Sonntag, 26. April 2015

ru History 54: Aufzucht und Pflege von Kindern im Bergischen Land (70er / 80er)

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Essen & Trinken

Kaum konnte ich zum Ende der Sechzigerjahre feste Nahrung zu mir nehmen, bekam ich Gemüse und Kartoffeln zu essen. Manchmal auch Kartoffeln mit Gemüse. Bereits mit drei brüllte ich wie aus der Spielzeugpistole geschossen: "SPINAT UND MÖHREN!!!", wenn mich jemand fragte, was ich zu Hause zu essen bekommen hatte. Die Antwort stimmte aber hoch wahrscheinlich nur zu 50%.
Großgezogen wurde ich mit Schnippelbohnen, Kohl, Möhren, Grünkohl, Wirsing, Rübstiel, Rüben, Sauerkraut und Zucchini -- allesamt mit Kartoffeln gestampft. Ausnahmsweise (aber auch nicht immer) ungestampft gab es Blumenkohl, Rosenkohl, Kohlrabi und Spinat. Zum Essen dazu gab es geräucherte Bratwurst, DAS Grundnahrungsmittel des Bergischen Landes.
Noch heute stehe ich Mahlzeiten, die ungleich "Eintopf" sind, eher skeptisch gegenüber.
Mein Bruder, der Anfang der Siebzigerjahre das Licht der Welt erblickte, war eher ein "Nudelkind". Er hat sehr gelitten.

Freizeit (indoor)
LEGO ging immer. Und LEGO.
Anders als heute war ausufernder Fernsehkonsum in den 70ern und 80ern noch nicht schädlich für Kinder: es zählte tatsächlich nur, dass die Erwachsenen die Kinder "vonne Füße" hatten. Weil es nur drei Programme ARD, ZDF, WDR gab, habe ich vorsichtshalber einfach ALLES geschaut: Augsburger Puppenkiste, Barbapapa, Black Beauty, Bonanza, Captain Future, Catweazle, Das Haus am Eaton Place, Die dreibeinigen Herrscher, Enterprise, Fünf Freunde, Hart aber herzlich, Lemmy und die Schmöker, Pan Tau, Rappelkiste, Rauchende Colts, Raumschiff Enterprise, Thimm Thaler, Trickfilmzeit mit Adelheid, Trio mit vier Fäusten, Die Strandpiraten, Wickie, die Wombels.
Die später angeschaffte Atari-Konsole 2600 (Bild) war eine harte Konkurrenz für das TV, allen voran Pac-Man, Space Invaders und Dig Dug -- hell yeah!

Freizeit (outdoor)
Anders als heute war es in den 70ern und 80ern keinesfalls lebensgefährlich für Kinder, in Wald, Feld & Stadt herumzustromern, es zählte tatsächlich nur, dass die Erwachsenen die Kinder "vonne Füße" hatten. Ausgestattet lediglich mit einer Tetanus-Schutzimpfung und einem Immunsystem zogen wir um die Häuser. Bandenbildung war möglich, ebenso Fußballturniere, Kreidespiele auf sporadisch befahrenen Straßen und das Herumwühlen in Altmetallcontainern. Auch Sandkasten und Garten boten sich an. Abends mit Einbruch der Dämmerung kehrte man dann heim, manchmal so dreckig, dass die Eltern in schallendes Gelächter ausbrachen, wenn sie unserer ansichtig wurden. Wir sahen wohl oft aus aus wie der von einer Staubwolke umgebene Pig Pen von den Peanuts.

Schule
Anders als heute war in den 70ern und 80ern ein Schulweg für Kinder keinesfalls schädlich.
Die Grundschule Stadt lag zuerst "umme Ecke", die Lindenbaumschule einen Kilometer entfernt, Realschule und Gymnasium waren zwei Kilometer weit weg. Die meisten Kinder, wie auch wir, gingen zu Fuß zur Schule, erst einmal, weil die Familien seinerzeit i.d.R. nur ein Auto hatten und de Vatter damit bei de Arbeit war -- und weil "gesunder Menschenverstand" damals noch keine Superkraft darstellte. (Blogbeitrag)
Wer in einer Kleinstadt wie Radevormwald zur Schule geht, realisiert vielleicht erst mit Erreichen der Volljährigkeit, dass ungefähr 60% aller Lehrer in die Provinz strafversetzte Vögel waren. Entsprechend farbig waren ihre Charaktere, Marotten und vor allem die Lehrmeinungen. (Blogbeiträge Grundschule: Link, Blogbeiträge Realschule: Link,)
Die Schule war spätestens um eins aus, dann trollten sich hunderte Schüler zu Fuß und mit dem Rad gen zu Hause, wo ebenso viele Eintöpfe bereits dampften. Nur wenige, dem industriellen Hochadel zugehörige, wurden mit dem Auto abgeholt.

Hausaufgaben
Anders als heute mussten Kinder in den 70ern und 80ern ihre Hausaufgaben zu Hause machen.
Eigentlich hatten wir immer welche auf. "Zu Hause" indes war nicht der ideale Ort, diese zu erledigen. Queen Mom, die ständig überlegte, welche Arbeiten und Aufgaben sie an Familienmitglieder outsourcen könnte, störte es auch nicht sonderlich, dass das Kind mit Schularbeiten beschäftigt war. Schließlich gab es immer etwas zu tun: Abwasch, Abtrocknen, Spülmaschine ausräumen, etwas zu Tante bringen oder von da abholen, Hof fegen usw. usf. Setzte man sich nach getaner Arbeit wieder an seine Arbeit, dann hatte man mit Glück eine halbe Stunde Zeit bis zur nächsten Aufgabe.
Wenn es gar zu viel wurde, packte ich meinen Kram und verzog mich mit meinen Schulsachen in die Stadtbücherei. Dort saß ich dann mit dem intensiven Gefühl, dass etwas arg schief lief.

Urlaub
Anders als heute war das Passivrauchen im Auto in den 70ern und 80ern für Kinder völlig unschädlich. Wenn wir also während sehr langer Autofahrten kotzen wie die Reiher, lag das gemäß unserer Mutter ausschließlich daran, dass wir während der Fahrt nicht nach vorne auf die Straße schauten. Derweil unser Vater also fuhr und dabei tapfer 60 Camel Filters in toxischen Qualm verwandelte, wachte Queen Mom, die selbst im Vakuum noch "Zug bekommen" hätte, währenddessen eifersüchtig darüber, dass nirgends ein Fenster auch nur einen Spalt weit geöffnet war. Manchmal hätten wir Kinder ja sogar gerne nach vorne gesehen, aber der Qualm im Wagen ließ das nicht immer zu.
Wenigstens mussten wir uns hinten bis in die 80er hinein nicht anschnallen.
Am Urlaubsort angekommen war all das schnell vergessen, wir wurden einmalig mit der sehr starken Sonnencreme (Lichtschutzfaktor 6) eingerieben, dann ging's mit dem Schüppchen zum Strand. Dort stauten wir dann tagelang Rinnsale auf, die Richtung Meer flossen, nichtsahnend, dass es sich hier um ungeklärte Hotelabwässer handelte, was auch schon mal zu Ganzkörperausschlag führen konnte.