Donnerstag, 20. Oktober 2022

Things we lost (in the fire) - Teil 5: T.W.s Besteck

Bei T.W. zu Hause 

Tante Waltraud (T.W.) war die Schwester unserer Mutter. Sonntags bei ihr eingeladen zu sein, war wie der Besuch bei einem Restaurant der Systemgastronomie: Es gab keine Überraschungen. Das mag negativ klingen, aber das war es keineswegs. Es gab oldschool Rollbraten oder Rouladen, als Beilage Kartoffeln oder Kroketten, immer Spirelli-Nudeln in Vollmilch gekocht mit „Stich gute Butter“ (Empfehlung des Hauses) und eine Winzmenge Gurken- oder Blattsalat mit Sahne. Somit war es aber allen Beteiligten immer bereits im Vorfeld klar, was es gab.

Die anwesenden Gäste knubbelten sich in dem winzigen Esszimmer, während die Tante in der noch viel winzigeren Küche herumwerkelte. Die Gäste hatten Zeit, sich die Zeit mit Gesprächen oder der Betrachtung der in Massen herumstehenden meist ästhetisch diskutablen Ausstellungsstücke zu vertreiben. Was spießig klingt und wie völlig aus der Zeit gefallen, ich vermisse es wirklich.

Tante Waltraud hatte nicht gerade ein Händchen für feine Gebrauchsgegenstände, aber ihr Essbesteck war schlicht, einfach und doch elegant. Nach ihrem Tod im Mai 2021 habe ich es geerbt und mich jeden Tag daran erfreut. Normalerweise lassen solche Freuden mit der Zeit nach, aber wann immer ich zur Besteckschublade gegriffen habe, war sie erneut da, diese Freude. Vielleicht war das Besteck auch einfach aufgeladen mit ungezählten quasi systemgastronomischen Familien-Sonntagen, die eine köstliche, konforme Beständigkeit innehatten.

Nun ist es fort, was für ein Mist.


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