Sonntag, 6. November 2022

Things we lost (in the fire) - Teil 18: drei Dinge

Am 04.07.1953 heirateten meine Eltern. Bei den Dingen, die sie geschenkt bekamen, war auch eine überraschend filigrane Bowleschale aus geschliffenem Glas mit feinem floralen Muster. Dazu gehörte eine Bowle-Kelle und die Tassen. Bei den Parties seinerzeit gab es keine Vegetarier und Veganer. Auch musste augenscheinlich nie jemand noch fahren und meine Eltern mischten höllische Gebräue zusammen in dieser Bowleschale. Nachdem die Gäste ihren zweiten Bowlebecher intus hatten, herrschte immer spontan „Bombenstimmung“ (Zitat Queen Mom). Die bald 70 Jahre alte Bowleschale stand bei uns Wohnzimmer auf dem Midcentury (sic!) Modern-Schrank und beinhaltete einige mattsilberne Weihnachtsdeko-Kugeln, was sich summa summarum als zeitlose Installation entpuppt hatte. Tschüss, du alte Partygranate!

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Mein Vater war noch voll analog aufgewachsen und benutzte für Berechnungen in seinem technischen Beruf bis in die 70er-Jahre hinein einen Rechenschieber. Papa hat mir die Bedienung einige Male gezeigt, aber es war ein komplexes Hilfsmittel, das auch viel Mathekenntnisse voraussetzte. Beispiel: 60 x 250 wurde als 2,5 x 6 = 15 abgelesen und die drei fehlenden Nullen schlafwandlerisch im Kopf angehangen. Brutal! Die gesamte Bedienung setzte unterm Strich einiges an Mathe-Know-how, Tricks & Kniffe und gute Kenntnisse im Schätzen voraus. Die 80er-Jahre hatten mich natürlich bereits durch den Schul-Taschenrechner Texas Instruments TI30 LCD versaut — allzu ausgebufft war ich nicht. Den Rechenschieber hatte ich fein in der Antiken-Schublade aufbewahrt und manchmal schob ich etwas ratlos damit herum. Ade.

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Seinerzeit vor unerhörten 50 Jahren habe ich den allerchristlichsten Kindergarten St. Marien (Blogbeitrag) in der Blumenstraße in Radevormwald besucht. Eines Tages schien dort ein Kinderfotograf auf und lichtete uns ab. Heute säße der deswegen wegen drölfzig Datenschutzverbrechen im Knast. Meine Mutter hätte dieses dort entstandene Bild auch in 2x 50 Jahren nicht erworben, denn wir fotografierten schließlich selbst usw. usf., aber Tante Waltraud (TW) kaufte das schwarzweiße Bild und ließ es professionell rahmen. Das (wirklich sehr sweete) Kindergartenfoto von mir stand dann die nächsten Jahrzehnte bis zu ihrem Tod auf TWs Nachttisch. Nachdem ich es geerbt hatte, schaute ich mein damals noch brillenloses ich mit dem breiten Milchzahnlächeln hie und da an. War ich das? Immer noch? (Siehe „das Schiff des Theseus“). Jetzt ist es fort wie alle anderen analogen Fotos und alle digitalen Fotos aus der Zeit vor Apple.


Inhaltsverzeichnis der gesamten Serie