Samstag, 14. Januar 2012

ru24 History 31: Job out of hell (1997-2000)

http://bit.ly/wzJmH0
Ende 1996 hatte ich begriffen, dass mein Studium (Wuppertal, "etliche Semester Soziologie") eine Sackgasse war, aus der ich raus mußte, idealerweise noch vor meinem 30. Geburtstag. Ich hatte mich auf allgemein klingende Jobanzeigen aus der Zeitung (ein damaliges, sog. "Printmedium") beworben und zuletzt landete ich Februar 1997 bei einem EDV-Buch-Versand in der Nähe meiner Heimatstadt.
Ingo, der mich einarbeitete, klärte mich schon am ersten Tag hinter vorgehaltener Hand auf: "Der Chef ist der Antichrist! Wirklich! In einem halben Jahr bin ich hier weg!"
Die Bezahlung war mies, es gab kein Urlaubs- und Weihnachtsgeld und auch kein VL, Urlaub auf Zuruf und ein Betriebsklima wie in einem Gefangenenlager. Der Barclay-Zigaretten rauchende, wahnsinnige Imperator dieses Kleinunternehmens hatte einen Kettenhund mit dem euphemistischen Titel "kaufmännischer Leiter", gemeinsam knechteten sie die Belegschaft. Und wenn einmal gute Laune in der Bude war, rannte der Chef herum und schrie so lange Leute zusammen, bis der Idealzustand "Gefangenenlagerwieder hergestellt war. Die "kreative Frau", die für die Printwerbung etc. verantwortlich war und de facto oder gefühlt  auch zur Geschäftsleitung gehörte, hatte bereits so viele Menschen-Manipulations-Kurse in ihrem Leben besucht, dass man nie wusste, ob sie gerade freundlich zu einem war, oder einen gerade so richtig psychisch verarschte.
Kollegial gesehen schweißte das alles mal richtig zusammen. 


Das konnte nie und nimmer die wahre Realität sein! Ich begann Lotto zu spielen. Mit System. 10,00 DM die Woche. Ein Jahr lang. Am Ende hatte ich 520 DM weniger und immer noch einen Scheißjob.

Es war das Goldene Zeitalter der Computerisierung der Privathaushalte. Es war Prä-Krise. Die meisten Leute hatten noch Kohle und wollten sie ausgeben.
Wir berieten Kunden telefonisch und verkauften EDV-Bücher wie "Windows 98 für Dummies" und "AutoCAD 14 Bibel", Cheat-Bücher für FIFA-Soccer und Clipartsammlungen.
Und weil die Panik-Maschinerie der Medien funktionierte, verkauften wir telefonisch Norton Antivirus zu 99,00 DM und Updates auf höhere Versionen zu 49,00 DM, die jährlich erschienen. Aktuelle Virendefinitionen gab es als Jahresabo monatlich oder vierteljährlich auf CD-ROM.
Norton Internet Security 1.0 kam in 2000 auf und ging weg wie warme Semmeln. Ein Rentner rief mich an, er müsse unbedingt dieses Internet-Security-Paket haben, un-be-dingt!!! Ich stellte ein paar Fragen. Er hatte nicht einmal einen Internetzugang. Ich erklärte, dass er das nicht brauche. Er bestand darauf, zu groß war die Angst vor den Gefahren aus dem www.
Wir verkauften Norton Utilities. Vorne drauf prangte Peter Norton der immer starrsten Blicks und immer nur von vorne abgebildet wurde, damit man seine Riesenplautze nicht sehen konnte. Die Kunden verlangten statt nach "Utilities" oft nach "Ulties" oder "Ullies" (die Minimalisten), alternativ nach Utilitities (sprich: Ju-tei-lei-tei-teis - die Maximalisten). Mir wäre fast der Hörer aus der Hand gefallen.
Wir verkauften auch den Lotus Organizer 5.0 und die Lotus Smart Suite 9.5 an die Endkunden, ein arg bizarres Office-Paket.
Wir, die unter hohem Druck zusammengeschweißten Mitarbeiter bekamen all das Zeug for free, aber außer Norton Ghost benutzten wir nichts von alledem. Jeder, der schon einmal versucht hatte, eines dieser ressourcenfressenden Norton Produkte, die sich wie ein Krebs im System festgesetzt hatten, wieder von seinem Windows 95 oder 98-Rechner herunterzubekommen, wusste, dass es dazu nur eine Lösung gab: PC erschießen.

Wenn sich einer zu viel aus dem Telefon auswählte, um aufs Klo zu gehen, ging einen Sirene (redalert.wav), dann musste man eben ein anderes Mal austreten, Foxconn läßt grüßen.

Der Chef verstand sich nicht nur aufs Knechten. Alles, was Kohle brachte, wurde auch gemacht. Schwarzgeld, Steuer frisieren, Leute auf bis zu 4 Lohnsteuerkarten laufen lassen, Kundenadressen von seinen Schergen pflegen lassen und dann paketweise an Adresshändler verticken, oder schlicht im Keller einen Tröllö stundenlang damit zu beschäftigen, die Update-Aufkleber von den Packungen zu fönen und so den Gewinn pro Packung Software um 100% zu steigern - aus Update mach Vollversion.
Mussten Überstunden mal ausgezahlt werden, niemals in Form von Geld, sondern die Mitarbeiter konnten sich bei einem bestimmten Großhändler dafür Soft- oder Hardware bestellen. Der Chef gewann immer.
Und das waren nur die Sachen, die wir mitbekommen haben.
Ebenezer Scrooge hätte seinen Hut gezogen und ihm ein sparsames Lächeln gegönnt.

Nach 3 1/2 Jahren zog ich auf der Buch-Galeere* die Reißleine und war dann mal weg.
Ingo, der mich 1997 eingearbeitet hatte und nur noch ein halbes Jahr bleiben wollte wg. "Antichrist", war zumindest in 2010 noch immer da.

*) danke an Raimund!