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Freitag, 17. Februar 2012

Fragen an ru24: Castingopfer

http://bit.ly/zeL4vW
D. PoP aus W. fragt: Sehr geehrter Professor Rundumschlag24, ich hab da auch mal eine Frage die mich schon länger beschäftigt. Woher kommt eigentlich die gnadenlose Selbstüberschätzung bei den gefühlten 99% der Castingshow-Teilnehmer/Bewerber?

ru24 antwortet: Als erstes war ich auf deiner Facebookseite, um den Anfangsbuchstaben deines Nachnamens in Erfahrung zu bringen. Dort stand dann: "Empört euch! We are the 99%" - ich musste doch sehr lachen! :)

In die Trickkiste gegriffen - Evangelium des Lukas, 18.11: "Der Pharisäer aber betete: Herr, ich danke dir, dass ich nicht so bin wie jene." (sinngemäß zitiert)
So ging das Fremdschämen Anno 80 n. Chr. Seinerzeit waren mit "jenen" noch diverse Halunken und Zöllner gemeint.
Heutzutage ist der "Pharisäer" der sich fremdschämende Fernsehzuschauer und "jene", das sind die Teilnehmer einer Fremdschämveranstaltung (DSDS, GNTM etc.) im TV. Da lässts sich's vor der Glotze wohlig gruseln, derweil der Großteil der wenig Telegenen sich selbst zu Casting-Opfern macht.

Jeder, der jemals mehr als drei Minuten über so eine Sendung (dito IBES, BB et al.) nachgedacht hat, weiß, dass es hier nur um Kohle geht, nämlich Werbeeinahmen und Zuschauer zu überteuerten Anrufen & SMS zu animieren ("Call-in TV"). Der Rest ist nur hohle Inszenierung, bei der der Gewinner der Staffel schon vor der ersten Sendung feststeht. Als Füllmaterial und Grusel-Staffage gibt es die Dummies, die sich öffentlich zu Idioten machen.
Ein trauriges Beispiel: hier.

"Gerade während der Pubertät seien Jugendliche 'besonders anfällig für Figuren, die eine Leitorientierung geben. Das ist einer der zentralen Gründe für den Erfolg dieser Sendungen.'" (Quelle)

Ich sag mal: Tsts!
Wir haben uns seinerzeit nie-nie-niemals selbst überschätzt, Vorzeigejugendliche und Prunk-Pubertierende, die wir waren! Bei "Jugend Forscht" konnten wir beeindrucken. Wir sammelten Heiligenbildchen in unseren Poesiealben und lernten die 16 Neujahrsansprachen von Helmut Kohl auswendig. Die Vorbilder unserer Jugend waren seinerzeit Mahatma Ghandi, Albert Schweitzer, Marie Curie und Theodor Heuss. Wir hörten klassische Musik.
Et gab ja nix!
Sowas hätte es früher nicht gegeben!


Übers Fremdschämen: (Link)
STERN über DSDS 2009: (Link)


Montag, 12. April 2010

ru24 History 12 - Mein Opa schläft* (1974)


Broken Gears
Originally uploaded by autowitch
[Hierbei handelt es sich um die Fortsetzung des vorhergehenden Blogbeitrags]

Während Oma nun den Abwasch machte - es hörte sich an, als würden von Schurkenstaaten unterseeische Atomtests durchgeführt - stand Opa auf und ging nach seinem zermalmten Mahl aufs Klo.
Ich wüsste nicht, dass er jemals schon nach 20 Minuten zurück gewesen wäre.
In seiner Abwesenheit entspannte sich Oma etwas.
Ich bekam einen Apfelsaft und für diese kurze Zeitspanne waren sogar normale Gespräche möglich. Irgendwie war es nun heller im Raum - und natürlich wärmer.
Dann kam er zurück.
In der Ecke stand seine "Duckelrolle", mit der kam er zurück zum Tisch und stellte sie vor sich hin auf die Tischplatte. Hierbei handelte es sich um ein graues, dickes, zylindrisches Kissen - gerade so als habe man versucht, einen Elefanten-Unterschenkel nachzubilden. Mein Großvater setzte sich in Position und legte die Stirn darauf. Ich musste jetzt nicht zu leise sein, denn Opa hörte ziemlich schlecht - wenn er wollte.
Kurzum war er eingenickt.
Der Siebenjährige mit dem Saft ihm gegenüber rückte leise den Stuhl etwas nach links, so dass er das Gesicht des Großvaters sehen konnte. Bald bildete sich ein klarer Tropfen an Opas Nase, wuchs langsam, reifte, brach auf wunderbare Arte und Weise das Licht - mehr wie Glycerin als Wasser, zitterte, dann fiel er auf den Tisch. Bald darauf erschien der nächste Tropfen, dann die Großmutter, die mit dem Abtrocknen und der Küche fertig war. Sie setzte sich an die Schmalseite des Tisches auf ihren Stuhl und legte die kurzen, dicken Beine auf einen Hocker.
Bald döste sie ein.
Ich trank meinen Apfelsaft, beobachtete die stetig fallenden Tropfen. Der Raum war erfüllt vom einschläfernden Bullern des Ölofens, dem Ticken der Wanduhr, dem gleichmäßigen Atmen und dem Geräusch von Haarnadeln, die sich aus Omas Haarknoten ("Knüsken") lösten und auf dem ochsenblutfarbenen Linoleumboden fielen, teilweise meterweit fortschlitterten.
Nach etwa 25 Tropfen erwachte mein Großvater und damit auch die Großmutter.
Er nahm sein Kissen mit zur Ecke, zog den Kittel an, die Kappe auf und schlurfte wieder zurück in seinen Betrieb.
Oma und ich atmeten auf.

An einem dieser Nachmittage erzählte Oma mir, wie erschütternd es für sie als 10-Jährige gewesen war zu erfahren, dass im April 1912 die Titanic gesunken war.



*) Nicht zu verwechseln mit dem in 1986 bei Jugend Forscht eingereichten Kurzfilm "Mein Opa schläft" (93 Minuten, Farbe, Mono) von M. Klingelhöfer, in dessen Höhepunkt (ab Minute 89) der schlafende Großvater mimisch versucht, eine Fliege (vermutl. Calliphora vicina) aus seinem Gesicht zu vertreiben.