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Mein Elternhaus lag schräg gegenüber vom Hauptpostamt Radevormwald. Erste Erinnerungen daran sind vielleicht von 1972. Hier gab es postgelbe Briefmarkenautomaten mit einer kurzen Metall-Kurbel, für Kinder durchaus interessant, daran herumzukurbeln. Vorne am Gebäude gab es eine postegelbe Telefonzelle mit einem grauen, superklotzigen, ultramassiven Wählscheiben-Münzfernsprecher darin. Das hier eingeworfene Geld konnte man im Gerät auf einer Rampe hinter Glas sehen, sobald eine Einheit abtelefoniert war, rutschten auch die Münzen entsprechend nach. Ein Faszinosum für Kinder! Im Vorraum des Gebäudes gab es links zwei weitere Telefonkabinen für Auslandstelefonate (incl. hoch-coolen ausländischen Telefonbüchern), rechts ging ein schlauchförmiger Raum mit hunderten von Postfächern ab. Im Hauptraum der Post gab es (damals noch) Schalter, dahinter so sorgfältig wie bedächtig arbeitende Schalterbeamte, die nie-nie-niemals aus der Ruhe zu bringen waren. Schon als Kind fiel mir auf, dass Postbeamte merkwürdig über-sorgfältig mit dem auszugebendem Postbank-Geld umgingen, gleichzeitig aber, als könne man sich daran infizieren, immer leicht angewidert dabei schauten. Vielleicht war das die viel zitierte "professionelle Distanz"? Wow! Aber an diesem wunderbaren dottergelben, waldgrünen und dunkelbraunen Ort konnte man Briefe, Pakete und Päckchen aufgeben und abholen, Geld ein- und auszahlen, Briefmarken sogar bögenweise kaufen, Sammlerzubehör erstehen, ins Ausland telefonieren oder angerufen werden. Es konnten Telegramme versandt und empfangen werden! Auch hochmoderne Faxsendungen schienen eines Tages im Bereich des Möglichen zu sein! Zudem war dies hier der Hort der bienenfleißig ausschwärmenden Postboten, die allesamt waren wie die Legende Walter Spahrbier!
1979 wurde in Deutschland auch noch offiziell der hochmoderne Faxdienst eingeführt! Yay!
Die Deutsche Post -- ein Disneyland der Möglichkeiten!
Nun, in den nächsten zehn Jahren bis zur ersten Postreform passierte nicht mehr viel, außer vielleicht, dass das ganze Ambiente hier etwas einstaubte, dort etwas abblätterte. 1993 wurde für das wiedervereinigte Deutschland die fünfstellige Postleitzahl eingeführt, Stichwort "Fünf ist Trümpf". Ein Jahr später wurden im Rahmen der zweiten Postreform die mittlerweile vereinzelten Bereiche der Post privatisiert. Es entstanden die Deutsche Telekom AG, die Deutsche Post AG und die Deutsche Postbank AG -- der Anfang vom Ende.
"Auf Rendite und globale Expansion orientierte börsennotierte Konzerne wie Deutsche Post und Deutsche Telekom sind nicht mehr an kleinen Dorfpostämtern, Briefkästen mit Sonntagsleerung oder Telefonzellen in Erzgebirge oder Eifel interessiert." (Quelle)
Deutsche Telekom AG
1996 machte Manfred Krug (Link) Werbung für die T-Aktie. Krug war knorke und irgendwie konnte mit der Telekom-Aktie ja auch nicht wirklich etwas schief laufen. Tatsächlich aber fiel die "Volksaktie" von einem Wert von über 100,00 EUR (2000) auf 8,41 EUR (2002). Manfred Krug distanzierte sich später deutlich von seinem Werbetreiben und entschuldigte sich beim Kleinaktionär dafür, dass er beim Verbrennen von dessen Ersparnissen geholfen hatte (Link).
Heute hat die Telekom drei Standbeine: 1) Rentner, die nicht ahnen, dass so etwas wie "Telefonanbieter wechseln" überhaupt möglich ist. 2) Kunden, die den Anbieter gerne wechseln würden, sich aber nicht trauen, weil sie zu Recht wochenlange Ausfälle, Reibereien & Wahnsinn fürchten. 3) Das dritte Standbein der Telekom sind Telefondrückerkolonnen, die Kunden am Telefon zu "günstigeren Tarifen" animieren, die sie aber immer grundsätzlich teurer zu stehen kommen als ihr augenblicklicher Tarif. Ich gutgläubiger Depp bin auch mal darauf reingefallen. Zwei mal. Unappetitlich wird es, wenn man z.B. meiner greisen, über 80-jährigen Tante für ihr Fahrradgeschäft, welches sie mit einem 30 Jahre alten Tastentelefon und einer 40 Jahre alten, mechanischen Schreibmaschine betreibt, zusätzlich zu ihrer vor Jahren bereits aufgeschwatzten 2 MBit-DSL-Leitung noch einen "IT-Sofort-Service" für ihre nicht existenten PCs & Router aufdrängt -- weil sie es nicht schnallt.
Das ist schäbig.
Deutsche Post AG
Mit dem neuen Millennium fing es an: immer weniger Briefkästen mit immer weiter verringerten Leerungszeiten. Gegen den Widerstand der Bevölkerung begann man, das Filialnetz einzudampfen und mit Partnerunternehmen wie McPaper, Supermärkten oder Bierbüdchen zusammenzuarbeiten. Wurden anfangs nur Postfilialen in der finstersten Provinz geschlossen und durch Postagenturen ersetzt, so war es ab 2010 dann klar: Die letzten 400 verbleibenden Postfilialen würden auch noch geschlossen werden.
Von den einst stolzen 58 Postfilialen alleine in Wuppertal existiert heute keine mehr. Für den Kunden ist das eine grausame Zumutung: Die gelbe Post in Wuppertal findet nämlich nun in "Kathi's Postshop" & Co. bei prekären bis nicht existenten Parkplatz-Situationen statt, das "Amt" wurde einfach reingequetscht in ein rappelvolles Büdchen mit Minimal-Belegschaft. Und wenns mal wieder länger dauert: die Snickers dazu kann man gleich am Tresen nebenan kaufen. Im Ruhrgebiet findet man die Post nun sicherlich auch in der einen oder anderen Trinkhalle oder als Beigeschäft auf einem Schrottplatz.
Auch dies: schäbig.
Deutsche Postbank AG
Ach ja: Die heiklen Geldgeschäfte kann man als Postbank-Kunde in diesem quasi-öffentlichen Ambiente gleich mit abwickeln, "Bitte halten Sie Abstand" bedeutet in "Kathi's Postshop", "Günni's Bierbude" und "Atze's Schrott-Spot" im Durchschnitt 13 cm. "Postbank: Schließlich ist es Ihr Geld".
Brrr!
Die Deutsche Post -- in 20 Jahren Privatisierung vom leicht angestaubten Disneyland zum lausigen Drückerkolonnen- und Trinkhallen-Beigeschäft.
Nachsatz
Wenn meine "neoliberalen Freunde" (Spaß!) wieder einmal "mehr Privatisierung" fordern (wie zurzeit u.a. in Griechenland der Fall, Liste), dann sollte man ihnen recht hart dafür aufs Mündchen schlagen. Mehrfach. Kaum etwas zeigt das Scheitern der Privatisierung von Staatsbetrieben eindrucksvoller als die Deutsche Post.