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Mittwoch, 16. Juli 2014

Mein Freund Rolf (1991 bis 1999)

photo credit: Tobias Lindman via photopin cc

Freunde sind ein rares Gut! Wer einen Freund sein Eigen nennen darf, der halte an ihm fest!


[wahre Geschichte, alle Namen sind geändert]
1991 studierte ich für zwei Semester Wirtschaftswissenschaften an der Uni Wuppertal. Fast bei meiner ersten Raucherpause dort lernte ich Rolf kennen. Er war sechs oder sieben Jahre älter als ich (knapp über 30) und war ein ziemlicher Vogel. Vermutlich deswegen waren wir uns auf der Stelle sympathisch und freundeten uns an. Ich lernte im Laufe der Zeit auch seine Wuppertaler Freundin Karla kennen, eine Lehramtsstudentin.

Nach einiger Zeit hatte Rolf keine Lust mehr zum Studieren. Ihn zog es in seine alte Wahlheimat Berlin zurück, zumal seine Beziehung zu Karla kränkelte. Er wollte in Berlin mit seinem alten Freund Hans zusammenziehen, einem der ganz großen Womanizer des auslaufenden Jahrtausends. Ich half bei dem Umzug und mit einem picke-packe-vollen 2,8-Tonner, der 75 km/h Spitze fuhr, erreichten wir Berlin bei Sonnenaufgang.

Ostberlins Fassaden waren braun, grau oder braungrau, die unebenen Bürgersteige voller Hundescheiße, die Treppenhäuser seit dem Krieg (dem von 1914-18) nicht mehr renoviert worden. Wir schleppten Rolfs Polinten in den fünften Stock (was bei normaler Stockwerkhöhe mindestens der siebte Stock gewesen wäre). Dann tauchte ausgeschlafen, adrett gekleidet und gut gelaunt der Womanizer mit seinem Hab und Gut auf. Er hatte sich reichlich Hilfe kommen lassen: Birte, Selena, Maria, Xandra und die Alex. Die schweren Sachen mussten also wieder »die Jungs« schleppen. Nachdem alles oben war, muss ich kurz tot gewesen sein. Als ich nach einer Adrenalinspritze mitten ins Herz wieder zu Bewusstsein kam, gingen wir einen Döner essen. Der 2,8-Tonner machte auf dem Rückweg leer nun ganze 85 km/h Spitzengeschwindigkeit! Yay! Es war wie ein Rausch!

Von nun an telefonierten wir in loser Folge und ich besuchte Rolf jährlich in Berlin.
Die Freundschaft zwischen Rolf und Hans war mittlerweile zerbrochen, weil Rolf Hans’ brasilianischer Freundin »Nachhilfe« gegeben hatte. Ich konnte mir das schon vorstellen, wie das gelaufen war mit der »Nachhilfe«. Bei unseren Telefonaten erfuhr ich, dass auch andere Freundschaften Rolfs »aus Gründen« in die Brüche gegangen waren. Ich dachte mir meinen Teil.
Irgendwann sagte er während eines dieser Gespräche zu mir: »Henning, du bist mein bester Freund!« Ich fand das ziemlich unheimlich, wir sahen uns doch nur einmal im Jahr! Aber vermutlich war ich der »last man standing« – der Einzige, der übrig geblieben war.

Rolf, der in Berlin zwischen kurzen Phasen regulärer Beschäftigung sein Dasein als Lebenskünstler und Sozialbetrüger fristete, lernte seine Freundin Michaela kennen. Sie war Krankenschwester im nahen Urban-Klinikum, sie zogen zusammen. Michaela war eine freundliche, fröhliche und im Gegensatz zu ihrem Freund wunderbar bodenständige Person. Sie machte es immer zu einer Freude, in Berlin zu Besuch zu sein.
Die beiden wohnten in Bezirk Kreuzberg, Hobrechtstraße, die vom Hermannplatz abging. Am Hermannplatz trieb sich arg viel »Volk« (aka »trunkener Pöbel« & »multipel Abhängige«) herum. Am Kottbusser Damm »Kotti« gab es etliche türkische Gemüseläden, hie und da ein orientalisches Brautmodengeschäft und altdeutsche Butzenglas-Kneipen. In den Nebenstraßen und der Umgebung reihte sich Bar an Szenelokal, wie die heute noch hoch famose »Ankerklause«.

Einmal rief er mich an, nun sei es aber an der Zeit, dass ich ihn besuchte! Ich fragte: »Wie lange denn?«, er: »Total egal, Hauptsache du kommst!« Mit ihm musste ich ja nichts abklären, er war ja eh in keinem Arbeitsverhältnis. Also suchte ich mir ein Reisebüro und buchte für 300,00 DM eine Zugfahrt zweiter Klasse Hin/Rück nach Berlin. Dann, wieder zu Hause, rief ich ihn an: »Mission completed!« - »Wann genau kommst du?«, fragte er aufgeregt. Ich teilte ihm die Eckdaten der Woche mit, die ich gedachte nach Berlin zu reisen. Stille breitete sich aus. »Waaas? Eine ganze Woche? Bist du irre? Das geht doch nicht! In der kleinen Wohnung?«, schlug es mir entgegen. Ich war perplex. Das Gespräch wurde noch ungemütlich. Die Tickets ließ ich verfallen, umbuchen ging nicht, deshalb waren sie »so günstig« gewesen.
Soviel zu dem Thema.

Ein Jahr drauf rief er mich an, nun sei es aber wirklich ganz arg dringend an der Zeit, dass ich ihn mal wieder besuchen käme! Ich war zurückhaltend und vorsichtig geworden und fragte: »Wie lange denn GENAU?« - »Hey! Pfeif drauf! Hauptsache du kommst!« Ich suchte ein Reisebüro auf und buchte eine Zugfahrt, natürlich keine ganze Woche. Telefonisch teilte ich ihm mit, an welchen fünf (5) Tagen ich gedachte, nach Berlin zu reisen. Das, was jetzt kam, kannte ich schon. »Waaas? Fünf Tage? Das geht nicht!« Das Gespräch wurde noch reichlich ungemütlich. Ich gab ihm Tiernamen und legte auf. Die Tickets verfielen wie die vorherigen. Ich verbrachte einen deprimierenden Urlaub zu Hause, während draußen der September-Monsun das Bergische Land in eine Schlammwüste verwandelte.

Eine Weile hört ich nichts von Freund Sonne. Dann, eines Tages, schellte das Telefon und Rolfs Freundin Michaela war an der Strippe, was per se ungewöhnlich war. Das nachfolgende Gespräch dauerte etwa zwei Stunden.
Das war passiert:
Rolf hatte vom Amt eine Umschulung zum Serveradmin (oder Vergleichbares) bezahlt bekommen und musste nun brav einige Zeit in diesem Job arbeiten. Nach fast 20 Monaten (!) hatte er aber keinen Bock mehr, jeden Tag früh aufzustehen. Zudem hatte sein Chef ihn fast zehn Monate lang nicht bezahlt. Vor Gericht bekam er Recht, nun hatte er auf einmal einen Batzen Geld, den das Amt aber anrechnen würde, wenn er sich jetzt arbeitslos meldete. So verfiel er auf einen genialen Plan: Er würde die Kohle chefmäßig verjubeln!
Rolf begann, im Internet zu recherchieren. Irgendwie landete er dabei auf Foren, in denen sich junge Frauen aus Zweite- und Dritte-Welt-Ländern für »Herren« interessierten. Hey! Junge Frauen fand er auch toll! Dort traf er erstmals virtuell auf Jacqi. Sie war ein junges, lebenslustiges Ding aus einem Dorf irgendwo in Mittelamerika. Rolf, dessen Hormone seinen Realitätssinn zuweilen umnebelten, verabredete sich mit ihr in eben diesem mittelamerikanischen Land und buchte sich Flugtickets.
Seiner Partnerin, mit der er seit Jahren zusammenlebte, sagte er nur: »Ich mache Urlaub!«
Michaela wunderte sich nur, ahnte aber nichts.

Rolf nahm alles Geld, was er hatte und ließ es in Landeswährung wechseln. Er flog über den Atlantik, kam an einem palmenumstandenen Flughafen an. Er fuhr mit einer rumpelnden Eisenbahn so weit es ging. Dort nahm er ein fragwürdiges Taxi. Jacqui erwartete ihn in ihrem Dorf.
Sie muss ihm gut gefallen haben, denn schon am nächsten Tag ging Rolf zum örtlichen Schneider und ließ Maß nehmen. Zwei Tage später hielt er bei Jacquis Vater in einem Maßanzug aus feinstem Zwirn  – auf Knien um die Hand seiner Tochter an. Der Alte war hocherfreut, seinen Augenstern an einen europäischen Multimillionär zu geben und willigte ein. In Villariba wurden große Hochzeitsvorbereitungen anberaumt, von denen man in Villabajo nur träumen konnte (Youtube). Das Paar wurde mit großem Ritus vermählt, es wurde drei Tage lang gefeiert. Rolf haute die Kohle raus wie ein betrunkener Seemann. Bald stellte er fest, dass er mehr Geld benötigen würde, wenn er noch ein Flugticket für seine Braut würde zahlen müssen. Vom Postamt aus rief er seine Tante in Bochholt an und schilderte ihr die Situation. Die fragte, ob er noch alle Latten am Zaun habe und legte auf. Dann rief Tantchen umgehend Rolfs Partnerin in Berlin an. Die arme, treue Michaela, die sich bis zu diesem Augenblick in einer intakten Beziehung wähnte, fiel aus allen Wolken!
Noch an diesem Abend begann sie, ihr Hab und Gut von seinem zu trennen. Schon zum Ende der nächsten Woche zog sie in eine andere Wohnung, verschwand auf Nimmerwiedersehen.

Rolf hat die Kohle für Jacquis Ticket noch zusammenbekommen. An einem sehr kalten, sehr grauen Novembertag sind die Frischvermählten durch Schneematsch und angefrorene Hundescheiße gestapft, um in einer geplündert aussehenden, ungeheizten Wohnung in Berlin-Kreuzberg anzukommen. Die 45 Pflanzen waren zum größten Teil verdorrt. Im Briefkasten stauten sich Werbeflyer und Rechnungen, die Monatsmiete stand aus.
Vermutlich hat Freund Sonne schon am kommenden Tag Stütze beantragt.

So wird sich die lebenslustige Jacqui ihr Leben mit dem deutlich älteren europäischen Multimillionär nicht vorgestellt haben.


Einige Wochen später rief Rolf mich an, ich müsse ihn mal dringend wieder besuchen.
Ich erklärte ihm, dass Michaela mich bereits ins Bild gesetzt habe und dass es zu einem Besuch meinerseits wirklich keine Veranlassung mehr gebe. Ich wünschte ihm ein schönes Leben und legte auf.


Freunde sind ein rares Gut! Wer einen Freund sein Eigen nennen darf, der halte an ihm fest!*
*) Ausnahme: Der Freund hat heftig einen an der Klatsche.


Dienstag, 12. Februar 2013

ru history 44 - WG mit Ludger (1991 ff.)

http://goo.gl/74qvy
Nachdem es in meinem Elternhaus noch ungemütlicher geworden war, zog ich 1991 kurzentschlossen bei Kumpel Ludger (Name geändert) ein. Hier gab es zwar nur ein Durchgangszimmer für mich, aber da konnte ich aufgrund langjähriger Erfahrung mit umgehen.
Jetzt bewohnte ich eine WG mit Ludger!
Ludger hatte schon immer hier gewohnt, es war sein Elternhaus, das er nach dem Ableben seiner Eltern übernommen hatte, incl. dem Pudel namens Pascha (Name nicht geändert). Pascha war der Hund alter Leute gewesen. Wenn er winselte, um mal zu »müssen«, öffnete man ihm die Haustür und der Hund kackte dann ganz unbefangen auf den Hof. Manchmal streifte er noch auf dem Grundstück herum bis zum Zaun, um in den Wald zu schnuppern. Manchmal kackte er in mein Zimmer.
»Barfuß« blieb bis zuletzt spannend.

Ludger hatte Kellerräume satt. Einmal die Woche trug er das Altglas von unter der Küchenspüle in den hintersten Kellerraum und stellte das Leergut in Reih und Glied an die Wand. Die Wochen flogen nur so dahin. Nach einer Weile war Kellerraum 1 mit einer geschlossenen Glasdecke versehen, dann wurde Kellerraum 2 ausgebaut. Irgendwann kam Ludger hoch und sagte zu mir den gefürchtetsten aller Sätze: »Wir müssen Altglas wegbringen!«
Bewaffnet mit allen Plastiktüten, derer wir habhaft werden konnten (und das waren einige), machten wir uns daran, säckeweise Glas mit verschiedenfarben schimmelnden Inhalten einzusammeln (Nutella schimmelt eher grau, Nusspli eher grünlich). Die beiden Autos wurden bis zum Stehkragen damit vollgestopft (mein Kadett D schaffte mit umgeklappter Rückbank eine Riesenmenge). Mit beiden Autos zweimal fahren - fettich!
Dann fing alles wieder von vorne an.

Im Keller des Hauses hätte man WK II-Luftschutzbunkerfilme drehen können. Das lag zum Einen am vor sich hinrottenden Gewölbe-Ambiente, zum Anderen daran, dass völlig authentische Lebensmittelkonserven dort herumstanden. Zum Beispiel gab es Einmachgläser voller mittlerweile durch Ausbleichen kaum noch zu identifizierenden Obstleichen à la »Stachelbeere« und »Sauerkirsche«. Spektakulär war eine Sammlung weiß angelaufener Zinkblechkonserven und vor sich hinrostender unverzinkter Konservendosen. Die Konserven waren aus einer Zeit, als es noch nicht üblich gewesen war, ein Mindesthaltbarkeitsdatum aufzudrucken. Der Höhepunkt der Ausstellung war eine kleine Dose Mandarinenstücke, die in einer schwarz-glänzenden Pfütze Fäulnis stand. Das Etikettenpapier war rundum schwarz angelaufen und der Ausdruck nur noch durch die Unterschiede von matter zu glänzender Oberfläche auszumachen. Vorne, mittig durch die Dose, wuchs ein knubbeliger graugrüner Pilz durchs Blech nach außen.

Eines Tages fand ein lustiges Kaffeetrinken mit den halben Freundeskreis statt. Hoch die Kaffeetassen! Irgendwann ging die Kaffe-Milch zur Neige und Kumpel Frank sagte: »Ich weiß, wo die im Keller steht!«, sprang auf und verschwand. Im Handumdrehen tauchte er wieder auf, eine Konservendose »Bärenmarke« in Vorhalte. Das Etikett wirkte seltsam antiquiert, das Blech war angelaufen. Alle blickten zweifelnd, außer Frank, der bereits nach einem Dosenlocher suchte. Eins, zwei waren die Löcher gestanzt. Frank drehte die Dose um und drückte - nichts! Er drückte fester. Noch fester. Endlich kamen graue, griesige Würste aus den Löchern. Als er den Druck minderte, wurden die Würste wie Rotz wieder in die Dose zurückgesaugt incl. eines hoch authentischen Geräuschs. Alle starrten mit ekelgeweiteten Augen, nur nicht Frank, der seine Bemühungen verstärkte. Zuletzt bekam er genügend von der grauen Masse in die Tasse, verrührte das Ganze und nippte zur Fassungslosigkeit aller tatsächlich an seinem völlig verseuchten Heißgetränk. Der Kaffe schmeckte »grau«. Bei dem Schluck ließ er es bewenden. Er hatte noch Stunden später stumpfe Zähne davon.
Merke: Ist »Bärenmarke« in Frakturschrift geschrieben, ist das Verfallsdatum überschritten.

Ludger war ein großer ambulanter Esser*. Er hatte das ambulante Essen quasi auf eine ganz neue Ebene befördert. Lässig stand er an der Anrichte, einen offenen Tetra-Pak O-Saft in die Achselhöhle geklemmt, in der einen Hand eine Scheibe Aldi-Graubrot, in der anderen Hand eine Packung Fleischsalat zum Dippen. Hier wurde im wahrsten Sinne »aus dem Stand« - ein komplettes Mahl bereitet und verschlungen, ohne dass man solchen Killefitt wie Teller, Besteck oder gar Servietten benötigt hätte. Finger ablecken, O-Saft-Tüte angesutscht und halbvoll in den Kühlschrank stellen und dort vergessen - das war ambulantes Essen at its best!
*) Gegenteil: "stationäres Essen", z.B. regulär an einem Tisch

Wenn so ein geöffneter und angesutschter 1,5 l-O-Saft mal eine zweistellige Anzahl an Kalenderwochen im Kühlschrank vor sich hin gerottet hatte, war die Entsorgung desselben nichts für Lappen. Normalerweise würde man den Inhalt des Beutels in die Spüle oder ins Klo kippen. Normalerweise. Schon, wenn man den Beutel kippte, konnte man spüren, wie sich ein faustgroßer, kompakter Strunk Fäulnis im Inneren verlagerte und - tschwomp! - den Ausguss am Tetra-Pak verstopfte. Ja, auch, wenn man sehr fest drückte. Dies war immer ein Kandidat für komplett-in-die-große-Tonne!

Eines Tages betrachtete Ludger versonnen seine Wohn-Küche. Er entdeckte einen flammend orangeroten elektrischen Hähnchengrill, ein Relikt aus den 80ern. In einem Anfall von Häuslichkeit beschloss er, das Ding einfach mal zu benutzen. Erstmalig in seinem Leben kaufte er bei ALDI ein tiefgefrorenes Hähnchen. Doch wohin mit dem gefrorenen Geflügel? Ludger, nicht dumm, steckte das Getier zum Auftauen direkt in den ausgeschalteten Mini-Grill, denn so war es nirgends im Weg!
Ein genialer Plan! Begeistert wandte Ludger sich anderen Dingen zu.
Es wurde April.
Die Quelle des grauenerregenden Verwesungsgeruchs in der Küche war nicht leicht auszumachen. Zuletzt fand man das wirklich, wirklich sehr aufgetaute Hähnchen im besagten Elektrogerät. Dummerweise öffnet Ludger die Luke. Es blieb kein Auge trocken. Das Hähnchen hatte übrigens bereits wieder dichten Flaum. Es hörte auf den Namen Haarald. Ludger schmiss entgegen sonst so strenger Mülltrennungsregeln Haarald mitsamt seinem Minigrill-Sarkophag auf den Müll.


Es kam, wie es kommen musste: Sigrun (Name geändert) trat in Ludgers Leben. Sigrun war arg reinlich und urst häuslich. Sie war eine spektakuläre Bäckerin und Köchin, als Hobby sammelte sie Kochbücher. Ihre Küche war stets sauberer als ein Reinraum bei der Mikrochipherstellung. Wir haben das heimlich überprüft. Mehrfach. Und selbst in der Woche deckte sie morgens vor der Arbeit den Tisch mit Sets, die mit den diversen »Servietten der Saison« wohlfeil harmonierten.
Das Ambulante war Sigruns Sache nicht. Selbst im für den Ottonormal-Looser üblichen hochnot-ambulanten Camping-Ambiente konnte sie keineswegs auf die einfachen Freuden von Kaffeevollautomat, Mikrowelle, Satellitenantenne, Sets und Servietten verzichten.
Als sie Ludger eines Tages in ihrer Küche beim ambulanten Essen erwischte, bekam sie einen Nervenzusammenbruch und musste zwei Wochen lang hochdosierte Psychopharmaka einnehmen. Ludger legte daraufhin diese Methode der Nahrungsaufnahme aus Sicherheitsgründen gänzlich ab.
Na, da passte ja alles ganz wunderbar zusammen!
Ludger zog zu Sigrun, die Wohnung wurde verkauft, unsere WG-Zeit war zu Ende.


Samstag, 21. April 2012

ru24 History 35 - Daten-Archäologie

http://bit.ly/JhwdIN 
Im Oktober 1991 hatte ich mit dem Studium an der BUGH Wuppertal angefangen. Im Frühjahr 1992 war es so weit: Ich hatte genug Geld zusammen, um mir meinen ersten PC zu kaufen. Es war ein 468-DX33 mit 4 MB RAM und einer 80 MB Festplatte (Atelco, Wuppertal). Das Gehäuse wog etwa 20 kg und war genau so hoch wie mein Schreibtisch, das Mauspad habe ich dann einfach drauf gelegt. Dazu gab es einen 14" Röhrenmonitor. Gezahlt habe ich damals ziemlich genau 3.000,00 DM.
Windows 3.1 gabs auf sieben 3,5"-Installationsdisketten dazu und zuvor war DOS 5.0 (auf drei 3,5"-Installationsdisketten) zu installieren. Dateinamen waren damals maximal acht (8) Zeichen lang *kicher*. Ich fing an, mich einzulesen. Nach etlichen Try and Error-Episoden optimierte ich angstfrei die Treiberreihenfolge in der AUTOEXEC.BAT.
Meine 3,5"-Disketten (Doom I, The Incredible Machine I, Castle Wolfenstein I, zahllosen Schriftarten und Windows Hintergrundbilder im seinerzeit den Winz-Monitor ausfüllenden Format 640x480 etc.) verwahrte ich sauber beschriftet und mit unterschiedlich farbigen Labels beklebt in einer Box. Die Datenträger hatte ich mit "VGA-Copy/386" (von Thomas Mönkemeier, Link) auf 1,72 MB statt auf 1,44 MB formatiert und die Daten waren mit dem Archivierungsprogramm "ARJ" (von Thomas Jung, Link) über mehrere Datenträger gepackt (sog. "multi-volume archives"). So konnte man leicht die eine oder andere Diskette sparen. Für die schreckliche Befehlszeilen-Syntax von ARJ hatte ich mir Batch-Dateien geschrieben.
Ich glaube, ich war ein kleiner Nerd, damals.
Gut, dass ich an derart verwurstete Daten nicht mehr ran muss, ich wüsste heute gar nicht, wo ich anfangen sollte...

Auf zeit.de wurde jetzt berichtet, dass der Quellcode von "Prince of Persia I" auf wundersame Weise und mit viel fachmännischer Hilfe gerettet werden konnte (Link). (Über) 20 Jahre alte Daten zu retten, zählt also heutzutage schon zur "Daten-Archäologie".
Respekt!
Mal sehen, wie es in 20 Jahren mit den E-Books von heute aussieht...

Da fällt mir ein: Meine Sinclair ZX Spectrum Datasetten, die ich mit meinem ITT Mono-Kassettenrecorder aufgenommen hatte, habe ich auch noch... :)
Und irgendwo fliegen ein paar Kilometer selbst gedrehte Super8-Filme herum, es wird ja immer obskurer!
Schnell, ruft einen "Daten-Paläontologen"!