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Freitag, 28. Oktober 2022

Things we lost (in the fire) - Teil 13: Anthologie »Gedanken im Netz 2«


Meine Eltern waren Vielleser, sie lasen ständig etwas, auch wenn Mutter tendenziell einen Hang zum „Pilchern“ hatte. Ich habe auch immer viel gelesen, aber auch schon früh begonnen, Geschichten aus dem Bereich Phantastik selbst zu schreiben. In den frühen 2000er Jahren hatte ich eine kurze, etwas "realistischere" Phase, hier ist die Kurzgeschichte „Zweifel“ entstanden. Sie handelte von einem Mann, der völlig in seinem Hobby, der Gartenarbeit aufgeht, bis ihn alles zunehmend weniger befriedigt, ihm sein Handeln von Tag zu Tag fragwürdiger vorkommt, und die langjährigen Nachbarn von mal zu mal bedrohlicher scheinen.
Das war ein Sujet, das ich meinen Eltern "zumuten" konnte. Ich gab die wenigen Seiten meinem Vater zu lesen. Eine Woche später, als er die Geschichte nicht erwähnte, sprach ich ihn darauf an.
„Nun …“, sagte er, an seiner Zigarette ziehend, „… ich habe ... die Geschichte …“, ergänzte er, Rauch ausstoßend, „… halb gelesen.“ Er drückte bestimmt seine Zigarette im großen Glas-Aschenbecher aus. „Das kannst du besser“, schloss er.
Das war das erste und letzte Mal, dass er sich dazu äußerte.
Puh! Man musste als Sohn schon hart gesotten sein!

Mein Vater war in der Zwischenzeit verstorben. Trotz seiner aufmunternden Worte reichte ich die Kurzgeschichte 2005 bei einem Wettbewerb des Videel-Verlags ein, wo sie im Oktober in der Anthologie »Gedanken im Netz 2« erschien. Ich war stolz — meine erste Veröffentlichung! Und endlich hatte ich auch mal ein ganz persönliches Weihnachtsgeschenk für meine Mutter. Ich ließ das Buch in seiner Folie, damit es nicht litt und verpackte es als Geschenk.
Weihnachten 2005 wechselte es mit einem stolzen Lächeln meinerseits den Besitzer.
2014 starb meine Mutter.
Beim Entrümpeln ihrer Wohnung entdeckte ich das Buch im Regal. Es war noch eingeschweißt.

Ich wusste es damals nicht, weiß es heute nicht, was ich dabei empfinden soll — die Vielleser hatten es einfach beide nicht geschafft.
Seitdem stand es bei mir im Regal, natürlich weiterhin in Folie — schon aus Frack.
Nun ist es verbrannt.

Ich glaube, es ist besser so.


Freitag, 19. Januar 2018

Vatter 6 - Familienpfiff

photo credit: Sumarie Slabber GREY Go-away-bird via photopin (license)

Früher wurde mehr gepfiffen, das finden zumindest fast 60% aller Befragten einer Studie.
Bei uns zu Hause gab's einen Familienpfiff.
Wann immer de Vatter z.B. von der Arbeit heimkam -- die Klinke noch in der Hand --, dann pfiff er in die Wohnung hinein, als Erkennungszeichen, dass er wieder zurück war. Es war ein dreitönender Pfiff ohne Pause zwischen den Tönen -- Hüü-o-Hitt. Mit der Zeit gewöhnten sich alle vier Familienmitglieder das bei ihrer Heimkehr an, allerdings konnte meine Mom nicht wirklich pfeifen, sie war ja nicht Ilse Werner. Wenn man also nichts hörte, dann war es Mom, die nach Hause kam. Die Vögel, die wir im Laufe der Jahre gehabt haben, lernten als erstes, unseren Familienpfiff nachzupfeifen.
Doch eines Tages in den frühen 2000ern war es damit vorbei: Seit de Vatter nicht mehr unter uns weilte, hatte es sich irgendwie ausgepfiffen.


Samstag, 12. Oktober 2013

Queen Mom 27 - Beißer

http://goo.gl/GWMEzG
Als ich am Ende meines Besuchs meine Mutter im Altenheim verabschiedete, winkte mir aus der Ferne etwas hektisch Heike zu, eine der für sie zuständigen Altenpflegerinnen. Da Radevormwald ein Dorf ist, kannte ich Heike sehr gut "von früher". Ich ging rüber. Heike schaute mich an, nahm mich etwas zur Seite und fragte: "Hältst du mich für den Beißer?"
Hmm?
"Äh? Wie bei 007? Nee... ."
"Deine Mutter hat letztens beim ins-Bett-bringen behauptet, ich hätte ihr in den großen Zeh gebissen!"
Muahahaha!

Die Woche drauf fragte ich Muttern natürlich bei nächster sich bietender Gelegenheit: "Na, und, hat dir die böse Schwester mal wieder in den Zeh gebissen?"
Queen Mom war not amused. Sie faßte mich festesten Blickes ins Auge, drückte meine Hand und sagte sehr bestimmt: "Ja, hörma, wat sollet denn sons anders gewesen sein, als dat se mich innen Zeh gebissen hat?"
Tatsächlich.
Verrückt: So kann man sich in Menschen täuschen ...


Montag, 31. Oktober 2011

ru24 History 26: Frau Hübner (1973-76)

http://bit.ly/uXuddi
Zwischen 1973 und 1975 bin ich in die Städtische Grundschule Radevormwald gegangen. Meine Mom ist damals die ersten Male mitgegangen, kurz drauf durfte und musste ich alleine zur Schule gehen. Mein kurzer Schulweg (290m, keine Straßenüberquerung, Link) führte mich an einer Postfiliale, einer potentiell spannenden Polizeiwache und dutzenden Metern Jägerzäunen vorbei, die je nach Jahreszeit stark nach Carbolineum (Teeröl, Link) rochen, das heute nicht mehr in dem Maße eingesetzt werden darf wie damals. Wäre ich 30 Jahre später geboren worden, hätte mich meine Mom die Winzstrecke wahrscheinlich jeden Morgen und Mittag mit dem SUV gefahren, was heute ja allgemein zum guten Ton gehört (Blogbeitrag).
Meine Grunschullehrerin war Frau Herma Hübner, in meiner Erinnerung sieht sie aus wie ein Ally McBeal-Double - Anfang bis Mitte 30 mit hohen hellbraunen Lederstiefeln, die die knorpeligen Knie freiließen, gelbem Minikleid und Außenwelle. Meine MitschülerInnen hießen Anja, Dorothée, Heike, Arif, Ralph "mit ph" und Georg (Link). Und da 1967 ein sehr geburtenstarker Jahrgang gewesen war, platzte die Klasse mit 40 Schülern aus allen Nähten. Da wurde es auch schon mal laut und es ging recht hoch her. Wenn Frau Hübner meinte, genug geschrien hatte, stellte sie sich in Anwesenheit der Klasse auch schon mal ans offene Fenster neben das Lehrerpult und rauchte sich eine, aber hey: das waren die 70er!
1976 musste die ganze Klasse die Grundschule wechseln, wir gingen dann zusammen noch ein Jahr auf die Lindenbaumschule (Blogbeitrag).
Frau Hübner ist später nach Australien ausgewandert um Schafe zu züchten statt Kinder zu unterrichten, woran wir sicher alle nicht ganz unschuldig waren.
Voll schroff: Ich habe sie seit 35 Jahren nicht mehr gesehen!

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Freitag, 11. März 2011

ru24 Mysterium 7: Unglaublich

Zur Geburtstagsfeier meiner Mutter hole ich Tante Walburga ab.
Weil ich weiss, dass die Tante bereits zehn Minuten vor meiner Ankunft gestiefelt und gespornt mit Kopftuch, Handtasche und schwerem Mantel hinter der Tür wartet, beeile ich mich. Kaum stehe ich mit dem Wagen um drei vor vier am Straßenrand, ist sie da.
»Och, das ist ja doch ein richtiges Auto!«, bemerkt sie anerkennend, »Ich hatte jetzt mit sonem komischen Dingen gerechnet!«, lobte die Tante meinen Smart Fortwo.
»Ja. Hier, sogar mit Steuerrad und allem!«, knirsche ich.
»Toll!«, sagt Tante Walburga ganz aufrichtig.

Wir fahren.
»Wollt ihr heiraten, deine Freundin und du?«, fragt sie unvermittelt.
Ich fahre in einen Kreisverkehr und wieder heraus.
»Och nö, das ist glaube ich nicht nötig«, sage ich, ergänze: »Und wir sind ja beide auch nicht die Allerchristlichsten.«
Tante Walburga aber schon.
In ihr arbeitet es.
»Du könntest dir doch wenigstens ein Hintertürchen offenhalten, so ein bisschen dran glauben. Der liebe Herrgott nimmt es da nicht gar so genau.«
Ich schnaube, will ihr aber nicht auf die Füße treten.
»Na gut. Auch als Existenzialist lasse ich mich ja gerne überraschen«, lenke ich ein.
»Ich will ja nur, dass du gut rüberkommst. Und dir einen guten Platz sicherst«, schließt die Tante
Faszinierend pragmatisch.

Später besichtigen wir zu dritt eine kleine Dorfkirche in Egen, das zu Wipperfürth gehört. Das Restaurant, in dem wir Kaffee getrunken und Waffeln mit Milchreis und Zimt & Zucker gegessen hatten, liegt nebenan.
»An der Monstranz leuchtet das Licht«, sagt Tante Walburga und deutet zu einem kunstvollen Schrein herüber. »Das bedeutet, dass die Hostien geweiht sind.«
Auch gut.
»Durch den Segen sind jetzt aus Hostien und Wein der Leib und das Blut Christi geworden.«
Soso.
»Das ist wissenschaflich bewiesen!«, trumpft die alte Dame auf.
Wow!!!
»?«, kommt es von mir.
»Wissenschaftler haben festgestellt, dass nach der Segnung wirklich Fleisch und Blut daraus geworden sind, allesamt haben sie sich hingekniet und gebetet!«
»!«, sage ich.
Mon dieu!
Solche Wissenschaftler gibt es heute gar nicht mehr ...

Ich stelle mir christliche Missionare bei Menschenfressern in Papua-Neuguinea vor: ›Nein, ihr dürft jetzt keine Leute mehr essen, sondern nur noch euren Heiland, der mit Magie aus Esspapier und australischem Merlot hergestellt werden kann!‹
Unglaublich!

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Montag, 26. Juli 2010

Lifestyle 38 - Es kann jeden treffen


ghostwoman
Originally uploaded by Picturesimon
Queen Mom (82) hatte wieder etwas ausgeschnitten, was sie mir bei meinem Besuch wohlmeinend in die Hand drückte.
"Hier, da kannste abnehmen, so in diesem Internet", sagte sie.
"Oh toll!", sagte ich und nahm den Wisch an mich. Irgendwie war es eine ausgerissene Seite aus dem Apothekenblättchen. Eine leicht moppige junge Frau strahlte darauf von Ohr zu Ohr bei der bloßen Vorstellung, so "über das Internet kostenlos die Pfunde purzeln zu lassen" - auf www.zu-fett-fürs-balett.de oder so.
Naja. Immerhin war es kostenlos.
Doch noch war ich nicht so weit.
Mein Geburtstag beraumte sich an. Ich räumte auf wie ein Irrer, die Wohnung in einen unrealistischen, zumindest optisch pseudosterilen Zustand zu versetzen.
Der Wisch lag noch immer auf dem Schreibtisch.
"Naja, muss ja nicht jeder sehen", dachte ich und faltete das Blatt andersherum.
Der Geburtstag kam, Menschen wuselten herum, betatschten alles und verschwanden wieder.
Tage später saß ich an meinem Schreibtisch, da fiel mein Blick auf eine Anzeige in Riesenlettern: "Stuhlinkontinenz kann jeden treffen!" und darunter "Als es mich traf, habe ich mich geschämt wie ein kleines Kind".
Hä???
Es war die Rückseite des Diät-Blättchens.
Niemand traut sich nun, mich darauf anzusprechen.
Tolle Wurst.
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Donnerstag, 22. Juli 2010

Queen Mom 3 - Johanniter-Hotel


hospital meal
Originally uploaded by Rooney.
Queen Mom (82) war wegen Atemnot ins Krankenhaus eingeliefert worden.
Mein Bruder und ich wechseln uns mit den Besuchen ab.
Jedesmal bevor ich sie besuche, bekomme ich noch einen Anruf meines Bruders, was ich Muttern wohl noch von zu Hause mitbringen soll (neben "Körperseife" und "Leibwäsche"): eine Hartkäsereibe (die mit dem roten Griff), ein Vogelhäuschen (das Geschindelte, nicht das Gelbe), eine spätassyrische Bodenvase (die mit den geflügelten Löwen), die Altölwanne (türkis, die mit dem "abben" Griff).
Mittlerweile sollte sie fast alles da haben. Den kompletten Haushalt. Ein wenig fürchte ich den Tag ihres "Auszuges" aus dem Krankenhaus, da brauche ich mindestens einen Miettransporter. Und vielleicht sechs Helfer mit Sicherheitsschuhen und Latzhosen. In ihrem Spind auf dem Krankenzimmer geht es mittlerweile zu wie in Mary Poppins' Tasche. Nicht nur der ausgestopfte Tukan stört ein wenig.

Wenn ich sie besuche, klopfe ich an der Krankenhauszimmertür, meine Mitbringsel auf dem Arm.
Knock, knock.
Grabesstille dringt mir aus dem Inneren entgeben.
Knock! Knock!
Nichts.
BOOM!! BOOM!!!
Nix.
Ich öffne die Tür. Die Bettnachbarin meiner Mutter, eine ebenso alte Dame, sitzt direkt an der Tür auf der Bettkante und schaut mich an.
"Hallo!", sage ich.
"Ach so!", sagt sie.
Keine Ahnung, warum sie nie "Herein" sagt, sie hört eigentlich ganz gut.
Muttern ist auf der Toilette, ich warte.
Sie erscheint, wir begrüßen uns, ich überreiche ihr die Mitbringsel.
Muttern legt sich mit ihrem gebügelten Nachthemd auf ihrem Krankenhausbett in Position. Die Rückenlehne ist hochgestellt wie bei einer Récamière. Mineralwasser, Glas, Zeitschriften liegen parat.
"Haben die Ärzte was gesagt?", frage ich.
"Oh ja!", freut sie sich.
"Äh, und was?"
"Da waren fünf Ärzte, und einer von denen hat geredet wie ein Wasserfall!", begeistert sie sich.
"Ja, und was hat er so gesagt?", frage ich.
"Ja, so Fachwörter!"
Ach so...
"Aber heute morgen war ein Mädchen da, das hat mir die Füße gewaschen!"
"Toll!"
Mutter legt sich zurück, entspannt und irgendwie urlaubs-erholt, sie trinkt einen Schluck Mineralwasser und schaut aus dem Fenster. Sie genießt das Leben der Schönen und Reichen im Johanniter-Hotel.
Es sei ihr gegönnt.
"Ach, der Frank soll mir beim nächsten Mal, wenn er vorbeikommt, die Entenlockpfeife mitbringen!"
Geht klar.