Freitag, 1. Mai 2015

Discos

photo credit: Brodus' Disco Ball via photopin (license)

Hier in der Provinz des Bergischen Landes sind Diskotheken beliebt, schon weil es wenige davon gibt. Das Publikum ist anspruchslos und diese wenigen Ansprüche werden von den Läden keinesfalls übererfüllt. Viele meiner Freunde sind in den Jahren mit geradezu manischer Regelmäßigkeit in Discos gegangen, als gäbe es dort etwas zu finden. In aller Regel fand man nichts. Ich war schon immer mehr der Kneipentyp, denke ich, aber was sollte ich machen -- ich wurde einfach mitgeschleppt.


Der Viehhof (80er Jahre), Remscheid. Der Laden hieß eigentlich "Vieringhauser Hof". Hier war ich nur ein- bis zweimal, es muss ca. 1984 oder '85 gewesen sein. Der Laden von mittlerer Kneipengröße wurde im Inneren von maximal zwei Fahrradbirnchen "illuminiert" -- es war so dunkel wie im Hühnerarsch. Lediglich die Tanzfläche wurde mit Schwarzlicht ausgeleuchtet. Das macht gruselige Augen und man ist irgendwie immer flusig. Junge Frauen in weißen Herrenoberhemden sehen indes geradezu blendend aus! Die im Dunkeln sich haltenden Besucher rauchten zuhauf "Kräuterzigaretten". Drogenfahnder ließen sich hier lange Zeit nicht sehen, weil die schon nach zwei Stunden atmen in dem Schuppen ihre nächsten UK (Urinkontrolle) nicht mehr bestanden hätten.

Das Exit (1986-2005), Solingen, Bild, lag unterhalb der Müngstener Brücke. Exit, hieß es, weil die höchste Eisenbahnbrücke Deutschlands mit 107 m ein beliebter Absprungpunkt für Selbstmörder ist. Selbst wenn man oben steht und sich dann nicht traut zu springen -- irgendwann kommt der Zug. Der Eintritts-Token des Exit, gut für ein Freigetränk, zeigte ein kleines Männchen, welches von einer stilisierten Brücke springt. Im Exit selbst war es etwas heller als im Viehhof. Musikalisch war der Laden recht breit aufgestellt, ich freute mich immer auf Anne Clarkes "Our Darkness" und "Sleeper in Metropolis". Sonntags war Indie/Gruftie-Abend, dann rückten "die Schwatten" mit ihren Leichenwagen an, um auf der Tanzfläche vor und zurück zu wandern. Ein Bekannter von mir hatte das Innere der Disco mal bei normaler Beleuchtung gesehen: Er schwor, sich nie-nie-niemals wieder auf sein "Lieblingssofa" dort zu setzen, welches in Wirklichkeit -- bei Licht betrachtet -- ein nichtswürdiges, übel verkeimtes und hart verranztes Teil gewesen war.

Das Erpel, eigentlich RPL, also vielmehr "Rockpommel's Land" (Link) (Gevelsberg), gibt es seit 1984. Von außen ist es eine lächerliche Kaschemme, innen rockt es reichlich. Ich bin mit meinen (damaligen) Metalfreunden 1987/88 wohl einige Male dort gewesen, die Jungs -- gewandet in schwarze Stretch-Jeans, Metalshirt (Venom, Posessed, Slayer) -- headbangten, mosthen und airguitarten sich mit wilder Mähne einen zurecht. Da ich ja noch nie wirklich auf analoge Musik gestanden hatte, wartete ich notgedrungen mit der Gelassenheit einer Hindu-Kuh auf das einzige Synthesizer-Lied des Abends: Judas Priest "Turbolover" (Link - *grusel!*). Kaum jaulten die ersten Klänge davon durch den Laden, johlte und buhte allerdings jeder Kern-Metaller, denn Judas Priest verwendete im 1986er Album "Turbo" Gitarren-Synthesizer. Wie kommerziell war das denn?
Ich war nicht die Zielgruppe des Erpel.

Das Tarm-Center (Link) in Bochum (1986-2003) war ein megalomanischer Popperschuppen mit dem Feature "Lasershow". Hoch auf den Boxen tanzten wie Aufzieh-Äffchen profilierungsneurotische Herren mit bloßem Oberkörper, Leuchtstäbe in den Händen und Trillerpfeifen im Mund - Irx! Es spielte grausamer Mainstream-Mist und die Getränke kosteten [alles]. ES WAR UNGLAUBLICH LAUT. Auch die etwas lahme Lasershow konnte nicht darüber hinwegtäuschen, das ich in keiner Weise auch nur ein kleines bisschen die Zielgruppe dieses Ladens war.

Wo früher in Wuppertal das Rockoko (90er Jahre) stand, ist heute der Gäste-Parkplatz des Ada. Die Disco fand in einer kleinen Fabrikhalle Platz, die Tanzfläche war unten, oben war sie rundherum mit Galerien versehen. Die Toilette wurde nur zu besonderen planetaren Konstellationen geputzt (Uranus und Neptun in Konjunktion), eine zerdepperte Kloschüssel wurde gar nie repariert. Der leicht reizbare DJ spielte auch mal 15x hintereinander "Smells like teen spirit" von Nirvana, vermutlich weil der Pöbel seine Künste nicht zu schätzen wusste und ohnehin tanzte, egal was man ihm vorsetzte -- und wie oft. Zwischendurch konnte man gegenüber einen Döner essen gehen oder etwas feiner nach Nebenan ins Hasret, das heute das Marines beherbergt. Wirklich gut laufende Läden bei Null Instandhaltungskosten werden i.d.R. eines Tages wegen Gier in Tateinheit mit Steuerhinterziehung geschlossen, so auch hier.

Seit 1988 gibt es in Remscheid die Diskothek namens "Déjà-vu", die sich vereinfacht für das juvenile Bergvolk des Bergischen Landes "DEJA WÜ" schreibt. Ich bin um 1993 mal dort gewesen und habe mit Freunden und Bekannten einen Abend verbracht. Woher der Name kam, ahnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Der Laden war winzig. In den Dunkelzonen an den Wänden drückten sich reglos in speckige Wildlederjacken gewandete Gestalten herum, die Striche auf ihren Bierdeckeln sammelten wie heutzutage fleißige Hausfrauen ihre PAYBACK-Punkte. Sobald aber "ihr Lied" lief, zum Beispiel Melissa Etheridge's "Bring Me Some Water", dann lösten sie sich von der Wand und sprangen genau ein Lied lang wie die Derwische auf der Tanzfläche herum -- jeder bei einem anderen, "seinem" Lied.
Aus Gründen, die für mich heute im Dunkeln liegen, habe ich 15 Jahre später, also um 2008 herum, den Laden wider besseres Wissen noch einmal aufgesucht. Wenig hatte sich verändert, außer dass man in den ohnehin beengten Schuppen nun auch noch ein Raucheraquarium eingezogen hatte, durch welches die Süchtigen mit blutunterlaufenen Tiefseefisch-Augen auf die Tanzfläche starren konnten, derweil sie Steuergelder verinhalierten. In den Dunkelzonen an den Wänden sah man schwach die Silhouetten möglicherweise neuer üblicher Verdächtiger kauern. Plötzlich spielte es Melissa Etheridge's "Bring Me Some Water", sofort löste sich mit einem schmatzenden Geräusch Freund Sonne von 1993 von der Wand und sprang genau ein Lied lang mit seiner mittlerweile endspeckigen Wildlederjacke auf der Tanzfläche herum. Wow! Wie traurig, wie tragisch! Aber in diesem Augenblick hatte ich ein prachtvolles Déjà-vu!
Daher also.