Montag, 8. Oktober 2012

SONDERSENDUNG

goo.gl/Ee1dS 
Sobald (aus Sicht der Medien) etwas Weltbewegendes passiert, verschieben sich im Fernsehen alle nachfolgenden Sendungen oder entfallen. Denn dann heißt es: Sondersendung!

Nehmen wir als Beispiel den fiktiven Absturz mit Explosion einer Boeing 777 kurz nach dem Start vom Pariser Flughafen Roissy-Charles de Gaulle.

Diedeli-ditt-di-diditt!!!
SONDERSENDUNG!
Dödel-di-dii---daaa!!!

Das Problem: So kurz nach einem Unglück weiß nie-nie-niemand auch nur irgendetwas. Rettungskräfte, Polizei, Flughafen, Fluggesellschaft, Luftaufsicht, Hersteller des Flugzeugs - niemand findet auch nur seinen Arsch. Man watet in schwerer Montur durch die Trümmer, atmet durch fette Masken, spricht in fremden Zungen (besonders krass: französisch), aber für Fernsehmacher sind das doch nur Marginalien!

goo.gl/khgzh 
1) Der Nachrichtensprecher von ZDF/ARD berichtet zu den 19.00 Uhr/20.00 Uhr-Nachrichten mit Grabesstimme von dem Unglück, bei dem eine bislang unbekannte Anzahl an Menschen hoch wahrscheinlich ums Leben gekommen ist. Die Boeing 777 sei auf dem Weg nach Venezuela gewesen. Ob auch Deutsche an Bord waren, könne man zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen. Alle nachfolgenden Sendungen der nächsten Stunden entfallen aufgrund der aktuellen, tragischen Ereignisse und werden durch Sondersendungen ersetzt.
2) Nach den Nachrichten schaltet man in ein Sondersendungs-Studio. Von hier aus berichten eine übermäßig geschminkte Blondine und ein dazu passender Ken mit Grabesstimme von dem Unglück, bei dem eine bislang unbekannte Anzahl an Menschen hoch wahrscheinlich ums Leben gekommen ist. Ob auch Deutsche an Bord waren, könne man zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen.
3) Man schaltet ins rasch improvisierte Pariser Studio zu Jacques Lemarchal, dem frischen Franzosen. Monsieur Lemarchal erklärt mit starkem Akzent, dass man über die Ursachen des Unglücks zu diesem frühen Zeitpunkt rein gar nichts wisse. Über die Anzahl der Todesopfer könne man ebenso noch nichts sagen. Ob auch Deutsche unter den Opfern seien, wisse man zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
4) Zu Lemarchals rechter Seite taucht, in schwere Ausrüstug gehüllt, ein rußverschmierter Herr auf, dieser wird als Lieutnant Renouard, Leiter der Rettungskräfte vorgestellt. Lemarchal murmelt etwas, der Lieutnant legt los. Im Strom seiner Äußerungen sind hoch-farbige Ausdrücke wie "putain de merde", "ordur", "personne idiote" überreichlich enthalten. Lemarchal übersetzt glattzüngig, dass man über die Ursachen des Unglücks zu diesem frühen Zeitpunkt rein gar nichts wisse. Über die Anzahl der Todesopfer wisse man auch noch nichts. Ob auch Deutsche unter den Opfern seien, könne man zu diesem Zeitpunkt wirklich noch nicht sagen.
5) Rasch schaltet man in ein arg spärliches Sonder-Sondersendungs-Studio, das nach "Chaos-Computer-Club, Keller, 1982" aussieht, wo ein merkwürdig frisierter Nerd ("Luftfahrtexperte" - zwinker, zwinker) namens Karl-Ullrich Siebenschläfer-Rasmussen erklärt, dass die Boeing 777 auch als Triple Seven bezeichnet wird und ein zweistrahliges Großraum-Langstreckenflugzeug  für 300 bis 550 Passagiere ist. Sie sei das größte zweistrahlige Verkehrsflugzeug der Welt. Mit Stand Juli 2012 seien 1.030 von 1.379 bestellten Flugzeugen dieses Typs ausgeliefert worden. Seit Einführung in den Liniendienst im Jahre 1995 habe es bis heute nur einen Totalverlust einer Boeing 777 gegeben, allerdings keinen mit Todesfolge. Usw. usf.
Der Kerl hört sich an, als lese er aus Wikipedia ab... (Quelle: Wikipedia)
6) Man schaltet zurück ins Sondersendungs-Studio von ARD/ZDF wo Barbie und Ken sich Kai-Uwe Sprenger, den Pressesprecher der Deutschen Luftaufsicht hinzugeholt haben. Herr Sprenger erklärt, dass man über die Ursachen des Unglücks zu diesem frühen Zeitpunkt rein gar nichts wisse. Über die Anzahl der Todesopfer sei ebenso wenig bekannt. Ob auch Deutsche unter den Opfern seien, könne man zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht sagen. Barbie und Ken nicken ernst bei jeder Äußerung und kleben an seinen Lippen, als hörten sie das alles zum ersten Mal.
7) bis 39) So geht das quasi weiter ad infinitum bis mindestens 23.20 Uhr. Zuschauer, die bislang noch nicht eingenickt sind von der großen, fast schon fraktal zu nennenden Selbstähnlichkeit aller Beiträge, erfahren nichts aber auch gar nichts Neues, sehen die immergleichen Bilder, hören das immergleiche Gestammel.
Das ist schon hart an der Desinformation.


goo.gl/o5Myr 
Drei Wochen später:
Auf einer Pressekonferenz in Paris erfährt die Welt endlich die relevanten Informationen:
  • Zwei Stunden vor Absturz der Maschine sei aus dem "Parc zoologique de Paris" der 13 kg schwere Krauskopfpelikan "Pepe" entflogen.
  • Das Triebwerk der Boeing 777 des Fluges 1234 nach Venezuela, ein Rolls-Royce Trent der 800er-Serie, hatte den sehr großen Vogel aufgesaugt, überhitzt und war explodiert.
  • Man spricht von einer "Verkettung unglücklicher Zufälle".
  • Den für das Tier zuständigen, natürlich drogensüchtigen Tierpfleger Bruno "Malade" Leroc (32) habe man bereits verhaftet, ihm droht minimum Verbannung auf eine Milzbrandinsel.
  • Ganz Frankreich trauert um Pepe, den Pelikan. Zwölf Schulen werden landesweit nach Pepe umbenannt, man sammelt Geld zur Errichtung eines Gedenkmonuments im Herzen von Paris.
  • Live hinzugeschaltet wird der Direktor Dumont der Schule "Lycée du pélican Pepe" aus Montpellier.
  • Der Sprecher des Triebwerksherstellers Rolls Royce beteuert, dass man die Ansaugvorrichtung der Turbinen der 800er-Serie pelikansicher nachbessern werde.
  • Unter den insgesamt 223 Opfern des Fluges waren auch 3 Deutsche, die aber in Deutschland niemand kannte oder vermisste, weil sie allesamt aus Bielefeld (Link) stammten.