Freitag, 14. Oktober 2022

Things we lost (in the fire) — wie alles begann

WhatsApp-Verlauf

Kanadaurlaub, fünfter Urlaubstag. Es war der 26.09.2022, 15.55 Uhr Ortszeit. Zusammen mit meiner Frau Chrissi setzten wir uns in Montreal in das Café „Juliette et Chocolat“ und bestellten etwas. Zu diesem Zeitpunkt erschien mir die Aussicht auf das Bestellte verlockend. Bei der französischsprachigen Bedienung, vom Alter her eine Schülerin, erfragten wir das WLAN-Passwort und loggten uns ein. Sofort prasselten eine ganze Reihe von WhatsApp-Nachrichten auf uns ein.

Geht es euch gut?“, fragte Lea in die WhatsApp-Gruppe aller Mieter des Mietshauses Bandstr. 13 in Wuppertal. Dort war es bereits kurz vor 22.00 Uhr. Es folgte gleich darauf der Satz: „Ich sehe im Internet, dass es wohl brennt??“

Unser Interesse war geweckt. Es brennt? Mit wachsender Sorge googelten wir „Feuer Wuppertal“ und sahen mit Schrecken Meldungen über einen Großbrand in unser Straße. Kaffee und Kuchen wurden uns serviert, völlig uninteressant.

„Ist das überhaupt unser Haus?“, fragte ich. Der Kuchen schmeckte nach Asche mit einer metallischen Beimischung. Wir begannen zu recherchieren, je mehr wir im Internet lasen, umso schlimmer wurde es.

Die Situation war surreal.

„Oh Gott, die Katzen!“, wir versuchten unsere im gleichen Haus unter uns wohnenden Katzensitter zu erreichen, leider Fehlanzeige. Das war hochgradig beunruhigend — war ihnen vielleicht sogar etwas zugestoßen? Die Bedienung tauchte auf, nuschelte etwas auf Französisch mit einem Fragezeichen hinten dran.

„Our house is burning at home in Germany“, erklärten wir zittrig. Das Mädel verschwand wieder, brachte uns eine Karaffe Wasser und tröstende Blicke. Später am Tag tauchten wir völlig aufgekratzt bei Freundin Brenda in Montreal auf, bei der wir ursprünglich einige Tage „in the City“ verbringen wollten. Das Thema „Katzen“ wurde elegant umschifft, stattdessen wurden wir auf sehr kanadische Art nach allen Regeln der Kunst abgefüllt. In der Rue Terrebonne verbrachten wir eine seltsam zittrige Nacht. 

Am Morgen rief die Polizei auf dem Handy an, Frau Soundso fragte nach Namen und weiteren Handynummern der Bewohner des Brandhauses. Sie bestätigte damit, dass das alles nicht nur ein Tequila-Traum gewesen war. Wir bekamen die Nummer des bei der Feuerwehr Wuppertal zuständigen Herrn L. Der bestätigte, dass der Brand sich vom Keller über das Treppenhaus nach oben gearbeitet hatte, das Haus jetzt unbewohnbar war, gegebenenfalls sogar einsturzgefährdet sei. Es zeichnete sich hier bereits ab, dass wir alles verloren hatten. Und ja, man habe wohl schon bei den Löscharbeiten laut Bericht „ein totes Haustier gefunden“. Vielleicht Baghira von den Nachbarn unter uns? Der Urlaub war auf jeden Fall gelaufen. Wir laufen ja nicht Murals und Graffiti fotografierend durch Montreal, während daheim alles in Trümmern liegt. Der erste Impuls war natürlich, einen Flug zu buchen und zurück „nach Hause“ zu fliegen, aber das gab es ja offenbar nicht mehr. Bei Freunden wohnen und denen gepflegt auf den Keks gehen? Tage später klärte sich, dass gottlob alle Hausbewohner überlebt hatten, wenn auch nur knapp. Über die WhatsApp-Gruppe des Hauses bekamen wir die Rufnummer der Diakonie Wuppertal und eine Ansprechpartnerin genannt. Sie riet uns, zu bleiben, wo wir sind. Eine Unterkunft zu haben sei in dieser Situation ein Glücksfall.

Nun denn. Wir blieben, sagten aber alle Treffen mit Freunden und auch den geplanten Roadtrip nach Neuengland ab.

Während uns Chrissis Mom, die in Rosemère bei Montreal lebt, umsorgte und Nachmittags auf einen Spaziergang zum Eichhörnchen (Squirrel) und Vögel (Nuthatch, Chickadee) füttern schleppte, versuchten wir unseren Kram geregelt zu kriegen. Nach dem Frühstück war in Deutschland bereits 16.00 Uhr. Eine Support-WhatsApp-Gruppe der Freunde wurde ins Leben gerufen, Facebook & Co., alles lief heiß dieser Tage, sogar Spenden wurden gesammelt. Das alles war rührend und zu Herzen gehend im geschützten Umfeld von Chrissis Elternhaus.

Unser Versicherungsmakler legte uns nahe, für die Hausratversicherung eine Liste aller Dinge zu schreiben, die wir gemeinsam besessen hatten — things, we lost in the fire. Es wurden sehr lange Listen, denn es ist alles fort und das ist eine ganze Menge — was sich so anhäuft, in einem 55-jährigen Leben.

Schließt bitte mal die Augen und zählt auf, was in der vorletzten von vier Küchenschubladen eigentlich drin ist, dann erst schaut nach — surprise! Genau das. Aber es gibt auch die Dinge, deren Verlust aus dem einen oder anderen Grund dramatischer ist als der kleine Dreizack, mit dem man beim Pellkartoffeln pellen die Kartoffel hält.

RU24 war mal mein Satire-Blog, bis ich gemeint habe, jedes Thema, das mich umtrieb, hinreichend durch den Kakao gezogen zu haben. Jetzt kommt etwas gänzlich neues auf‘s Tapet: Ich möchte sehr persönlich über die Dinge schreiben, die ich verloren habe. Es werden natürlich auch zwei Katzen darin Erwähnung finden, aber noch kann ich das nicht, dazu also später.

Stay tuned.


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