Donnerstag, 7. Januar 2010

Heimat 12 - Nö


2006-06-20 Happy days I
Originally uploaded by [ henning ]
Als ich seinerzeit in meine Wohnung zog, begab es sich, dass sich das Anbringen der Küchenhängeschränke etwas verzögerte. Plötzlich war es 22:01 Uhr. Es waren noch zwei Löcher zu bohren, dann wäre alles fertig gewesen. Als ich den Bohrer ansetzte, kam mahnendes Klopfen aus der Nachbarwohnung. Mist! Um es mir nicht schon beim Einzug mit der mir noch unbekannten Nachbarschaft zu verscherzen, musste ich leider meinen helfenden Bruder nach Hause schicken.
Ich sollte diese spezielle Nachbarin noch kennenlernen.
So lag ich eines Tages auf meinem Liegestuhl auf meiner Gartenparzelle und genoss die Sonne. Die Nachbarin, gepflegt, Mitte bis Ende 50, scharwenzelte angelegentlich heran und zwang mir dann ein Gespräch auf, das ich mir im Anschluss in etwa notiert habe:
"Ich bin ja direkt raus, ich sach immer, wat ich denke. Da kommen se normalerweise alle prima mit klar. Ich bin ja nich von hier, mein Mann, der kam von hier. Der hatte nen Tumor hier an der Stelle im Kopf, der hat mich nachher nich mehr erkannt. Meine Verwandschaft sitzt alle in Essen, die wollten auch immer, dat ich zu denen zieh, nach'm Tod von mein'm Mann, da sind die Leute auch viel herzlicher wie hier, nich so stur, aber ich sach denen immer: ich bleib, hier hab ich mein Garten un alles.
Die Herbstzeitlosen – herrlich! Hanä, abber dat macht alles auch viel Arbeit, manchmal weiß ich ja nich, wenn de Blagen hier alles kaputttrampeln, da könnt ich reinhauen. Sind ja auch viel Türkenblagen un so, die kennen so wat ja alle nich. Da kann mer ja nix sagen, sons hasse direkt de ganze Sippe am Hals, mit em Messer un alles.
Bäh, kuckense!, de Türken, die ham schon wieder en Blag angesetzt, jedes Jahr dat gleiche, wat anders können die auch nich! Un et Treppenhaus sieht aus! Un en Fernseher ham die laufen - Tag un Nacht, in einer Lautstärke!, aber alles son fremdländisches Geplärre, die ham ja ne Riesenschüssel am Dach! Wir ham sowat nich. Wir könn uns so wat gar nich leisten. Un die verdammten Blagen von denen machen einen unglaublichen Lärm und Dreck, dat is denen doch ganz egal, die hauen bald sowieso wieder ab, un wir können solange sehen. Im Garten machen die ja nix, reine gar nix, kuckense, dat blüht jetz schon alles widder, un wir kriegen de Samen ab, dat wird doch alles hergeweht – kuck, da fliecht schon wat! Löwenzahn un so, noch und nöcher. Dat is denen sowat von egal. NIX machen die, NIX!
Ich weiß gar nich, ob die überhaupt deutsch sprechen. Ich würd ja gerne doch mal in so ne Wohnung kucken. Die von de Wohnungsbaugenossenschaft, die tun immer nur ein Ausländer in jedem Haus, könnense sich ja vorstellen, wie dat sons alles aussäh. Gott-o-gott-o-gott! Da könnste sons nie widder vernünftig drin leben. Dat käm ALLES runter, in Nullkommanix, ALLES!
"
Ich raunte hie und da ein paar Entsetzenslaute, die sie als Zustimmung fehlinterpretierte. Lautäußerungen meinerseits waren in diesem Monolog ohnehin nicht vorgesehen. Dann rauschte sie davon.
Für diese Nachbarin schob ich den Regler meiner Menschenbewertungsskala ein klitzekleines bissi nach unten.

Nun hat einer der grenzdebilen Trolle, die sie für die grobe Gartenarbeit einsetzt, Ende Oktober ihren Benzinrasenmäher draußen hinter dem Gartenhäuschen stehen lassen, anstatt ihn wieder in den Keller zu schieben.
Jedes Mal, wenn ich aus dem Toilettenfenster sehe, betrachte ich den Mäher im Wandel der Jahreszeiten - zurzeit mit Schneehaube - und denke so bei mir: "Autsch, das tut dem jetzt mal gar nicht gut!"

Die Überlegung wäre, die Nachbarin davon in Kenntnis zu setzen.
Doch ich sage mir lächelnd jeden Tag auf's Neue: Nö.

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