Tatsächlich war ich mit meiner im Kindergarten gebastelten, vage kubistischen Laterne in etwa so hoch wie ein Erwachsener. Die Laterne war aus schwarzem Karton, aus dem ich schiefe Rauten und unregelmäßige Vielecke herausgeschnitten hatte, hinter die ich mit Klebstoff verklebtes Transparentpapier geklebt hatte. In der Laterne glomm ein Fahrradbirnchen an einem langen Kabel, das bei jedem Schritt herumpendelte und im Laterneninneren irrlichtete. Es waren geburtenstarke Jahrgänge, die Straße wimmelte, war schwarz von Gören und ihren Eltern. Flankiert wurde das Ganze von Fackelträgern der Freiwilligen Feuerwehren. Blechbläser begannen feierlich zu spielen. Es wurden die einschlägigen Lieder gesungen:
Sankt Martin, Sankt Martin, Sankt MartinAls Höhepunkt, kurz vor Versagen der langgezogenen Stabbatterie im verchromten, längsgeriffelten Griff, trafen sich die diversen Martinszüge auf dem Kirmesplatz. Dort, hoch zu Ross, endlich - Sankt Martin himself!
ritt durch Schnee und Wind,
sein Roß das trug ihn fort geschwind.
Sankt Martin ritt mit leichtem Mut:
sein Mantel deckt' ihn warm und gut.
Doch ach!
Der so genannte Sankt Martin war in Wirklichkeit ein reitendes, etwa 16jähriges Mädchen vom Reithof Pieper!
Ich bin sicherlich nicht das einzige Kind, das an diesem Abend traumatisiert nach hause gekommen ist!
Vergleichbar ist das vielleicht nur, wenn in einem modernen, radikalfeministischen Haushalt des Dritten Jahrtausends am 06.12. die Weihnachtsfrau aufscheint - ohne die phallischen Insignien Rute und Sack, dafür mit einer großen Muschel voller Geschenke.