In Australien gilt die 1890 ausgewilderte Amsel als Schädling.
Für einen ersten Satz finde ich das schon einmal aufpeitschend genug.
In Europa hatte sich die Amsel – der Nationalvogel Schwedens übrigens – noch um das Jahr 1800 herum ausschließlich im Fichtendickicht verschanzt. Das war nicht so dumm, denn sie stand damals noch auf dem Speisezettel, vornehmlich gebraten. Nun ist die Amsel von der Bauweise her eher ein schneller Snack, wenn's beim Dorfschulzen mal wieder länger dauerte. Mit der Zeit geriet das Amselbraten wieder aus der Mode, es fand sich Nahrhafteres, wie z.B. "gefüllte Perlhuhnbrust mit Waldpilzfarce". Das war quasi der Startpfiff für die sich im Geäst verbergende Amsel, testweise vorsichtig hervorzulugen. Sie steckte den Schnabel aus dem Fichtenwald und begann, den Stadtrand zu inspizieren. Die Städte waren ohnehin gerade dabei, sich ein Mikroklima zuzulegen, dito Parkanlagen, Armen- bzw. Schrebergärten und künstliche Beleuchtung, das traf sich also gut. 1820 kam es zu einer ornithologischen Sensation: Das erste Amselpärchen brütete in Bamberg quasi urban. 1830 zog Augsburg nach, 1850 Stuttgart, 1875 Chemnitz, 1880 Berlin (im Tiergarten). Um 1900 wimmelte es überall in den Stadtgebieten von ihnen, die Städte waren plötzlich sprichwörtlich "schwarz vor Amseln". Seitdem trällern sie von Dachfirsten, grofeln auf 0,80 m breiten Grünstreifen nach Gewürm und moppern, wenn ihnen etwas nicht passt.
Wenn ich morgens zur Arbeit fahre, passiert es mindestens zweimal, dass eine Amsel haarscharf vor meinem Wagen die Straße überquert. Das sieht ungefähr so aus: eine Landstraße inmitten der grünen Hügel des Bergischen Landes. Mal ist rechts Wald und links eine Talsperre, mal ist es andersherum. Oder etwas anders. Schwarzweißgefleckte Milchkühe, ein paar Strommasten, Gras. Die Straße ist frei von Fahrzeugen. Blätter rascheln, Gras wiegt sich im Wind. Ein Blatt fällt auf die Straße. Nach wie vor passiert nichts. Man hört ein Auto näherkommen. Es kommt näher. Noch näher. Sehr nah. Da ist es! Eine Amsel kreuzt die Fahrbahn, das Auto braust knapp an ihr vorbei. Der Fahrer flucht, weil ihn fast eine Amsel gerammt hätte. Dann passiert wieder zwei Minuten lang gar nichts, außer, dass wieder ein Blatt auf die Straße fällt. Bis zum nächsten Wagen. Die dazu passende Amsel macht sich im Gesträuch schon einmal warm.