Donnerstag, 27. Oktober 2022

Things we lost (in the fire) - Teil 12: Opa Karls Taschenmesser

Abbildung ähnlich

Opa Karl (väterlicherseits) hatte in seiner Jugend zwei Blaumänner. Einen trug er unter der Woche bei der Arbeit, der wurde am Wochenende gewaschen. Den zweiten, nagelneuen, trug er Sonntags mit Stolz in der Stadt. Das waren die 20er und 30er Jahre. Opa Karl war Kommunist und hat „in der schlechten Zeit“ eine Familie ernährt, notfalls wurden im Wald Bucheckern gesammelt und zu Öl verarbeitet und verkauft. Die Nazis haben ihn in das KZ Kemna in Wuppertal gesperrt und er wird dort viel durchgemacht haben. Danach war er kein Kommunist mehr. 

Opa Karl war vom Sternzeichen her eine Dampfmaschine. Im Krieg hatte er, als es gar nichts Rauchbares mehr gab, Blutreinigungstee geraucht. Nach dem Krieg glomm bis zu seinem seligen Ende 1969 ständig etwas an ihm: Pfeife, Zigarette, Zigarre. Als meine Eltern ihm in den 50ern stolz ihr erstes Auto, einen Borgward Lloyd präsentierten, hatte es nach der Aktion ein Brandloch mitten in der Rückbank. Auch lebten sie in ständiger Sorge, er würde ein Brandloch in seinen Enkel (moi) machen.

Er hatte einen Faible für Eisenbahnen und hat eine wirklich große Modell-Dampflok mit Tender selbst gebaut, ich habe sie später bei meinem Onkel Heinz gesehen mit ihren tausend Details, alles daran war perfekt. Es war ein schwarz-rotes Ungetüm, wie industriell gefertigt. Bruder Frank hat noch eine fein geschnitzte Holzdose von Opa Karl, was für ein handwerkliches Talent.

Wenn er zu uns nach Hause kam, habe ich Steppke laut „Opa Karel!“ gerufen und habe gleich drauf auf seinem Schoß gesessen. Er hat tatsächlich keine Brandlöcher in seinen Enkel gemacht, da war ich wirklich eine Ausnahme. Meine Erinnerung an ihn ist nur ein verwaschener Fleck.

Leider weiß ich sehr wenig über Opa Karl. Über seine Frau Auguste geb. Wolff, die Mutter meines Vaters und Onkels, wurde extrem wenig erzählt. Über die Wolffs gar nichts. Manchmal sind genau das die spannendsten Geschichten, aber ich kann niemanden mehr fragen.

Opa Karls Taschenmesser hatte ich von meinem Vater geerbt. Es befand sich in meiner „Antiken-Schublade“ und manchmal habe ich es etwas ratlos betrachtet mit seiner fast schwarzen Klinge, das Griffteil vom Alter graubraun.

Nun ist auch das noch fort.


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