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Sonntag, 4. März 2018

Rauchen

photo credit: VAPES.COM Guy Vaping on E-Cig Vape Mod (b&w) via photopin (license)

Mein Opa Karl war vom Sternzeichen her eine Dampfmaschine. Im Krieg hatte er, als es gar nichts Rauchbares mehr gab, Blutreinigungstee geraucht. Nach dem Krieg glomm eigentlich bis zu seinem seligen Ende 1969 ständig etwas an ihm: Pfeife, Zigarette, Zigarre. Als meine Eltern ihm in den 50ern stolz ihr erstes Auto, einen Borgward Lloyd präsentierten, hatte es nach der Aktion ein Brandloch mitten in der Rückbank. Auch lebten sie in ständiger Sorge, er würde ein Brandloch in seinen Enkel (moi) machen.

De Vater paffte sich auch ordentlich was weg, zu seinen besten Zeiten an die 60 Camel "ohne" oder alternativ im Spanienurlaub auch lokales Kraut wie "Celtas" oder "UN-X-2"(sprich "U-En-Ekis-Dos"), Hauptsache, es qualmte. Wenn ich Anfang der 70er als Kind auf Vatters Schoß saß, umgab ihn eine sehr würzige Melange aus Tabac Original-Rasierwasser (sic!) und dem Geruch nach gerauchten Zigaretten.

"Ey, haste mal 'ne Aktive?", fragte Tini manchmal in der Raucherecke vom "Gymmi" in die Runde, wenn sie keinen Bock oder zu kalte Finger hatte, sich eine zu drehen. 21 Kippen (von mir bevorzugt rote West) kosteten damals 4,00 DM, da war das also kein Thema. Die einen rauchten Marlboro, die anderen Camel, als GroKo hätten diese beiden Marken bereits 70% im Sack gehabt. Die Leute mit den Wildlederjacken drehten DRUM oder Samson, wenige krasse Leute verinhalierten Schwarzer Krauser, ob die noch am Leben sind, ist anzuzweifeln.

1998 habe ich aufgehört zu rauchen, habe mal wieder angefangen und auch wieder aufgehört. Mittlerweile haben es die meisten Menschen, die früher geraucht haben, aufgegeben -- außer meine Frau und alle meine Freunde, was für ein überaus hartleibiges Völkchen! Dabei kommt mir Zigaretten rauchen mittlerweile so unsagbar 80er Jahre vor. Und was bin ich froh, dass in Kneipen und Restaurants nicht mehr geraucht werden darf!

Neues Jahrtausend, neues Glück, moderne Inhalierende rauchen nun Vaporizer.
Doch "Vapen" (ja, so nennen sie es) ist nichts, was die Herren (und wenigen Damen) aus'm Lameng machen. Neben Software-Updates läßt sich auch die Hardware der Geräte pimpen und die Liquids kann man selbst mischen. Aus diesem Grund flutet ein ständiger Strom von Zubehör via DHL, UPS, DPD unsere Firma: literweise Propylenglykol als Trägerflüssigkeit, neue Liquids (in bizarren Geschmacksrichtungen), bessere Akkus, Profi-Ladegeräte, Heizwendeln und allerlei Gedöns. So basteln die Herren ständig an ihren Geräten herum wie Revolverhelden des Wilden Westens an ihren Colts -- und jeder hat nach Herrenart seine eigene Philosophie dazu.
Im Raucherzimmer sieht es jetzt hinter der Glasscheibe aus wie bei "The Fog -- Nebel des Grauens" (1978), da alle Wolken ausstoßen wie Paff der Zauberdrache. Die Gerüche, die dort herausdringen sind vielfältig, werden aber aber von mir überhaupt nicht mit Rauchen assoziiert: Gummibärchen, Käsekuchen und Erdbeer-Vanille. Wenn mein Kollege Jakob vom Rauchen zurückkommt, umgibt ihn eine krasse Yogurette-Wolke. Dabei habe ich mir immer vorgestellt, dass Ulricke Jokiel aus Mainz, das Endneunziger Werbemaskottchen der Yogurette-Schokolade, so am Schlüpper riecht, wie jetzt der komplette Kollege.
Würde ich heute "Karamell-Brownie" oder "Snickers" rauchen? O_o


Mittwoch, 9. Mai 2012

Radevormwald, eine braune Brutstätte?

http://bit.ly/ICgvsf
42477 Radevormwald hat wieder Medienpräsenz - als braune Brutstätte (Link).
Radevormwald war schon wegen des bis dahin tragischten Eisenbahnunglücks der BRD in 1971 in den Medien (Link), wegen zahllosen Drogenrazzien und jetzt eben wegen Rechtsradikalen, die "die Gnade der späten Geburt" (Link) als persönliches Unglück erachten, Narren, die sie sind.

Die Stadt Radevormwald liegt inmitten der grünen Hügel des Bergischen Landes 20 km entfernt von Wuppertal, ebenso weit weg von Lüdenscheid (wo wirklich niemand hin will) und 10 km von Remscheid (das immer gruseliger wird).
Es ist eine ganz normale, langweilige Kleinstadt mit 22.526 Einwohnern, Tendenz sinkend.
Der Fernsehpfarrer Jürgen Fliege (Link) kommt aus Radevormwald. Der elektrische Currywurstschneider wurde hier erfunden (Blogbeitrag) - Respekt! Und die zweitälteste Jugendherberge der Welt steht hier.
So weit, so unspektakulär.
Ich habe bis letzten Sommer 44 Jahre am Stück dort gelebt und, ja, man konnte dort prima leben. Dort zu wohnen hatte den Vorteil, dass die Miete so dermaßen unanständig niedrig war, dass ich mich kaum traute zuzugeben, dass ich für die 50 m² Genossenschaftswohnung mit Gartenparzelle nur 165,00 EUR zahlte. Der Sonnenuntergang am Küchenfenster war Bombe! Ich parkte direkt vor dem Haus am Bürgersteig. Jahrelang schloss ich mein Auto nicht einmal ab, trotzdem kam nie etwas weg, was man von Wuppertal, meinem neuen Wohnort, nicht gerade sagen kann.
Ich bin dort auf die Realschule (Blogbeiträge) und das Gymnasium (Blogbeiträge) gegangen, dort waren Gewalt und Drogen nie wirklich ein Thema, letzteres eher bei den in die Provinz strafversetzten Lehrern des Theodor Heuss Gymnasiums.

Die Innenstadt von "Rade" hat mittlerweile viel Leerstand. Es gibt ein schönes Eiscafé am Neumarkt und ein tolles Kino. Einen Woolworth (sprich: Woll-wott). Und einen McDonald's. Die zwei bis drei Kneipen, die man hätte aufsuchen können, werden von schnöseligen, ortsansässigen Handwerksmeistern / Fabrikantensöhnen mit komplizierten Brillengestellen und riesigen Angeberautos belagert. Sie haben ihre Gattinnen dabei, die mal Beauty of the Class von 198x waren. Menschen, die gezwungen waren, ihre Freizeit in diesem eklen Umfeld zu verbringen, dauerten mich seit jeher, aber hey: Zum Wohnen war es toll.

Ausländerfeindlichkeit ist mir ein paar Mal untergekommen. Ein einziger (1) Skinhead war mir seit der Jugend namentlich bekannt, ich habe ihn seit 15 Jahren nicht mehr gesehen, vielleicht hat er sich für Führer, Volk und Vaterland zu Tode gesoffen. Auch kannte ich einen Gleichaltrigen, der mal einen Ausländer angegriffen hatte. "Was für ein Spinner!" war hier die einhellige Meinung aller, mit denen ich darüber gesprochen habe. Einmal habe ich durch ein Fenster in einer Wohnung eine Reichskriegsfahne hängen sehen. Und vor zwei Jahren habe ich an Straßenschildern und Bushaltestellen ein paar proNRW-Sticker mit durchgestrichenem Moscheen-Symbol abgeknibbelt.
Und ja: Es gibt/gab eine Internetseite www.radeisgeil.de, tatsächlich eine "Seite für Deutsche Patrioten", sprich: Eine Seite von IDIOTEN für IDIOTEN, was man aber schon weiß, ohne die Seite überhaupt aufrufen zu müssen.
Aber ehrlich: "braune Brutstätte" geht anders.

Mit ihrer Nazivergangenheit hat sich die Stadt seit jeher schwer getan.
Sieht man sich im Stadtnetz die Radevormwalder Stadtgeschichte an "Vom Ursprung bis heute - Damals: Ein historischer Rückblick" (Link), sieht selbst der geschichtliche Laie, dass das Dritte Reich an diesem wind- und wetterumtosten Weiler des Bergischen Landes offenbar absolut ereignislos vorübergezogen ist. Die wackeren Radevormwalder waren vermutlich alle im Widerstand, bis sie dann vom Ami aus heiterem Himmel beschossen worden sind...
Na klar.
 Am 09.12.2003 überflog ich die Überschriften im Radevormwalder Teil der "Bergischen Morgenpost" (BM). Eine verleitete mich ausnahmsweise dazu, weiterzulesen: "Mehrheit Bauausschuss - Straßen nicht nach NS-Gegnern". Ich zitiere:
"Mit den Stimmen von CDU, UWG und FDP (Gegenstimme SPD) wurde gestern im Bauausschuß beschlossen, die Namen der Straßen im Neubaugebiet Laaker Felder nicht nach Radevormwalder Gegnern des NS-Regimes zu benennen, sondern nach Getreidearten."
Das ganze Gerangel hier (ab Punkt 3 b) - es lohnt sich.
Am Text einer alternativen Gedenktafel (Link) wurde so lange herumgedoktert, bis sie endlich harmlos genug daherkam, vermutlich hätten sie am liebsten "... gehänselt" geschrieben. Die Namen der Widerstandskämpfer fehlen.
Vergangenheitsbewältigung at it's best...
Es muss in Radevormwald wohl noch eine ganze Menge Vergangenheit bewältigt werden. Ein paar tapfere Leute haben schon damit angefangen (Literatur).

Vielleicht sind die Nazi-Probleme der Gegenwart dem bisherigen, völlig unwürdigen Umgang mit der NS-Vergangenheit der Stadt geschuldet.
Idealerweise lässt man den Stadtrat bei einer zukünftigen Aufarbeitung komplett außen vor.



Mehr Radevormwald: (Blogbeiträge)


Donnerstag, 26. April 2012

ru History 36 - Super-GAU (1986)

http://bit.ly/An5HCe 
Heute vor 26 Jahren.
"Die Katastrophe von Tschernobyl (auch: Super-GAU von Tschernobyl) ereignete sich am [Samstag, den] 26. April 1986 im Kernkraftwerk Tschernobyl nahe der Stadt Prypjat, Ukrainische Sowjetrepublik, als Folge einer Kernschmelze und Explosion im Kernreaktor Tschernobyl Block 4. Sie gilt als die schwerste nukleare Havarie und als eine der schlimmsten Umweltkatastrophen aller Zeiten." (Link)

1986, das war das Jahr 9 vor Internet.
Das gabs für Hans & Franz nämlich erst ab ca. 1995.
Also, wie immer, wenn von "damals" die Rede ist: Et gab ja nix!
Kein Twitter, kein Facebook, kein SPON, kein Wikipedia!
Die Leute hatten ja nicht einmal Handys - geschweige denn Geigerzähler.
Die Informationen, die man bekam, waren widersprüchlich und verwirrend, allerlei Einheiten wie Bequerel, Curie, Sievert etc. (Link) verschleierten mehr, als dass sie aufklärten. Also saß man vor der Glotze oder schaute in die Zeitung. Bei uns zu Hause gab es leider nur die "Bergische Morgenpost". Die "BM" liest Queen Mom bizarrerweise noch heute, natürlich "wegen der 'besseren' Todesanzeigen" - im Vergleich zum Konkurrenzblatt "Remscheider Generalanzeiger" ("RGA")...

Grenzwerte für Spinat und allerlei Gemüse wurden ausgegeben.
Pilze und Wild galten plötzlich als zu belastet, um noch "Nahrung" genannt zu werden. Wir als Familie stellten daraufhin für immer das Pilzesuchen ein, Stockschwämmchen und Hallimasch: ade!
Wildpilze sind noch heute belastet, über ein Vierteljahrhundert später (Link).

In der Schule war der Super-GAU natürlich Top-Thema.
Das war ja alles sehr verstörend.
Da wird man als "Kind der 80er" während des Kalten Krieges mit der absoluten Gewissheit groß, eines Tages in einem Atomkrieg zu sterben - und dann das! Der unsichtbare Fallout erzeugte so eine Art "The Day After"-Light-Stimmung - der Film war drei Jahre zuvor im Kino gelaufen.

Am Tage des größten Fallouts, es war der erste schöne, warme Tag des Jahres, saß ich mit meinem damaligen Schulfreund Frank auf der Terrasse seines Elternhauses. Wir trugen unsere Ray-Ban(!)-Sonnenbrillen und strahlten in den wundervollen, blauen Himmel zurück, anstatt uns im Haus zu verschanzen.
19-jährige Jungs können überraschend  □ trotzig / □ hirnrissig sein (Zutreffendes bitte ankreuzen).

Ich war in Jahrgangsstufe 12 des Radevormwalder Gymnasiums "THG", mein Erdkunde-LK-Lehrer hieß Blocksiepen. Aus aktuellem Anlass hatten wir am Dienstag, den 29. April 1986 eine Doppelstunde lang nur über die Havarie gesprochen.
Am Ende der Stunde sagte Blocksiepen: "Ich nehme einen Geigerzähler aus der Physik mit nach Hause. Wenn die Strahlenbelastung zu hoch sein sollte, dann komme ich nicht!"
Schön!
Am Mittwoch fehlte Blocksiepen, ebenso den Rest der Woche.
Das fühlte sich gefährlich an!
Die Woche drauf fehlte er weiterhin.
DAS fühlte sich wirklich VERDAMMT gefährlich an!!!
In der dritten Woche tauchte Freund Sonne wieder auf und behauptete, eine Grippe gehabt zu haben.
Sicher, sicher.


Donnerstag, 19. Mai 2011

ru24 History 23: 1985: Informatik auf dem Gymnasium

1985: Duran Duran waren 4 Wochen auf Platz 1 der Charts mit "The Wild Boys", Murray Head sang sein grandoises "One Night in Bangkok", Paul Hardcastle brachte "19" heraus und Modern Talking hielt sich mit "The first Album" eine grausige Woche lang in den Album-Charts. (Link)

1984 bin ich als Quereinsteiger von der Realschule auf das Gymnasium gewechselt.

Nach den Erfolgen in BASIC-Programmierung auf der Realschule war es naheliegend, auch hier ab 1985 die Informatik-AG zu besuchen. Informatiklehrer war Herr Döhl, von dem man sich erzählte, dass er einmal auf einem Kurstreffen sein Glasauge in sein Bier geworfen habe. Dermaßen ausgelassen habe ich ihn gottlob nie erlebt. Dafür Vollzeit als Spaßbremse. Sein schwarzer Vollbart überwucherte sein Gesicht fast vollständig. Er trug Pilotenbrille, Glasauge, roten Polyester-Pulli und war der eisenharten Überzeugung, dass Informatik-Unterricht »nur was für Jungs« sei. Andrea K. war diejenige in meiner Jahrgangsstufe, die dem zum Trotz am längsten ausgeharrt hat - Respekt dafür! Dominiert wurde der Kurs von BW-Parka-Nerds, gegen die heute die Jungs von »The Big Bang Theory« oder »The IT-Crowd« wie schillernde Popstars wirken.

In meiner ersten Stunde der Informatik-AG erfuhr ich, dass BASIC nur was für Pfeifen war. PASCAL hingegen galt als das einzig Wahre. Tolle Wurst! Begriffe wie GOTO/GOSUB (absolute Sprungbefehle) outeten einen sofort als BASIC-Kleingeist, Begriffe wie PEEK & POKE legten die allzu große Nähe zum Commodore C64 nahe.

Besser also, man hütete seine Zunge, verinnerlichte stattdessen: »Pascal zeichnet sich durch eine strikte (...) Syntax sowie durch den Verzicht auf kontextabhängige Interpretationen des Codes aus.« (Quelle)
*gähn*
Die Unterrichts-Stoffe »Sortier-Algorithmen« und »Langzahl-Arithmetik« erwiesen sich als nicht zu interessant...

Im Informatik-Raum gab es ein Terminal-System aus den späten 70ern, die »Dietz-Anlage« (Link). Auch hier saßen wir zu dritt oder viert an einem einzelnen Schwarzweiss-Terminal. Irgendwo am Ende des Raumes summte schrankgroß der Hauptrechner mit dem Diskettenlaufwerk vor sich hin. 8"-Disketten (20 cm Kantenlänge: passten mit Müh & Not in eine DIN A4-Klarsichthülle) waren das einzige Speichermedium - mit stolzen 180 KB Kapazität. Auch die habe ich nie voll bekommen... Die Programme druckten wir aus auf grünes Computertabellierpapier mit perforiertem Lochrand für den Traktor des kreischenden 9-Nadel-Druckers, dessen Farbband immer bereits recht schwach war.

Unsere Listings mussten wir zu Hause auf eben diesem Computer-Tabellierpapier korrigieren und fortschreiben, in einer Freistunde im Informatikraum abtippen und dann auf Funktion testen. Das Verfahren erwies sich als nicht allzu alltagstauglich.


1987 zeigte mir einer der Nerds aus meinem Kurs eine 3,5"-Diskette.
Ja, Mann, das war mal angewandte Science-Fiction! Wuchtige 1,44 MB in einem so winzig-kleinen, formschönen Ding!

Die Zukunft würde auf jeden Fall weitere Wunder bereithalten!

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Dienstag, 3. Mai 2011

ru24 History 21: Klausuren schreiben auf dem Gymnasium (1989)

Eine Arbeitskollegin erzählte gerade von der gestern stattgefundenen Abiklausur ihres Sohnes.

Unweigerlich fielen mir da die verzerrten kleinen Gesichtchen meiner weinenden Mitschülerinnen wieder ein, damals in 1989...

Eigentlich gab es bei jeder Klausur ab der Jahrgangsstufe 12 das gleiche Problem: Die Mädchen. Vor den Arbeiten lernten sie im Gegensatz zu ihren männlichen Pendants zwei Wochen lang Tag und Nacht. Zur Klausur erschienen sie übernächtigt mit Äpfeln, isotonischen Getränken und Glücksfetischen, um sich dann gegenseitig durch Auflisten ihres übermenschlichen Lernpensums zu vergewissern, dass sie am aller-allermeisten von allen gelernt hatten. Sie konnten die gesamte Primär-, Sekundär und Tertiärliteratur auswendig, natürlich. In ihren kleinen Köpfchen brummte es wie ein einem Bienenstock. Die Klausur begann, sofort schrieben sie wie besessen. Auswendig gelerntes mit kurzer Halbwertzeit wollte doch unverzüglich aus ihnen herauspurzeln, bevor es wieder in Vergessenheit geriet! Es war wie eine Sturzgeburt kurzzeitig angeeigneten Wissens. Sie pinnten zwanzig, fünfundzwanzig Seiten voll, als gäb's kein Morgen. Die Finger am Stift weiß, das Gesicht voller hektischer Flecken. Jedes Mädchen, das etwas auf sich hielt, gab am Ende der angesetzten Zeit einen ganzen Stapel beidseitig dichtbeschriebenen Papiers ab und huschte aus dem müffelnden Klassenzimmer.

Draußen auf dem Flur brach dann die gesamte mühsam aufrecht erhaltene Fassung der letzten Wochen in Nichts zusammen. Die fleckigen Gesichtchen der Mädchen verzerrten sich grotesk, Tränen rannen plötzlich wie unversiegbar, als hätte jemand einen Wasserhahn geöffnet. Binnen Minuten sahen sonst eigentlich tageslichttaugliche junge Damen aus wie Wasserleichen, die zwei Wochen lang in einem stehenden Gewässer herumgedümpelt waren. Und es war nur eine Frage von Augenblicken, bis eine anfing zu sabbern: »Ich hab' sicher 'ne 6!!!«
Na sicher...
Sie fielen sich wimmernd und greinend in die Arme, heulten sich gegenseitig voll. Blauer Mascara verlief mit dem Lidstrich zu einem maus- bis taubengrauen Brei in Alice-Cooper-Optik.
Ich, der ich nur ein paar Tage je ein paar Stunden gelernt und nur zehn Seiten einseitig beschrieben hatte, trollte mich angewidert, mir die Schreibhand reibend.

Wochen vergingen, in denen sich der bedauernswerte Lehrkörper durch die endlosen Bleiwüsten 30-seitiger Mädchenklausuren pflügen musste, sicherlich mit seinem erbärmlichen Schicksal hadernd.
Dann, eines großen Tages, gab's die Klausuren zurück.
Die Anspannung war kaum auszuhalten.
*trommelwirbel*
Die Mädchen hatten allesamt eine 1 oder 2+.
Surprise, surprise...
Meiner einer hatte eine 3-.

Einmal fing tatsächlich eine an zu heulen, weil sie statt der angekündigten 6 nur eine 1- bekommen hatte. Noch heute bedauere ich es, dem damaligen Impuls nicht nachgegeben zu haben, ihre frisch aufquellende Visage ein klitzekleines bisschen vor die Wand zu hauen.
Nur ein bissi, keine Panik.

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Mittwoch, 28. April 2010

ru24 History 15: Hackethal soll sterben! (1987)

1987. In der Jahrgangsstufe des Theodor-Heuss-Gymnasiums Radevormwald (THG) hatte ich als Mitschüler einen (1) Heavy-Metal-Fan. Er trug ausschließlich tiefschwarze Stretch-Hosen und T-Shirts aus dunkler Materie mit Aufdrucken von Venom, Possessed, Slayer und Voivod. Seine Matte hätte Klingonen vor Neid erblassen lassen, ebenso aber auch sein überaus reizbares, cholerisches Temperament. Dieses ständige Zornbrüllen und Aufwallen war auch seinen Freunden und Bekannten irgendwann mal zu viel. Eine Handvoll Schwachköpfe beschlossen eines Tages, es dem Heavy-Cholerik-Metal mal "zu zeigen". Sie heckten den wenig perfiden und durchaus diskutablen Plan aus, dem Kerl mal "auf die Motorhaube seines Golf zu kacken".
Heiko P., der beeinflussbarste Mensch, den ich je traf, war geradezu ideal zur Durchführung des "Plans", schon nach kurzer Zeit stimmte er begeistert zu, derjenige zu sein, welcher...
Es wurde Abend, es dämmerte. Die Handvoll Rächer machte sich auf den Weg zum Wohnort des Metals, ein stilles Wohngebiet am Rand von Radevormwald. Während sich die Gruppe im Hintergrund hielt und durch Tannengrün schielte, tappte Heiko über den Bürgersteig, hielt immer wieder nach potentiellen Augenzeugen Ausschau. Vorsichtig kletterte er mit seinen Turnschuhen auf die Motorhaube, ließ die Hosen herunter, ging in die Hocke, presste...
In diesem Augenblick sprang ein Fenster an der Wohnung des Metals auf und die Mutter des Cholerikers schrie eine völlig unartikuliert wirkende Folge von Silben - als sei sie besessen!
Heiko floh panisch mit heruntergelassenen Hosen, die Anstifter machten sich aus dem Staub.

Am Ende waren sich auf jeden Fall alle einig, dass die besessene Metal-Mutter "Hackethal soll sterben!" gebrüllt hatte.
Die rätselhafte Sentenz erlangte zu dieser Zeit einige Berühmtheit und wurde sogar zu einem Lied einer lokalen Punk/Metal-Band verarbeitet, dessen Titel und Refrain natürlich "Hackethal soll sterben!" gelautet hatte.

Professor Julius Hackethal (1921-1997) (Link) hat von alledem nie etwas erfahren.