Samstag, 27. März 2010

Heimat 16/History 9: Herr Hermes (1979)

Rock'n'Roll Realschule Teil 2
Der mit weitem Abstand wohl faulste Lehrer meiner gesamten Schullaufbahn hieß Hermes, wie der Götterbote.
Es war auf der Realschule Radevormwald (Link), die 5. und 6. Klasse, ich war 11 bzw. 12. Hermes war mein Klassenlehrer und ganz nebenbei ein gefürchteter Choleriker.
Er betrat wie immer leicht verspätet das Klassenzimmer.
Er hatte buchstäblich nichts dabei außer seiner Kleidung, immerhin.
»Hat mal einer einen Kuli?«, fragte er, jemand reichte ihm einen.
Hermes öffnete das Klassenbuch und redigierte erst einmal 10 Minuten darin herum. Dabei schnauzte und herrschte er all die an, die dort Einträge wegen Fehlens, Rügen, fehlender Hausaufgaben etc. bekommen hatten – ein unbeherrschter, ja fast wahnsinniger Gott. Einmal hat er eine Mitschülerin wegen Schulschwänzens dermaßen angebrüllt, dass das Kind, das neben ihr saß, vor Angst zu weinen anfing.
Nach diesem Ritual ließ er sich im Erdkundeunterricht von einem Schüler ein Seydlitz-Erdkundebuch geben und fragte: »Was haben wir das letzte Mal gemacht?« – Alle nuscheln durcheinander, mit angespannter Mine sucht Hermes im Buch.
»Hm, dann malt mal die Klimakarte auf Seite 68 ab, ich bin gleich wieder da« – und verschwand. Hermes saß jetzt ernstlich eine halbe Stunde lang im Lehrerzimmer herum, las die Tageszeitung und trank Kaffee. Minuten vor Unterrichtsende tauchte er wieder auf, kontrollierte die Zeichnungen und gab den Rest als Hausaufgabe auf.
Alternativ hatte er den Video-Raum geblockt, wo irgendetwas annähernd zum Thema Passendes geschaut wurde, notfalls seine Urlaubsbilder (kein Scherz).

Nach einer solchen sogenannten »Unterrichtsreihe« kam der gefürchtete Hermes-Nullachtfünfzehn-Test:
»So, alles vom Tisch, nur 2 Blätter und ein Stift!« – Klasse: »Ächz!«
Er nahm das Erdkundebuch eines Schülers, blätterte darin herum und stellte nach Gusto irgendwelche Fragen. Die Antwort musste dann niedergeschrieben und sofort mit dem anderen Blatt zugedeckt werden. Wenn jemand beim Nachbarn spickte, explodierte Hermes in einem gewaltigen Ausbruch, viele bekamen dann vor lauter Stress gar nichts mehr auf die Reihe.
Ein beliebter Schülerwitz aus dieser Zeit zum Thema »Hermes« lautete: »Frage 8: Wie heißt der chinesische Bauer auf Seite 75?«
Nach 10 Fragen wurde alles noch einmal durchgegangen, indem er die Antworten vom Klassenbesten nahm und daraus sehr frei die Fragen reformulierte (dieser Schüler konnte nichts korrigieren). Die Blätter wurden eingesammelt und von der sogenannten Lehrkraft sofort korrigiert, d.h., er verbrachte die nächste halbe Stunde damit, mit seinem Rotstift Striche und Noten auf die Blätter zu kritzeln. Dann verteilte er schäumend die Werke, indem er die Namen aufrief, und man sich seinen „Test” einzeln vorn am Lehrerpult abholen musste. Wenn alle »Tests« auf diese Art und Weise verteilt waren, nahm er sein rotes Notenbüchlein, las alphabetisch die Namen der Schüler vor und ließ sich vom jeweiligen Schüler die Note sagen, die er dann in sein Büchlein eintrug. Dieses Vorgehen stellte sicher, dass damit auch eine ganze Unterrichtsstunde verballert wurde. Wer sehr mutig war, konnte beim Angeben der eigenen Note ein »Minus« unterschlagen und hoffen, dass es Hermes nicht auffiel.
In diesem Stil durfte er auch Mathematik, Musik und andere Fächer unterrichten.
Verjährt so eine Scheiße eigentlich?

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