die "losen Süßigkeiten" hatten es uns Blagen angetan: sogenannte "Negertaler" (Lakritzmünzen zu je 1 Pfenning), Salinos (zu 5 Pf.) und Lakritzschnecken (zu je 10 Pf.).
Das einzige Problem waren die Inhaber.
1976: Das Kind (9, moi) bezahlte bereits mit einem mulmigen Gefühl. Horst Jevers tippte die Preise in die elektromechanische Kasse, zuletzt: Kaschinggg! Dann aber behielt der Ladenbesitzer das Wechselgeld in der gehobenen rechten Hand als Geisel, auf dass der juvenile Kunde nicht fortlief. Nun begann das gezielte Verhör. Immer ging es darum, entscheidende Wissenslücken im Tratsch und Klatsch rund um die Nachbarschaft zu füllen. Hatte man genügend "gute Antworten" geliefert, gab's auch das Faustpfand-Geld. Das war ein Gefühl kindlicher Ohnmacht. Aber auch die Erwachsenen kriegten ihr Fett weg: Die wussten nämlich genau, dass, wenn sie ihre Einkäufe woanders tätigten, verbotenerweise sogar beim Discounter, dann würde das von den Jevers keinesfalls unbemerkt bleiben. Auf gar keinen Fall. Gegebenenfalls ließen die Ladenbesitzer ihnen solches ein- oder zweimal durchgehen. Aber wenn so etwas öfter vorkäme, dann geriete jedes Familienmitglied der Missetäter unweigerlich in den Fokus der Einzelhändler. Unter Umständen verbreiteten sie ja anfangs nur harmlose, unbestätigte Gerüchte, als Warnung quasi. Zum Beispiel dass die 14-jährige Tochter der Familie R. raucht. Solches ließ sich dann steigern, z.B. dass sie sich mit drogensüchtigem Gesindel herumtreibt, so traurig! Und machen wir uns mal nichts vor: Jede Familie hat einige "echte Leichen" im Keller, man müsste nur schamlos genug sein, selbst bei Kindern danach zu graben. Und Scham war Mangelware in jenen Tagen.
Nur wenige waren bereit, den gesellschaftlichen Tod ihrer gesamten Familie hinzunehmen. Also kauften sie weiterhin überteuerte Lebensmittel, machten gute Miene zum bösen Spiel und tratschten mit. Die einzige Alternative war: Sie fielen ab von der Gnade der Einzelhändler. Dann aber gab es kein Zurück mehr: Die Jevers begannen, diese Kunden wie Scheiße zu behandeln, wagten sie es, einen Fuß in den EDEKA zu setzen. Schlimmer noch, die Nachbarn dieser Kundschaft bekamen gezielt Informationen gesteckt oder Fragen gestellt, die gewisse Vermutungen nahelegten. Natürlich nichts, was man vor Gericht hätte verwenden können. Bald aber schon grüßte diese armen Seelen nur noch der Briefträger - und manchmal nicht mal mehr der. Sie hätten eben nicht bei ALDI kaufen sollen.

Eine ältere Dame in den mittleren 50ern, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite wohnte, hatte es böse erwischt: Allzeit war sie eine Person von großer Tugend gewesen, rackerte sich redlich ab, hatte ihre Mutter lange gepflegt, war sogar noch immer ein "Fräulein". Doch dann das: In einem Anflug von spätem Frühling liierte sie sich mit einem Trinker, der sich eines Tages in einer ans Gebäude angeschlossenen Lagerhalle erhängte. Überall Polizei! Was für ein unerhörter Skandal! Wen hatte die alte Schachtel da nur angeschleppt? Hatte sie vielleicht sogar selbst Hand angelegt? Und, weitaus schwerwiegender noch: Die Dame beging ja schon seit einiger Zeit den Fehler, sich von Schwager und Schwester preiswerte Lebensmittel von Discounter mitbringen zu lassen.
Mehr brauchte es nicht: Die Jevers grüßten diese ihre langjährige Kundin nicht einmal mehr, wenn sie den Laden betrat, ließen sie auch gerne mal über Gebühr warten und raunten ihr Schnippisches hinterher.

Aber alles hat einmal ein Ende. Eines Tages in den 90ern schloss der EDEKA für immer seine Pforte: Horst und Ulrike gingen in Rente. Dann passierte länger nichts. Und plötzlich verstarben beide holterdipolter einer nach dem anderen, vor ihrer Zeit.
Tochter Susanne verzog keine Miene.

Das ist EDEKA für mich, bis heute.
Wen es noch immer wundert, dass immer mehr Menschen ihre Ware im Internet beziehen: Horst und Ulrike Jevers haben auf jeden Fall ihren nicht zu geringen Beitrag dazu geleistet.


Sonntag, 13. November 2011

ru24 History 28 - Wer Banknoten nachmacht (1976)

http://bit.ly/vGrrmo
In den 70ern haben sich meine Eltern jeden Krimi im Fernsehn angesehen. Und natürlich Aktenzeichen XY ... ungelöst (Blogbeitrag). Ich habe da so einiges mitbekommen, habe Kriminalität also direkt von der Pike auf gelernt. Besonders angetan hatte es mir Falschgeld und Falschmünzerei, denn ich wusste, seit ich lesen konnte: "Wer Banknoten nachmacht oder verfälscht, oder nachgemachte oder verfälschte sich verschafft und in Verkehr bringt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft." So stand es nämlich auf den damaligen DM-Scheinen.
Das Ganze schien sich also zu lohnen...
Es war 1976, ich war neun und ich begann zu planen. Das Problem waren die Prägestempel der Münzen oder die Druckstöcke für die Scheine, ganz zu schweigen von dem Spezialpapier!
Damals gab et ja nix!
Münzen selber gießen kam nicht infrage. Das Set "Zinngießen in Formsand" sollte ich erst in den frühen 80ern bekommen, und egal, wie viel Mühe ich mir geben würde, das Ergebnis würde immer indiskutabel sein! Und die Sorgen, die ich mir nach dem Ausräumen der Kaugummiautomaten mit Metallscheiben gemacht hatte, wollte ich auch nicht noch einmal durchleben (Blogbeitrag)!
Scheine selber drucken, püh! Wie denn? Und Yps No. 6 mit dem Gimmick "Die Geld-Zauber-Maschine" war nur ein Trick gewesen. Ich studierte bei Oma stundenlang Geldscheine mit ihrer beleuchtbaren Lese-Lupe, die hatte zwei Mignon-Zellen von Daimon im Griff. Ich machte mir Notizen. Aber diese Geldscheine hatten so viele Details! Ich scheiterte schon an der Frakturschrift, in der das Wort "Banknote" geschrieben war. Selber malen kam also auch nicht infrage! Und Farbkopien waren absolute Science Fiction. Gerüchteweise hatte die NASA einen Farbkopierer.
Es war also ohne Alternative: Ich überredete meinen Vater, mir im Büro einen Geldschein zu photokopieren (damals noch mit ph). Papa hatte allerlei Einwände. Er kannte seinen Sohn. Aber da Kinder über unbegrenzte Energie-Ressourcen verfügen, Eltern hingegen nicht, knickte er schon nach wenigen Stunden Dauerbombarements meinerseits ein - er würde es tun!
Muahahaha!!!
Am Tag drauf kam mein Vater zurück, er hatte einen Zwanziger kopiert.
Schwarzweiss.
Die Vorderseite.
Ich verschwand in meinem Zimmer, klappte die Buntstifte auf. Waldgrün war zu dunkel, Lindgrün zu hell. Aber ein kriminelles Genie gibt sich so schnell nicht geschlagen! Ich mischte beide Farben so gut es ging auf dem Schein, fügte gelb hinzu. Leider verschwanden die Details unter den Farbschichten, ich musste also doch nachzeichnen. An diesem Tag wurde ich nicht mehr fertig. Am nächsten Tag war es soweit, ich holte die Küchenschere, Schnitt das Werk aus. Nicht übel! Aber das Papier war nicht wie das einer Banknote. Ich besserte nach mit allerlei Sprays, die ich im elterlichen Bad fand. Der Schein roch arg streng. Und die Rückseite war leer, aber es würde gehen.
Ich schnürte zum nahen Kiosk, legte eine Tüte Bonitos, einen Lecker-Schmecker und ein Brauner Bär-Eis auf den Tresen und kramte höchst unauffällig meinen 20er heraus.
Der Kioskbesitzer nahm den Schein.
Ich schaute ihm in die Augen.
Er schaute zurück
So ging das eine Weile.
Dann kramte ich ein paar Münzen hervor.
Er gab mir mein Wechselgeld und den einseitigen 20er zurück.
Ich zog von dannen.
Pech: Ausgerechnet an diesem Tag war ich an einen Falschgeldspezialisten, vermutlich einen ehemaligen BKA-Mann geraten!